Hab’ ich euch!

Von Roman Deininger

Markus Söder ist schamlos. Er ist clever. Und wohl irgendwann bayerischer Ministerpräsident. Bevor das Amt zu ihm kommt, macht er sich lieber selbst auf den Weg: ein halbes Jahr im Leben eines politischen Viechs

Eine Geschichte über Markus Söder muss natürlich in einem Bierzelt beginnen, das Bierzelt ist sein Wohnzimmer, „ein Politiktempel“, wie er sagen würde. Das hat auch deshalb Bedeutung, weil das Bierzelt für viele seiner Konkurrenten in der ausgenüchterten Gegenwarts-CSU ja nur noch so was wie das Treppenhaus ist: Da müssen sie halt durch.

Also, Anfang Juni, 800 Leute im Bierzelt in Eitensheim bei Ingolstadt, der örtliche Sportverein wird 70 Jahre alt, und Söder ist gratulieren gekommen. Wenn irgendwer in Bayern einen einigermaßen runden Geburtstag hat und sich nicht schnell genug ins Ausland absetzt, dann schaut der Finanzminister Söder vorbei, auf einen kurzen Glückwunsch und einen längeren Bericht zur Lage der Welt.

Die Blaskapelle prustet los, Söder marschiert ins Zelt, Servus hier, Grüß Gott da. Man sagt ja, sein Gang sei so breit wie der von Cristiano Ronaldo, das stimmt aber nicht; im Vergleich mit Söder ist dieser Ronaldo ein Pimpf, dem ein bisschen die Körperspannung fehlt. Söder, der seine knapp zwei Meter immer leicht nach vorne beugt, als könne er die Zukunft gar nicht erwarten, packt sich mit beiden Händen das Pult, er hält Reden, wie andere Leute Ringkämpfe führen. Dann kommt ein Herr vom SV Eitensheim und bringt ihm ein Kaltgetränk.

Hier kurze Unterbrechung, denn wenn man diesen Söder ein halbes Jahr begleitet hat, weiß man: Er trinkt keinen Alkohol, fast gar keinen. Er trinkt Wasser, vielleicht mal Cola; nicht weil er muss, sondern weil er Wasser mag. Wenn seine Mitarbeiter gefragt werden, was er trinken will, sagen sie: Wasser.

Der Kellner stellt nun ein Wasser aufs Pult. Söder hält inne, drei Sekunden, vier, er starrt den Mann an, das Wasser, er lächelt wie ein Räuberhauptmann im Spessart, der nächtens die Kutsche nahen hört. Er ruft: „Habt ihr nicht was Anständiges zu trinken?“ Das Publikum, das sein eigenes Bekenntnis zum Alkohol schon abgelegt hat, johlt. Ein besonderer Bekenner sagt später: „Stell’n de Deppn eam a Wasser hi!“ Söder kriegt dann eine Mass Bier, er prostet ins Zelt, das jetzt seines ist, vielleicht nippt er sogar. Dann rührt er die Mass nicht mehr an.

Markus Söder ist schamlos und er ist clever, er ist schamlos clever. Diese furchterregende Kombination hat ihn weit gebracht, Söder kennt man in Herne und in Husum, auch wenn man ihn nicht unbedingt mag. Er ist zwar nur ein kleiner Landesminister, aber auch eine große Provokation – eine neue, alte Figur des bayerischen Welttheaters, das seit jeher in ganz Deutschland die Zuschauer fesselt.

Im Radio ruft Söder wechselweise die Griechen oder die Merkel zur Ordnung, in Talkshows ist er die Wand, an die alle anderen Gäste mit Karacho rennen: „da widerspreche ich Herrn Söder“, „das muss Herr Söder begreifen“. Im Internet kann man sich kaum bewegen, ohne Opfer eines Söder-Tweets zu werden, „bin Hundefan“, diese Liga. Zwischendrin sieht man den Kosmopoliten Söder in der Grabeskirche in Jerusalem knien oder in Peking eine Franz-Josef-Strauß-Ausstellung eröffnen, die den Chinesen gerade noch gefehlt hat. Söder ist überall: Bürgermeister finden keine Deckung, wenn er mit seinen Breitband-Förderbescheiden herumwirft, und Journalisten schauen abends unter ihr Bett, weil er sich dort mit ein paar erfreulichen Passagierzahlen von der Chiemsee-Schifffahrt versteckt haben könnte.

Politik ist Kommunikation, heute mehr als je zuvor. Aber wenn alle kommunizieren würden wie Markus Söder: Was bliebe da von der Politik übrig?

Mit 16 Jahren ist Söder in die CSU eingetreten, er hängte sich, so will es zumindest die Legende, ein Strauß-Plakat übers Bett, was seinen Altersgenossen als schwere seelische Störung gelten musste; mit 27 zog er in den Landtag ein, mit 36 wurde er CSU-Generalsekretär, mit 40 Minister. Jetzt, mit 49, setzt der Sog der Macht ein, wo immer er hinkommt. Seine Gastgeber begrüßen ihn verlässlich als nächsten Ministerpräsidenten, und wenn einer das mal verpasst, stellt Söder selbst sicher, dass seine beruflichen Perspektiven Erwähnung finden.

