Eine Schwangere, die kein Kind erwartet
Von Judith Luig
"Mein Kind lebt nur in mir" - Trisomie 21 kennt man, Trisomie 18 kaum jemand. Kinder mit dieser Krankheit sind nicht lebensfähig. Eine Mutter berichtet von dem schweren Abschied von ihrem Baby.
Wir sitzen auf der Bank im Gang. Die Ärztin hält in der einen Hand die Tablette, in der anderen ein Glas Wasser. Sie hat gleich Feierabend. Es war kein leichter Dienst. Aber doch Alltag. Sie hat einer Frau erklären müssen, wie das Kind, das sie erwartet, durch die Tablette, die sie schlucken soll, sterben wird.
Am Tag darauf müsse die Frau wiederkommen. Dann werden durch Medikamente die Wehen ausgelöst. Dann dauere es einen, vielleicht auch zwei Tage. Dann werde die Frau das Kind, aus dem kein Kind werden wird, tot auf die Welt bringen. Nein, eine andere Möglichkeit gebe es nicht. Die Frau wurde blass. Zweimal sackte sie fast weg. Aber eine Unterbrechung wollte sie nicht, die Ärztin solle weitersprechen.
Die Ärztin hat die Frau darüber aufgeklärt, dass - falls eine Bluttransfusion nötig sei - ihr bewusst sein müsse, dass sie sich mit dem Aids-Virus infizieren könne. Dass man ihr vielleicht bei einer Operation Organe entfernen müsse. Das musste die Frau unterschreiben. Dann hat die Ärztin ihr geraten, sich ihr Kind anzuschauen, wenn es auf der Welt sei. Damit sie ein bisschen besser verstehen könne, was geschehen ist. Damit sie abschließen könne mit dieser Geschichte. Die Frau nickt. Aber sie versteht nicht. Die Frau bin ich.
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Wir sitzen auf dem Gang. Die Frau mit den drei Kindern, die gestern Nacht ihr viertes Kind geboren hat, kommt vorbei. Ihr Mann trägt das Neugeborene, die Mutter ist noch sehr müde, sie stützt sich auf die älteste Tochter. Die anderen laufen sehr still und andächtig nebenher. Die hat vier, denke ich, und ich soll keines haben. Ich bin nicht bereit, das Kind herzugeben. Ich will die Tablette nicht schlucken, ich will nicht, dass mein Kind, das noch gar nicht mein Kind ist, stirbt. Ich will aufstehen, weggehen und nicht wiederkommen, bis ich nicht auch wie die Frau, die da gerade auf dem Gang an mir vorbeigegangen ist, mein Kind lebendig zur Welt bringe.
Eine Schwangere, die kein Kind erwartet
Ein bisschen schwanger gibt es nicht, so will es eine alte, blöde, deutsche Weisheit. Ich bin am Ende des vierten Monats, laut jedem Schwangerschaftsratgeber längst auf der sicheren Seite. Aber eben nur in der Theorie. Ein bisschen schwanger gibt es offensichtlich doch. Wie sonst lässt sich mein Zustand beschreiben? Eine Schwangere, die kein Kind erwartet.
Die Ärztin hält mir die Tablette vors Gesicht. Noch ist sie in einer silbernen Folie verpackt. Ich will weg, aber ich weiß nicht, wohin. Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem das Kind in mir leben könnte. Das Kind hat einen Herzfehler, einen Hirnfehler, einen offenen Bauch, und ihm fehlt das Nasenbein, hat die Frauenärztin gesagt.
Mein ungeborener unfertiger Sohn könnte nicht leben
Und sogar wenn man all das operieren würde, sobald es geboren ist, könnte mein ungeborener unfertiger Sohn nicht leben. Nicht nur, weil er drei Operationen wohl kaum überleben würde. Mein Sohn hat Trisomie 18, das Edwards-Syndrom.
Trisomie 21 kennt man. Weil man Menschen kennt, die mit Down-Syndrom leben. Trisomie 18 kennt man nicht. Es gibt nur ganz wenige Kinder, die die Schwangerschaft überleben. Fast keines davon wird älter als ein Jahr. Mein Kind würde nicht dazugehören. Das hat mir die Genetikerin angedeutet, zu der ich nach der Pränataldiagnostik musste.
