Störgeräusche: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Zeitungen

Auf dem digitalen Nachrichtenmarkt konkurriert die privatwirtschaftliche Presse mit den gebührenfinanzierten Portalen der Sender. Ein ungleicher Wettbewerb.

Im Saarland gibt es eine große Tageszeitung: die Saarbrücker Zeitung. „Aber ich leite nur die zweitgrößte Textredaktion des Bundeslandes“, sagt Peter Stefan Herbst, Chefredakteur des Titels. Die größte Redaktion für tägliche Nachrichten in Textform leistet sich der Saarländische Rundfunk.

Vier Männer und eine Frau stehen auf einer Bühne in einer Diskussion
BDZV/Zumbansen

Der Rundfunkauftrag wird dort weit ausgelegt. Zu weit, meint Helmut Verdenhalven, Leiter Medienpolitik beim Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Denn der Medienstaatsvertrag verbietet dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein presseähnliches Angebot. Presseähnlich sind Inhalte, die keinen Bezug zu einem Video- oder Audiobeitrag der Rundfunkanstalt haben.

Breites Textangebot der Sender

Aber offenbar gibt es Interpretationsspielraum bei der Auslegung der Presseähnlichkeit. Denn der Blick ins Netz zeugt von einer großen Zahl öffentlich-rechtlicher Angebote, die das tägliche Welt- und zunehmend auch Lokalgeschehen mit umfangreichen Textbeiträgen begleiten. Sie machen damit das, was auch die Presse macht. Nur mit dem Unterschied, dass die privatwirtschaftlichen Medien sich über den Verkauf ihrer journalistischen Inhalte finanzieren müssen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk aber gebührenfinanziert ist.

Wie schwierig es für die Verlage ist, gegen ein vordergründig kostenloses Angebot ein Bezahlmodell für unabhängigen Journalismus zu setzen, verdeutlichte die Chefredakteurs-Runde im Rahmen der BDZV-Digitalkonferenz beBETA am 11. Juni 2024. Dort berichteten Peter Stefan Herbst, David Koopmann (Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG) und Marc Rath (Chefredakteur Mitteldeutsche Zeitung und Volksstimme), wie sehr die öffentlich-rechtliche Konkurrenz den Zeitungen schadet.

Aufwendige Zeitungsrecherchen, die von den Verlagen als Paid Content angeboten werden, finden sich frei zugänglich auf den Nachrichtenportalen der Sender, lokale Themen werden „abgekupfert“, Redakteure abgeworben – die Berichte aus den Redaktionen klingen frustriert. Einen anschaulichen Beleg für das „ausufernde Textangebot“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liefert David Koopmann mit einer 24-seitigen Zeitung, ausschließlich gefüllt mit den Texten eines Tages von Radio Bremen, Tagesschau und Sportschau. „Das ist öffentlich-rechtliche Presse“, kommentiert der Vorstand der Bremer Tageszeitungen. „Radio Bremen hat früh erkannt, dass sie mit Textbeiträgen Reichweite machen können“.

Beihilfebeschwerde soll ÖRR-Auftrag klären

So werde mit den Geldern der Allgemeinheit ein Angebot geschaffen, das die Finanzierungsmöglichkeiten der unabhängigen privaten Medien beschneidet. „Das ist ein Missbrauch der Rundfunkbeiträge“, ist Peter Stefan Herbst überzeugt. Und nicht nur ein unfairer, sondern auch ein rechtswidriger Wettbewerb, ergänzt Helmut Verdenhalven. Der BDZV hat deshalb im Mai 2023 bei der EU-Kommission eine Beihilfebeschwerde eingereicht. Ziel ist es, Klarheit über den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Auslegung des Presseähnlichkeitsverbots zu schaffen.

Man habe zu der Problematik schon mehrfach mit dem MDR gesprochen, berichtet Marc Rath. Auch darüber, dass sich seine Redaktion enorm darüber ärgert, dass ihre Recherchen ungefragt auf dem MDR-Portal auftauchen. „Aber außer netten Worten bringt das nichts“, so seine Erfahrung. Und Gesprächspartner aus der Politik werden erst dann hellhörig, wenn ihnen klar wird, dass auch die Politikberichterstattung ohne eine vielfältige und wirtschaftlich gesunde Presse zu kurz kommt.

Keinen Zweifel möchte der Verband aufkommen lassen, dass die Gesellschaft den professionellen Journalismus braucht, und zwar den privatwirtschaftlichen wie den öffentlich-rechtlichen. Aber der beitragsfinanzierte Rundfunk dürfe nicht die Marktchancen privater Presseangebote beschneiden und damit letztlich eine vielfältige Medienlandschaft schwächen.

Bewusstsein in den Redaktionen schärfen

Dass das bereits der Fall ist, belegt eine Studie des BDZV. Demnach lesen 62 Prozent der Nutzer öffentlich-rechtlicher Onlineportale dort „immer oder häufig“ die Textangebote, Videos nutzen dagegen nur 39 Prozent. Fast 40 Prozent der Befragten geben an, dass sie ihr Verhalten ändern und auch digital und gedruckt mehr Presse nutzen würden, wenn es das öffentlich-rechtliche Textangebot nicht gäbe.

Für die privaten Medienhäuser ist es eine existenzielle Frage, ob es für ihren unabhängigen digitalen Journalismus eine ausreichend zahlungswillige Nachfrage gibt. Die wird es schwerlich geben, solange das frei zugängliche Konkurrenzangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks den Markt verzerrt. Wie brisant dieses Thema für die Verlage ist, müsse auch in den Newsrooms ankommen, appelliert BDZV-Ressortvorstand Journalismus Lambert Lensing-Wolff an die Führungskräfte aus den Redaktionen. Denn es geht um nichts weniger als die wirtschaftliche Zukunft der unabhängigen Presse.