Mitte März, Empfang für neue deutsche Staatsbürger im Kaisersaal der Münchner Residenz. Strahlende Leuchter, strahlende Gesichter. Söder macht den Neubayern Mut: „Hier kann jeder sein Glück suchen. Sie können auch gern für den Ministerpräsidenten kandidieren. Muss ja nicht sofort sein, das wollen erst mal andere.“ Ein älterer Neubürger ist verwirrt: „Der Herr ist noch gar nicht Präsident?“

Es gibt diese Regel, eine Übung in Demut: Das Amt kommt zum Mann. Söder sagt mit jedem Atemzug: Bitte keine Mühe, bin schon unterwegs.

2018 ist Landtagswahl in Bayern, Umfrage von dieser Woche: 43 Prozent der Menschen wollen ihn als Spitzenkandidaten der CSU. Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, nicht ganz so clever wie Söder und vor allem nicht so schamlos, kommt auf 23 Prozent. Allerdings wünschen sich 51 Prozent der Bürger, dass Horst Seehofer erst mal weitermacht, und zu Söders Horror verdichten sich die Anzeichen, dass zu den 51 Prozent auch Seehofer selbst gehört.

Seehofer und Söder liefern sich seit Jahren ein Duell wie Tom und Jerry, nur dass beide Tom sind, ständig zünden sie sich gegenseitig den Schwanz an. Vielleicht sind sich der Alte und der Junge einfach zu ähnlich, Spieler alle beide, und Seehofer soll auch so seine Theorie haben, wer einst die Bild über sein uneheliches Kind in Kenntnis setzte. Gerade ist taktische Feuerpause bei Tom und Tom, aber Söder weiß: Es darf kein Weg an ihm vorbeiführen. Denn wenn es einen gibt, wird Seehofer ihn finden.

Ein halbes Jahr im Vorhof der Macht, Januar bis Juli. Annäherung an ein politisches Tier, auf bayerischen Fluren darf man sagen: ein politisches Viech. Ein halbes Jahr Hufescharren mit Markus Söder.

Manchmal wirkt die Zeit mit ihm wie eine Parodie von Politik, etwa wenn er den neuen Familienwelpen Bella fast ins Koma tätschelt und kurz darauf, schon eher Augenhöhe, mit dem Bernhardiner „Quantum vom Baronenschloss“ kumpelt. Dabei will Söder, als CSU-General und Chef der Jungen Union ein Kind der politischen Spaßgesellschaft, doch endlich erwachsen werden, ein echter Staatsmann. Oder ist es dafür nicht irgendwann zu spät?

Manche glauben ja immer noch, diesen Söder mit dem alten, bösen Reim eines Parteifreundes erschöpfend erklären zu können: „Blöd, blöder, Söder.“ Aber mal ehrlich: Wie kommt einer, der angeblich so blöd ist, den angeblich keiner mag, so weit?

Anfang Februar. Der politische Handwerksmeister Söder stampft durch die Pfützen des Berchinger Rossmarkts, er erteilt gleich eine kleine Lektion. Er sucht sich den stattlichsten Hengst von allen, er greift ihn am Halfter, Titan soll mit aufs Foto. Titan, verdächtig rotes Geschirr, beißt dem Minister in den Ärmel. Jeder andere würde das mit dem Bild jetzt lassen, der gemeingefährliche Sozi-Gaul, die Kälte. Söder packt noch mal zu, rustikal, Titan fügt sich fohlenmäßig. Er kriegt sein Foto, er kriegt sein Foto ja immer. Daheim in Nürnberg erzählen sie diese Geschichte: Der junge Wahlkämpfer Söder rief bei einem Kleingartenverein an, er habe da von einem Grillfest gehört. Ob er da nicht das Fass anstechen könne? Die Kleingärtner meinten, das sei ein nettes Angebot, aber man habe beim Grillfest kein Fass. Söder sagte, er werde das Fass mitbringen.

Ein Rossmarkt im Regen ist niemands Wohnzimmer, aber Söder hat noch ein, zwei Lektionen parat. Auf dem Weg zur Bühne fragt er einen Parteifreund nach dem Befinden von Tochter und Pferd, beide kennt er beim Namen. Am Mikrofon gratuliert er einem Geburtstagskind und einem Bräutigam, beide beben vor Stolz. Wie kommt einer so weit? Es schadet jedenfalls nicht, überall Bekannte aus JU-Tagen zu treffen und CSU-Ortschefs, deren Grillfest man 2005 um ein Fässchen Bier und einen Bericht zur Weltlage ergänzt hat. Söder verteilt Gefallen wie der Nikolaus Nüsse. Über drei Jahrzehnte hat er so in der Partei und in der Landtagsfraktion seine Fäden gesponnen, sie bilden das Netz, das ihn jetzt trägt.

„Es ist schön, mal bei vernünftigen Leuten zu sein“, ruft Söder zur Begrüßung, vernünftige Leute sind seinen Studien nach im ländlichen Raum verbreitet, während die Populationen in Berlin oder Brüssel winzig sind. Den vernünftigen Leuten von Berching schenkt er dann höllisch vernünftige Thesen: „Bayerisches Geld ist am besten in Bayern aufgehoben und nicht in Berlin.“ Unter den Regenschirmen dröhnt der Applaus.