Sie hat mir eine Tabelle gezeigt, auf der die Chancen der Kinder, die Schwangerschaft zu überleben, in Prozenten aufgelistet sind. Die Tabelle fängt mit 2,8 Millimetern Nackenfaltendicke an und hört mit 6,5 Millimetern auf. Kinder mit dem letzten Wert sterben zu 95 Prozent in den ersten Monaten der Schwangerschaft. Mein Kind hat eine Nackenfalte von 8,6 Millimetern.
Die Ärztin will nach Hause. Sie hat drei Töchter, die warten, dass ihre Mutter sie von der Schule abholt. Morgen ist Sonnabend. Da machen sie einen Ausflug mit der ganzen Familie. Ich weiß nicht, warum ich die Ärztin gefragt habe, was sie am Wochenende mache und ob sie selber Kinder habe. Ich wollte vielleicht nur über etwas anderes als über das reden, was sie mir sagen musste.
Unendlich viele verschiedene Störungen
Frauen, so schreibt man, werden heute oft im hohen Alter noch schwanger und gehen damit bewusst das erhöhte Risiko ein, dass ihr Kind nicht gesund ist. Stellt sich dann aber bei der Pränataldiagnostik heraus, dass es nicht perfekt ist, dann treiben sie es ab. Es ist fast immer nur die Rede vom Down-Syndrom, das kennt fast jeder und kann es leicht verstehen und noch leichter verurteilen. Von den unendlich vielen verschiedenen Störungen mit den tausenderlei verschiedenen möglichen Ausgängen, davon ist seltener die Rede.
In den Texten liest es sich so, als würden Frauen wie ich ihre Schwangerschaft einfach in der Mittagspause an der Kasse stornieren lassen, um dann wieder zu ihrer unglaublich tollen Karriere und ihrem selbstsüchtigen Leben zurück zu gehen. Männer kommen in diesen Texten höchst selten vor. Höchstens mal pflichtschuldigst als Nebenbemerkung.
Wir haben es geschafft, dass sich Frauen wie ich, die ein Kind verlieren, bevor es ein Kind ist, auch noch schuldig dafür fühlen. Ich bin nicht gut genug. Ich habe versagt. Wenn man mit den Frauen redet, deren Kind die Schwangerschaft nicht überlebt hat oder das zu früh geboren wurde, um zu leben, dann hört man diese Sätze immer wieder.
Doch man hört sie nur dann, wenn es einem selbst geschehen ist. Denn mit nicht Betroffenen sprechen die wenigsten Frauen darüber. Manche, weil sie sich schämen. Andere, weil sie keine Worte für ihren Verlust haben. Aber viele auch deswegen, weil sie sich nicht verteidigen wollen für ihre Geschichte und für ihr Kind. Sie reden lieber mit Menschen, denen es auch passiert ist. Die anderen wollen es ohnehin nicht von den Frauen selbst hören. Fremdes Unglück macht unsicher. Dabei ist es so wichtig, über diese Kinder zu reden, die nicht leben werden. Ich hätte gerne vorher von diesen Geschichten gewusst. Dann hätte ich überlegen können, wie mein Weg sein könnte. So habe ich andere entscheiden lassen.
Dass etwas nicht stimmt, ahnte ich
Hinten, am Ende des Ganges, geht die Tür auf. Da kommt die Oberärztin. Der Gang ist lang, aber sie geht so schnell, dass die Schöße ihres Kittels hinter ihr her fliegen. Sie will zu mir. Sie wird einen letzten Ultraschall machen, damit alles seine Richtigkeit hat. Dann bin ich offiziell im Krankenhaus aufgenommen. Mechanisch strecke ich die Hand aus. Die Ärztin drückt die Tablette aus der Silberfolie. Ich schlucke sie mit etwas Wasser. Das Ende hat angefangen. Alles Gute, sagt die Ärztin. Dann übernimmt die Oberärztin.
Sind Sie allein? Ja. Das schaffen Sie schon.
Sie legt mir den Arm um die Schulter.
Ich kann heute nicht mehr sagen, wann ich mich ergeben habe.
