Lass mich ein Pirat sein

Von Andreas Theyssen

Das Versagen der Weltgemeinschaft vor Somalia eröffnet Unternehmern völlig neue Geschäftsperspektiven

Sehr geehrte Investmentbanker, verehrte Milliardäre, die Ihr Euch an VW-Leerverkäufen verhoben habt, liebe Mitarbeiter der Autobranche, Kollegen!

Die Welt ist schlecht, die Wirtschaftswelt noch schlechter. Rezession, Investitionsstopp, Arbeitsplatzabbau – man mag es schon gar nicht mehr lesen. Doch es gibt Hoffnung. Während ganze Geschäftsmodelle wegbrechen – Investmentbanking, Derivatehandel, Zeitung –, blüht ein anderes überraschend auf. Es überzeugt durch extrem hohe Renditen bei geringem Kapitaleinsatz, hat eine gewisse Tradition, ist auch tauglich für Ungelernte und erfordert daher auch keine langwierigen und kostspieligen Studien in Harvard. Das Geschäft der Stunde heißt Piraterie.

Es ist sehr einfach, in diesem Business Fuß zu fassen. Nehmen Sie die Abfindung Ihres letzten Arbeitgebers. Buchen Sie einen Flug nach Dschibuti oder Mombasa. Heuern Sie einen Dolmetscher für Somali oder Arabisch an, der Sie auch nach Puntland einschleust. Engagieren Sie fünf der dort reichlich vorhandenen Milizionäre. Kalaschnikows besitzen diese Herren ohnehin, sie sind in der Region das Äquivalent zum Goldkettchen in Berlin-Wedding. Achten Sie unbedingt darauf, dass einer der fünf eine RPG besitzt (Altdeutsch: Panzerfaust), denn davor fürchtet sich jeder Tankerkapitän. Erwerben Sie dazu noch eine Nussschale mit starkem Außenborder – und los geht’s.

Vorsicht vor indischen Fregatten

Geschäftsrisiken gibt es kaum. Das größte ist, dass einer Ihrer Milizionäre im Kath-Rausch am Ruder steht und eine Welle frontal nimmt. Das zweitgrößte, dass Sie so dämlich sind, einer indischen Fregatte mit Beschuss zu drohen. Seit vergangener Woche wissen wir, dass die indische Marine in solchen Fällen nicht lange fackelt und Ihre maritime Investition zu Kleinholz macht. Ansonsten aber haben Sie wenig Anlass, sich vor seefahrenden Uniformträgern zu fürchten.

Analyse des Geschäftsumfelds: 95 Prozent des internationalen Warenverkehrs sind Schiffstransporte. Das Horn von Afrika, also die logistische Basis Ihres neuen Unternehmens, ist das Nadelöhr für alle Seetransporte zwischen Europa und dem Fernen Osten. Rund 16 000 Schiffe passieren es pro Jahr. Das verheißt fette Beute, Verzeihung, Prisen, um im Branchenjargon zu bleiben.

Schon im vergangenen Jahr haben somalische Piraten 30 Schiffe attackiert, in diesem Jahr waren es bislang 90. Dennoch schnarcht die Weltgemeinschaft munter vor sich hin. Gerade mal ein knappes Dutzend Kriegsschiffe dümpelt in der Region herum, und auch die stören nicht wirklich.

Wenn solch eine schwimmende Festung Sie bei der feindlichen Übernahme eines fremden Tankers/Fischkutters/Frachters zufällig erwischt, können Sie sich gefahrlos in Sicherheit bringen. Denn keine Nation fühlt sich bislang zuständig, das Piratenunwesen zu bekämpfen. Auch die Uno nicht, die EU nicht, nicht einmal die Nato. Deren Generalsekretär schlug dieser Tage sogar vor, die Afrikanische Union (AU) möge doch bitte vor ihren Küsten für Ordnung sorgen. Das ist wirklich putzig. Da die AU bislang jeden Einsatz auf ihrem Kontinent vergeigt hat, bedeutet der Nato-Vorschlag so viel wie die Idee, man könne das Technische Hilfswerk auf die Jagd nach Osama Bin Laden schicken.

Noch putziger sind – wieder einmal – die Deutschen. Die haben zwar die Fregatte „Karlsruhe“ vor Ort, aber hier gilt: Nomen est omen. Denn laut Grundgesetz dürfen Soldaten keine Verbrecher jagen, das darf nur die Polizei. Tun sie es doch, droht Karlsruhe, vulgo eine Verfassungsklage. Nun überlegt Berlin, auf jedem Marineschiff einen Bundespolizisten zu stationieren, der im Gegensatz zu Bundeswehrsoldaten Piraten festnehmen dürfte. Solch eine Aktion vor Somalia, so fürchten manche Sozialdemokraten, würde dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren Tür und Tor öffnen. Können Sie noch folgen? Ist auch egal. Klar ist jedenfalls, wer solche Probleme hat, den muss kein Freibeuter-Startup fürchten.

Keine Angst vor Moskau und Washington

Und nun die Schreckensnachricht. Die USA und Russland wollen gemeinsam gegen Somalias Piraten vorgehen, und zwar gegen deren Stützpunkte an Land. Das hat zumindest der russische Außenminister Sergej Lawrow nach einem Treffen mit seiner Amtskollegin aus Washington gesagt. Um Ihr Investment an der ostafrikanischen Küste müssen Sie dennoch nicht fürchten. Zum einen haut Lawrow verbal gerne mal auf den Pudding. Zum anderen: Können Sie sich nach dem Somalia-Debakel von 1994, als ein Mob die Leichen von GIs durch Mogadischu schleifte, vorstellen, dass Washington noch einmal Bodentruppen in dieses Land schickt? Und können Sie sich vorstellen, dass die USA sich nach dem Kaukasuskonflikt noch zu einer gemeinsamen Militäraktion mit Russland durchringen? Eben.

Und nun kommen wir zu denen, die uns kontinuierlich mit Beute versorgen, den Reedern. Verschiedene Nationen haben offeriert, Handelsschiffe im militärisch geschützten Konvoi durch die piratenverseuchten Gewässer zu eskortieren. Moskaus Marine, so berichten russische Medien, macht so etwas gerne für ein paar Rubel extra. Klingt gut, nur die Reeder spielen nicht mit. Die Konvois könnten nur alle paar Tage fahren, zudem wären sie lahm, da sie ihre Geschwindigkeit am langsamsten Schiff im Geleitzug ausrichten müssen. Das passt den Reedern nicht, die just in time liefern wollen und wissen, dass jeder Extratag auf See die Kosten treibt. Also schicken sie ihre Schiffe weiter in die Jagdgründe der Korsaren.

Sie sehen, verehrte Rezessionsopfer, das Geschäftsmodell wird noch eine Weile funktionieren. Und sollte die Welt in Sachen Somalia doch einmal zu Potte kommen, weichen Sie eben auf die Kapverden aus. Das Business ist flexibel, die Politik nicht.

Erschienen in: „Financial Times Deutschland“ am 24. November 2008