Die CSU pflegt ihre Volksnähe wie einen Schatz, sie ist Voraussetzung für ihren Erfolg. Bei Söder ist sie vielleicht noch mehr: eine Sehnsucht. Ständig sagt er Sachen wie: „Ich finde Asterix interessanter als Ovid.“ Er tut dann gern so, als wäre es ganz schön mutig, sich mit all den militanten Ovid-Fans anzulegen, die nun in Berlin und Brüssel auf Rache sinnen.

Oder er sagt: „Bei normalen Bürgern komme ich oft besser an als beim Feuilleton.“ Die Frage ist: Diese Feuilletonisten im weiteren Sinn, die Denker und Lenker der Gesellschaft – braucht er die nicht auch, wenn er dereinst das Land regieren will?

Die CSU war ja immer bestrebt, aus Bayern Weltpolitik zu machen, schon zu Strauß’ Zeiten war der Versuch ebenso lächerlich wie vorteilhaft. Strauß, Stoiber, das ist die Reihe, in der Söder sich sieht, die Ahnen sind stets mit im Raum, wenn er redet, selbst wenn der Raum ein McDonald’s an der A 96 ist, Abendessen im Gasthof der vernünftigen Leute: „Bayern ist Weltliga. Das erwarten sich auch die Bürger. Wir vergleichen uns nicht mit Rheinland-Pfalz. Wir wollen zu den Besten der Welt gehören.“

Die Faszination der CSU gründet auf aufreizender Selbstgewissheit und unverhohlener Rauflust. Söder verkörpert diese Partei mit Haut und Haar, ihren bayerischen Exzeptionalismus, der in Herne oder Husum sofort zu Magenreizungen führt. Er rückt die CSU insofern ins Extreme, als er nicht lang umeinandermerkelt, er bemüht sich gar nicht erst um rote oder grüne Wähler. Er will schlicht: die bürgerliche Mehrheit. Er steht für die CSU, die ihre Anhänger von Herzen lieben; er steht für die CSU, die ihre Gegner von Herzen hassen.

Söder ist ganz alte Schule, nur halt bei Instagram. Man fragt sich ständig, ob mit ihm eine politische Traditionslinie endet – oder ob eine beginnt.

Wenn man Söder unbedingt in eine Reihe stellen will, dann vielleicht in die der Getriebenen. Klar, das sagt sich leicht, denn was jemanden antreibt, ist ja immer erst mal ein Rätsel. Aber dass einer treibt, von Termin zu Termin, mehr als 1000 im Jahr – das kann man beobachten. Ein gemütlicher Freitagabend beim Familienvater Söder: 17 Uhr Anstich Kirchweih Nürnberg, 19 Uhr Anstich Kirchweih Eibach, 20 Uhr Anstich Kirchweih Gebersdorf. Fass jeweils vorhanden, immerhin. Kommt so einer auch mal irgendwo, irgendwann an? Söder angelt sich ein paar Pommes und sagt: „Politik ist wie Surfen vor Hawaii. Wenn du die eine Welle gemeistert hast, kommt schon die nächste. Ich kann mich oft nur kurz freuen, wenn etwas gut gelaufen ist. Ich bin da gedanklich schon beim nächsten Problem.“

Um zu sehen, welche Wellen Söder ins Wanken bringen, muss man sich mit ihm treiben lassen.

An einem kalten Januarabend wärmt Scheinwerferlicht das Tutzinger Schloss, die Evangelische Akademie lädt zum Jahresempfang. Deutschland debattiert über die Flüchtlinge; nebenbei wird debattiert, ob Söder das Thema zur Profilierung im Konflikt mir Seehofer missbraucht. Immer ist er ein klein wenig lauter als sein Ministerpräsident, der ja auch schon nicht wirklich zu den Leisen zählt.

Der Akademiedirektor sagt vorweg: Die Politik darf das Feld nicht den Vereinfachern überlassen. Dann spricht Söder, vor ihm sitzen: Denker, Lenker, Geistliche. Menschen, die man mit Allgemeinplätzen nicht überzeugen kann. Was hat er ihnen zu sagen? Nun: In weiten Teilen genau das Gleiche wie am Tag zuvor den Parteifreunden beim Neujahrsempfang der Münchner CSU, Wort für Wort. Er spricht nur leiser und langsamer: „Wir helfen gerne, aber unbegrenzt Menschen aufnehmen, das würde uns überfordern.“ Dies zu diskutieren, das sei „nicht unchristlich“, das wenigstens fügt er an. Aber dann ist er auch schon wieder bei den 4,7 Milliarden Euro, die der Freistaat für Flüchtlinge ausgebe: „Von dem Geld können wir zwei Universitäten bauen.“ Bei der CSU hat er dafür noch Beifall bekommen; in Tutzing sind es argwöhnische Blicke.

Man könnte jetzt sagen: Da biedert sich jemand nicht an. Man könnte aber auch sagen: Da lässt sich jemand gar nicht ein. Heinrich Bedford-Strohm, der evangelische Landesbischof, redet nach Söder, er sagt, „es verbietet sich von selbst“, mit der Flüchtlingsfrage Parteipolitik zu machen. „Für die Betroffenen geht es um Leben und Tod.“ Er kriegt den Applaus, den sich die Zuhörer bei Söder gespart haben.

Nachher, am Buffet im Wintergarten, hart an der Obergrenze der Vernünftige-Leute-Küche, sagt Söder, er habe es einfach schwerer als andere: „Wenn ich jemanden aus einem Eisloch rette, würden die Leute sagen: Aber warum ist die Mütze drin geblieben?“ Später erzählt er noch, dass er ein Mann der Intuition ist, und dass ja auch bei „Star Trek“ Captain Kirk mit seinem Bauchgefühl meistens recht behält und der kopfgesteuerte Halb-Vulkanier Spock dann blöd aus der Wäsche guckt.

Auch das kann man schon mal festhalten: Widerstand ist etwas, das Söder treibt. Manchmal ist der Widerstand eingebildet, und manchmal ist er echt.

Die CSU ist eine Dynastie, seit 1957 stellt sie den Ministerpräsidenten in Bayern, die Macht ist ihr Erbe, und die Sicherung dieses Erbes ihre ewige Aufgabe. Die Partei vertraut sich stets dem an, dem sie das zutraut. Söder glaubt, er sei der Mann, der die Vorherrschaft wahren kann. Einige in der CSU glauben, er sei der Mann, der sie zerstören würde.

Nicht, weil er bayerische Interessen in Berlin nicht durchsetzen könnte, da würde sich Merkel wohl bald den netten Herrn Seehofer zurückwünschen. Auch nicht, weil er ein schlechter Finanzminister wäre, im Gegenteil. Wie kommt einer so weit? Na ja, er gibt sich bei der täglichen Arbeit keine Blöße. Sanierung der Landesbank, kommunaler Finanzausgleich, Breitband-Ausbau. Selbst eine Grüne, die einen Regierungschef Söder für so erstrebenswert hält wie ein Atomkraftwerk auf der Fraueninsel im Chiemsee, kennt ihn aus dem Landtag als jemanden, „der sich auch in Detailfragen einarbeitet und Probleme durchdringt“. Einen Skandal hat er sich bisher auch nicht geleistet, was umso bemerkenswerter ist, weil ihm so viele Leute einen wünschen. Seine juristische Doktorarbeit hatte Hunderte kritische Leser, und bestimmt nicht, weil die sich alle so glühend für die „Kommunalgesetzgebung in Bayern zwischen 1802 und 1818“ interessiert haben.

Söders Gegner in der CSU haken anderswo ein. Ja, den Fleiß, den habe er von Stoiber. Aber nicht das Pflichtbewusstsein. Stoiber habe für Bayern gebrannt, Söder brenne nur für sich selbst. Er sei zu verbissen, er habe weder die Seriosität Stoibers noch die Leichtigkeit Seehofers. Gerade bei weiblichen Wählern komme seine ruppige Art nicht an.

Ende April, Maibock-Anstich im Hofbräuhaus, in dem, wie man wissen muss, Markus Söder der Hausherr ist. Irgendwann wird Horst Seehofer der Welt erklären müssen, was zum Teufel er sich dabei gedacht hat, seinem ärgsten Feind Söder ein Ministerium zurechtzuzimmern, das neben der Zuständigkeit für die Königsschlösser und die Seenschifffahrt auch noch die für das staatliche Hofbräuhaus umfasst. Es ist ein bisschen, als hätte er einem Pyromanen einen Güterzug voll Dynamit hingestellt. Söder macht jetzt natürlich an 365 Tagen im Jahr Feuerwerk, und ein ganz großer Knall ist immer der Maibock. Wassertrinker Söder hat es geschafft, sein eigenes Starkbier-Kabarett als feste Wegmarke im politischen Prozess des Freistaats zu verankern.

Humor ist für Söder die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, er hält sich meistens für den witzigsten Mann im Raum, und häufig hat er auch noch recht. Er ist inzwischen sein eigener Hofnarr, er hat jede Zurückhaltung hinter sich gelassen. Diesmal sprengt seine Maibock-Rede die Definition von Koketterie: „Als bayerischer Finanzminister habe ich mir unheimlich viel Wissen angeeignet. Schade, dass ich damit ab 2018 nichts mehr anfangen kann.“ Und dann folgen einige etwas direktere Anspielungen auf seinen geplanten Jobwechsel.

Hinterher scharen sich die Journalisten um Söder wie um einen Fußballer nach dem Abpfiff. „Champions League der Starkbierrede“, analysiert Söder, er meint damit seinen Co-Star Django Asül, hat dann aber auch noch ein paar warme Worte für sich selbst übrig. Marcel Huber steht neben ihm, Huber ist Minister und Staatskanzleichef, er ist schon auch eine Nummer. Irgendwann sagt Söder: „Sag du doch auch mal was, Marcel.“ Huber setzt an und sagt – nichts, weil Söder einfach weiterredet und Huber mit einem Schritt nach vorn zur Seite schiebt. Söder sagt: „Man muss über sich selbst lachen können.“

Alphatiere, Alphaviecher zumal, markieren ihr Revier. Man mag darin Souveränität erkennen. Oder einen Mangel daran.

Söder hat die Dinge gern unter Kontrolle. Ein CSU-Mann berichtet, er habe Söder mal bei einer Rede in der Provinz positiv erwähnt, 50 Leute im Saal. Noch bevor er fertig war, hatte er eine SMS von Söder: danke für das Lob. Söder hat ein Zuträgersystem, auf das früher manches osteuropäische Regime neidisch gewesen wäre.

Markus Söder ist Schwimmer und Tennisspieler, aber in einem halben Jahr mit ihm merkt man: Der Sport bietet ihm nicht ausreichend Wettbewerb. Für ihn ist alles Leben Kampf, er will immer gewinnen. Nicht nur die Gesamtwertung bei „Anne Will“, sondern auch jeden noch so kleinen Wortwechsel. Und man muss es ihm lassen, er gewinnt oft.

Ende Februar, im bayerischen Welttheater wird ein demokratisches Hochamt gefeiert, das Politiker-Derblecken in der Bierschwemme auf dem Nockherberg. Die Kabarettistin Luise Kinseher tadelt als Mama Bavaria ihre Kinder, das Kabinett sitzt ihr devot zu Füßen. Den kleinen Markus watscht sie besonders her: Markus, „es heißt integrieren, nicht intrigieren“. Der Markus, der halte seinen Gartenzaun für den Horizont. Der Markus, der leide unter „moralischer Legasthenie“.

Später begegnen sich Söder und Kinseher im Gang vor der Küche, Schauspieler unter sich. Kinseher fragt: „Wie fanden Sie’s?“ Söder verzieht die Miene, als würde ihm ein Zehennagel gerissen: „Einige lustige Momente, einige Längen auch.“ Nur das mit der Legasthenie, oh je: „Über Krankheiten macht man keine Witze.“ Kinseher sagt: „Geh’, Sie halten’s doch aus.“ Söder, nicht zuallererst für sein ausgeprägtes Mitgefühl bekannt, sagt todernst: „Ich halt’s schon aus. Aber die Kranken nicht.“ Kinseher, die ihr Geld mit ihrem Mundwerk verdient, kriegt den Mund nicht mehr auf, beziehungsweise: zu. Ein Sieg auf dem Feld der Satire ist für Söder besonders süß. Eine Niederlage ist aber auch besonders bitter. Und damit nach Aachen.

Ende Januar, der fränkische Fastnachtsprofi Söder wird mit dem Orden wider den tierischen Ernst dekoriert, was vor ihm schon den Ahnen Strauß und Stoiber widerfuhr, woran er im Lauf des Tages gefühlte tausend Mal erinnert. Söder verkleidet sich – durchaus kühn – als König Ludwig II., der Bayern zwar regiert hat, darob aberauch verrückt geworden ist. Die Verwandlung vollzieht sich in einer engen Garderobe im Aachener Kongresszentrum. Der Maskenbildner klebt den Königsbart auf, was nicht ganz leicht ist, weil Söder parallel dem Reporter eines Promimagazins erläutert, Ludwig sei „so der James-Dean-Typ“ gewesen, „live hard, die young“. Irgendwann schwärmt der Promireporter: „Für uns Journalisten sind Sie ja ein Geschenk.“ Söder lobt die kluge Beobachtung und wirft sich im Aufstehen seinen Königspelz über, selig, ein großes Kind, dem die verdiente Liebe zuteil wird.

Es läuft für Söder. Während er vor 1500 Menschen in Aachen eine Sendung für vier Millionen Fernsehzuschauer aufzeichnet, besucht Rivalin Aigner – darauf weisen beide mitgereisten Söder-Sprecher den Reporter serviceorientiert hin – den Frauenbundfasching im Pfarrsaal der Kirche St. Laurentius in Feldkirchen-Westerham.

Dann die Ordensshow, bunte TV-Unterhaltung, hätte man in den 80ern gesagt. Das Niveau wird von Comedian Guido Cantz eingepegelt: dass Ursula von der Leyen sieben Kinder hat, verwundere nicht, sie sei ja im Reitsport aktiv. Danach singt Gloria von Thurn und Taxis ein selbst verfasstes Lied, FDP-Frau Katja Suding hält die erste komplett witzfreie Büttenrede der Karnevalsgeschichte. Das ist die verheerende Ausgangslage, als Söder dran ist. Er lächelt, es ist das Lächeln des Siegesgewissen.

Im Bewusstsein seiner komödiantischen Überlegenheit tritt Söder in voller Robe in den Käfig, in dem der Ordensritter reden muss. Söder legt los: „Berlin braucht für den Flughafen länger als die alten Ägypter für die Cheops-Pyramide“, seine glühende Verehrerin Gloria japst vor Verzückung nach Luft. Sie ist aber auch die einzige im Saal. Söder verhaspelt sich, man merkt, dass er das Vertrauen in seine Gags verliert. Er hängt jetzt ein „meine Damen und Herren“ an alle Pointen, die Last bricht natürlich auch den guten das Genick. Es steht ein trauriger, einsamer König in seinem Käfig. Es ist eine unerwartete Niederlage. Und vielleicht ja ein Moment, in dem man Markus Söder ein wenig näherkommt.

Man hatte vorher ein paar Anekdoten gehört über die erstaunliche Verletzlichkeit des Kraftmeiers: dass er manchmal um halb sieben in der Früh Vertraute anruft, nur um sich über einen kleinen Satz in einem kleinen Kommentar in einer kleinen Regionalzeitung auszuschimpfen. Jetzt hält er am Rand des Saals Kriegsrat mit seinen Sprechern, drei ernste Gesichter unter tausend Jecken. Eine junge Dame will ein Foto mit ihm, es wird ein historisches: das erste Selfie, auf dem Söder nicht lächelt. Er ist angefasst, aber er fasst sich auch wieder, denn der Kampf ist ja nie ganz vorbei, die Höhe der Niederlage noch verhandelbar. Die Jecken tanzen, es ist ein Uhr früh und Söder bittet zur Nachbesprechung. „Ein Auswärtsspiel war das halt“, sagt er, der bayerische Humor sei für Westdeutsche einfach zu deftig.

Am Morgen dann grüßt König Markus großformatig aus der Bild am Sonntag. Wer braucht schon Lacher, wenn er solche Bilder hat?

Es gibt nur einen anderen in der deutschen Politik, der es in jüngerer Vergangenheit mit dem Bilderschöpfer Söder aufnehmen konnte, und das ist der eine Rivale, vor dem dieser, auch wenn er es nie zugeben würde, Angst hat. Karl-Theodor zu Guttenberg ist mit der Weltläufigkeit gesegnet, die Söder erst inszenieren muss. Und er könnte auch die Spielfigur sein, die Seehofer, der alte Stratege, Söder in den Weg stellen will. Im Februar macht Seehofer Guttenberg Avancen, Söder ist alarmiert. Doch Guttenberg will nicht zurück aus dem amerikanischen Exil. Söder bietet seinen Lieblingswitz zum Thema fortan mit frischer Inbrunst dar: „Ich hab’ meinen Doktor gemacht.“ Pause. „Und behalten.“

Besuch im Heimatministerium, das Söder in seiner Heimatstadt Nürnberg einrichten durfte – noch so eine milde Gabe, die Seehofer ruhig mal erklären könnte. Vor Söders Büro steht ein Schiffssteuerrad herum, edles Holz. Das Steuerrad hat ihm die Junge Union geschenkt, weil sie ihn, wie er bereitwillig schildert, für einen tollen Kapitän hält.

Söder ist natürlich nicht blöd. Aber ihm ist kaum was zu blöd.

Den Zustand absoluter Schmerzfreiheit hat er schon als Generalsekretär erreicht, als er unter anderem forderte, man müsse Schwarzfahrer an einen Internetpranger stellen, deutsche Kinder „Klaus“ statt „Kevin“ nennen und die Grünen-Bundestagsfraktion geschlossen zum Drogentest schicken.

Alles Kampf, und alles Theater. Wie kommt einer so weit? Schon auch, weil er einen höheren Unterhaltungswert hat als die meisten, die ihn verspotten.

Den Aktenfresser Stoiber hat man oft mithilfe seines gelernten Berufs erklärt, er war ein strenger, fußnotenaffiner Jurist. Den Laien-Entertainer Söder kann man weniger mit der Rechtswissenschaft als vielmehr mit seiner Redakteursausbildung beim Bayerischen Fernsehen packen. Söder denkt in Bildern, er – ein toller Kapitän bekanntlich – fläzte sich auf dem Nymphenburger Kanal ungeniert in eine der neuen venezianischen Gondeln. Oppositionsabgeordnete klagten über plötzliche Übelkeit, aber Söder bilanziert ein Jahr danach: „Viele Münchner sagen: Toll, dass es die Gondeln gibt.“ Söder denkt auch in Schlagzeilen, oft in kreativer Abstimmung mit der Bild-Zeitung: „Söder lässt die Gondeln schaukeln“, beinahe in der Preisklasse von „Söder kämpft für unser Brot“. Oder unvergessen: „Söder befreit bayerische Singvögel aus italienischen Käfigen“. Vor einer Weile druckte die Bild eine ganze Seite Söder-Selfies, Überschrift: „Bei Markus Söder hat’s mal wieder klick gemacht“.

Söder hat im Gespräch mit Journalisten auch immer einen sorgsam gebauten Schlüsselsatz vorbereitet oder eine Wortschnitzerei, sagen wir: „Bauchdemoskopie“. Er wiederholt das Wort dann so lange, Bauchdemoskopie, Bauchdemoskopie, bis der Journalist, Bauchdemoskopie, das Wort in seinen Block schreibt. Erst dann lässt das politische Viech von seinem Opfer ab. Das Umwelt- und Gesundheitsministerium hat er einst zum deutlich lyrischeren „Lebensministerium“ umgewidmet. Steuerfahnder sind sein „Steuer-FBI“. Oder was für Feinschmecker: Das „Landesamt für Vermessung“, das viel mit Vermessung und vergleichsweise wenig mit Digitalisierung zu tun hat, heißt jetzt „Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung“.

Was bleibt da übrig von der Politik? Viele Beamten finden: zu wenig. Der Minister findet: genug.

Söder ist ein Verkäufer, aber er ist schon auch ein Erzähler, fast amerikanisch im Stil. Was er zum Vatertag bei Facebook postet, würde Rosamunde Pilchersofort aus ihrem neuen Roman streichen, zu dick aufgetragen. Die Geschichte, die Söder Stück für Stück hinpuzzelt, ist die vom wundersamen Aufstieg eines Maurersohns aus Nürnberg-West. Als guter Erzähler weiß er, dass Weglassung und Unschärfe die Geschichte stimmiger machen. Also erzählt er von der Kindheit im Scherbenviertel, und eher nicht, dass er die Tochter eines reichen Unternehmers geheiratet hat. Er erzählt vom schwarzen Rebellen in einem tiefroten Wahlkreis, und eher nicht, dass die CSU das Direktmandat schon vor dem Einreiten des Ritters Markus erobert hatte.

In Teilen des Internets lösen seine Beiträge regelmäßig kollektive Bauchkrämpfe aus, aber Söder findet, er sei noch zurückhaltend: „Facebook ist doch eine unaufdringliche Form. Wer das anklicken will, kann es anklicken. Keiner wird gezwungen. Ich mache keine Homestories, kein Journalist weiß, wie meine Kinder aussehen.“ Er mache auch nicht den Schröder: Doris, Schatz. Und er nehme auch nur „einen Bruchteil“ der Talkshow-Einladungen an.

Was tatsächlich auffällt: Söder, der mit so viel Tamtam auf Nähe macht, kommuniziert am allerliebsten auf Distanz. Seine Sehnsucht nach den vernünftigen Leuten versiegt schnell, wenn der Kontakt mit ihnen über ein gemeinsames Bild und ein joviales „Wo seid ihr her?“ hinauszugehen droht. Am Biertisch beschäftigt er sich intensiver mit seinem Handy als mit seinen Sitznachbarn. „Selfie-Politiker“ nennt ihn die Bild, durchaus akkurat: So ein Foto ist die totale Kontrolle, es hält einen guten Moment fest, der oft besser ist als die Wirklichkeit.

Bei allen anderen Geschöpfen Gottes würde man nun besorgt fragen, ob sich da ein armer Mensch in der eigenen Inszenierung verliert. Iwo, sagt Söder: „Politik war mein Hobby, jetzt ist es mein Beruf. Das ist ein Privileg. Ich interessiere mich für Fußball, Filme, und natürlich für Politik. Mit schnellen Autos kann man mich nicht locken, mit Politik schon.“

Stadtrundfahrt durch sein geliebtes Nürnberg, vor einem plastikbunten Schnellrestaurant wickelt sich Söder aus seiner Limousine und sagt: „Das ist mein türkisches Lieblingslokal. Ich gehe sehr gern türkisch essen. Das schmeckt mir einfach.“ Ein türkisches Ehepaar, sie mit Kopftuch, grüßt ihn freundlich, „guten Tag“. Das könnte man nun einfach mal so stehen lassen, Söder mag die Türken und die mögen ihn. Söder aber dreht sich um zum Reporter, der die Szene aus fünfzig Zentimeter Entfernung erlebt hat, und sagt: „Haben Sie das gesehen?“

Die Verweigerung von Subtilität ist bei Söder ein Strukturproblem. Wenn er über das Thema Flüchtlinge spricht, ist das immer ein wenig, als wolle da einer mit einem Presslufthammer ein Ohrloch stechen. „In Bayern gilt das Grundgesetz und nicht die Scharia“, das hört sich halt an, als stünde die erste Steinigung im Regierungsbezirk Mittelfranken kurz bevor. „Nicht jeder Flüchtling ist ein Terrorist“, das klingt einfach nach: aber jeder zweite. Das Stilmittel Unschärfe hat die fatale Nebenwirkung, dass sich auch über klare, mal richtig vernünftige Überzeugungen der Schleier des Verdachts legt: „Wir müssen die AfD-Wähler ernst nehmen. Man kann den Bürgern nicht mehr im Oberlehrermodus sagen, was sie zu denken haben. Wir müssen uns um ihre Sorgen kümmern und ihre Probleme lösen.“ Wenn Söder twittert, Özil sollte besser keine Elfmeter mehr schießen, dann geifern alle gleich, er mache den Gauland. Das ist unfair, aber er ist eben am extremen Rand der Wahrnehmung unterwegs, und in diese Umlaufbahn hat er sich selbst katapultiert.

Ein Spitzenkandidat Söder, sagen seine Gegner in der CSU, wäre ein Geschenk für die Opposition, eine Art bayerischer Mappus. Söder verhindern, damit hätte der Wahlkampf der in Bayern irrlichternden Roten und Grünen plötzlich Richtung.

Frage bei McDonald’s: Als Schurke dazustehen, stört ihn das gar nicht? Söder sagt, die Kommentatoren, die ja übrigens vornehmlich aus Berlin stammten, nehme er schon zur Kenntnis. „Aber wichtig ist, was die Menschen denken.“

Die Menschen wissen wahrscheinlich gar nicht, was sie denken sollen. Söder sieht sich selbst als Fahnenträger der echten Konservativen, aber wenn man seine Positionen zu einem Weltbild zusammennagelt, hat man am Ende ein schön schiefes Gebilde. Er war auch schon mal der grüne Schwarze, Söder rettet die Eisbären, nach langen Jahren als Atom-Cheerleader befand er 2011: „Fukushima ändert alles“, über Nacht schaltete er den Meiler Isar I ab. In Sachen sexueller Toleranz ist er für CSU-Verhältnisse ein Freigeist, „ich finde, jeder sollte sein Leben leben dürfen.“

Der Spagat zwischen den Milieus war schon immer die Pflichtübung dieser Partei, derzeit muss sie Grenzzaunfans und Flüchtlingshelfer unter ein Dach bringen. Aber Integration, da ist Söder nicht der allererste Sachverständige, an den man denkt.

Besuch bei Albert Füracker, seinem Staatssekretär und aktuellem Lieblings-Buddy. Man fragt Füracker also: Was muss man wissen, wenn man seinen Freund Söder verstehen will? Füracker, beinahe Söder-Statur, Glatze, kramt auf seinem Schreibtisch herum und drückt einem eine Broschüre in die Hand. Es ist der Text einer Kanzelrede von Markus Söder in der Münchner Erlöserkirche, Titel: „Vertrau auf Gott und er wird dich leiten“.

Das Lustige ist natürlich, dass sich zwischen dem Heiligen Markus, den Füracker im Büro und Söder im Spiegel sieht, und seinem Image eine Kluft auftut wie zwischen Bambi und Godzilla. Seehofer hat Söder schon 2012 im Rahmen einer nicht maximal besinnlichen Weihnachtsfeier „charakterliche Schwächen“ diagnostiziert. Söder gehe politisch über Leichen, heißt es, und man findet leicht Stimmen, die das bezeugen, meistens Leichen. Vielleicht ist es aber sinnvoller, mal den Eindruck zu skizzieren, der sich aus Gesprächen mit einem Dutzend Wegbegleitern ergibt, Leuten, die eng mit ihm gearbeitet haben, etwa einem, der sagt: „Ich glaube, dass er ein starker Ministerpräsident wäre. Aber jeder sollte wissen, wie er im menschlichen Umgang ist.“

Markus Söder lebe bescheiden und stehe total auf McDonald’s. Er sei blitzgescheit und sprudle vor Ideen. Er richte sich immer nach dem Wind. Er schätze Widerspruch und habe einen Beißreflex, wenn er jemanden für schwach halte. Er sei tief misstrauisch, er kenne nur Freunde und Feinde. Er beurteile Menschen danach, was sie ihm nützen. Er hole Sonntag früh um halb sieben die BamS von der Tankstelle und erwarte, dass seine Mitarbeiter das auch tun. Man könne mit ihm eigentlich nur über drei Dinge reden: Fußball, Film und Politik.

Er mache Abteilungsleiter runter wie Kinder, vergreife sich oft im Ton und sei wahrlich kein Gentleman. Er flippe wegen Winzigkeiten aus: weil bei einer Veranstaltung eine Tür offen sei, oder weil ein Accessoire für ein Foto fehle. Es fliege schon mal eine Thermoskanne durchs Büro, oder es lande eine Currywurst auf einer Hose, nicht auf seiner. Wo Söder sei, gebe es auch mal Tränen. Er sei eine Zumutung, aber eine Zumutung, die ein treuer Kreis in Kauf nehme, einige Mitarbeiter seien seit vielen Jahren bei ihm. Er sei auch klug genug, sich mit kühleren Köpfen zu umgeben. Wer es nicht mit ihm aushalte, dem helfe er, einen neuen Job zu finden.

Der frühere Landtagspräsident Franz Heubl hat mal den Typus des Altbayern beschrieben, er könnte aber auch diesen Franken gemeint haben: „vital, brutal, sentimental“. Prognose: Man wird dem Politikrentner Söder eines Tages nicht nachsagen, dass er an dieser oder jener Wegscheide zu weich war.

Wie kommt einer so weit? Er kommt so weit, und wahrscheinlich noch weiter, weil die CSU eine Partei ist, die Stärke schätzt, und die Stärke bisweilen mit Härte verwechselt.

Es bleiben Fragen: Was würde die Würde des Amtes mit so einem Mann machen? Oder was so ein Mann mit der Würde des Amtes?

Söder kann sehr viele Dinge sehr viel besser als andere Politiker, reden, werben, kämpfen. Es gibt aber auch etwas, was er gar nicht kann.

Eine Geschichte über Markus Söder muss natürlich in einem Bierzelt enden. Ein früh im Regen ertrunkener Sommertag, schwäbisches Bezirksmusikfest in Schwangau. Söder ist heute mal gar nicht glücklich in seinem Wohnzimmer, er wäre lieber draußen, wo die schönen Bilder wohnen. Aber der Festumzug ist abgesagt. Er unter tausend Musikanten in Festtagstracht, vor Alpengipfeln und Neuschwanstein, ein Gemälde wäre das gewesen! Jetzt sitzt er drinnen auf seiner Bierbank und bohrt die schwarzen Hacken in den Boden, als gebe es Hinweise auf Ölvorkommen im Ostallgäu.

Wenigstens darf er dann die Kapelle bei der Böhmischen Polka dirigieren, aber als er zum Ende winkt, spielt die renitente Truppe einfach weiter. Hernach muss er weitere Polkas erdulden, muss rumstehen und mitklatschen. Söder will weg von hier, er schaut im Takt auf die Uhr, den Leuten fällt das auf. Einer, der die Kontrolle hat, macht das nicht. Aber er hasst es nun mal, Zeit zu vergeuden, er hasst Termine, bei denen es nichts mehr zu gewinnen gibt, er hasst Stau auf der Autobahn. Es treibt ihn immer und überall weiter.

Dabei eilt doch nichts. Der Bogen der Geschichte müsste sich schon sehr krümmen, um sich an Söder vorbeizuwinden. Seehofer und er wissen beide, dass die CSU, will sie Wahlen gewinnen, Frieden braucht. Vor 2018 genau wie danach. Das Zeitfenster für ihr Duell wird sich also irgendwann schließen, und wenn Söder dann noch steht, werden Seehofer und er sich vor den Kameras auf die Schultern klopfen, und der Junge wird den Stab des Alten übernehmen.

Markus Söder wird seine Hauptrolle im bayerischen Welttheater bekommen, er muss dafür nur tun, was er am allerwenigsten kann. Warten.