Dass etwas nicht stimmte, das befürchtete ich, sobald ich den ersten besorgten Blick sah, den die Pränataldiagnostikerin auf den Embryo warf. Hinter meinem Kopf war ihr Bildschirm, und so konnte ich ihre erschrockenen Augen genau sehen. Einen Meter weiter, an ihrem eigenen Bildschirm, starrte die Assistentin genauso entsetzt auf mein Kind. Ich versuchte, ruhig zu atmen, ich versuchte, ruhig zu liegen, es gelang mir nicht. Als sie merkte, wie sehr sie mich mit ihrem Blick beunruhigte, wandte sich die Ärztin mir zu. Sollen wir eine Pause machen?
Wer sein Kind verliert, wird zum Zeichenleser. Notgedrungen. Viel Konkretes wird einem nicht gesagt. In den allermeisten Fällen kann keiner der Ärzte so genau wissen, was die Konsequenzen ihrer Befunde sein werden. Was wird sich wie entwickeln, was wird sich wie auswirken? Die Menschen wollen Prognosen, die Ärzte haben Diagnosen.
"Ja, es gibt Probleme", sagte die Diagnostikerin
Die Pränataldiagnostikerin war sich zunächst nicht ganz sicher gewesen. Ja, es gebe Probleme, sagte sie mir, als ich wieder am Tisch saß. Aber es müssten noch weitere Tests gemacht werden. Auf den Ultraschall folgten Vergleiche mit den Bluttests, auf die folgten Gespräche mit der Genetikerin. Sie malte Stammbäume nach meiner Schilderung auf, meine Tante, mein Cousin, meine Großmutter, sie fragte Fehlgeburten der Verwandtschaft ab, erklärte Chromosomen-Strukturen. Ich hatte noch gar nicht richtig verstanden, was überhaupt los war, da empfahl mir die Genetikerin die Fruchtwasseruntersuchung.
Ich will nichts tun, was die Schwangerschaft gefährdet, sagte ich.
Diese Schwangerschaft gefährden Sie nicht mehr, sagte die Genetikerin.
Ich glaube, da war mir immer noch nicht klar, was sie meinte. Ich sollte jetzt erst Mal über alles nachdenken, hieß es. Aber ich wusste ja gar nicht, worüber. Vielleicht wollte ich es auch gar nicht so genau wissen. Ich wollte einfach nur das machen, was die Ärzte für das Beste hielten. Meine größte Sorge war, dass das Kind leiden könnte. Noch zwei Wochen, so sagt die Forschung, und es würde Schmerzen empfinden.
Ich schreie und weine, er weiß nicht, was er sagen soll
Ich gehe raus, an die Luft, rufe den Vater des Kindes an. Ich schreie und weine, er weiß nicht, was er sagen soll. Was kann man schon sagen.
Auch bei der Fruchtwasseruntersuchung ein paar Tage später bleibt die Begriffstutzigkeit an mir haften. Selbst danach, wieder im Wartezimmer, als ich die Pränatalmedizinerin bitte, mir zu sagen, ob es denn gar keine Chance gebe, dass mein Kind leben würde, verstehe ich es nicht. Vier Tage lang sagte keiner genau, was passieren wird, bis ich schließlich den Termin im Krankenhaus bekomme und auf die Ärztin treffe. Die mit der Tablette.
Am nächsten Tag begleitet mich meine Schwester ins Krankenhaus. Sie bleibt die ganze Zeit bei mir. Auch als sie mir das Kind bringen, eingehüllt in ein Mulltuch. Die Ärztin hat aus einem Blumenstrauß Blüten gepflückt und es darauf gebettet. Mein Kind passt in meine geöffnete Hand.
Für mich war dieses Kind mein Kind
Man kann über etwas nur reden, wenn man Worte dafür hat. Für mich war dieses Kind mein Kind, aber ich weiß natürlich auch, dass ich damit alleine stehe. Die Gesellschaft erkennt es in so einem frühen Stadium nicht an. Aber es gibt einen Wandel. Seit Mai 2013 dürfen Eltern ein Kind eintragen lassen, das nicht lebend geboren wurde, bislang ging das nur, wenn das Kind da schon über 500 Gramm wog. Seit ein paar Jahren schon gibt es Gruppen betroffener Eltern, die sich treffen, um über ihre Kinder zu reden. Schmetterlingskinder, Engelskinder oder Sternenkinder sagen sie.
95 Prozent der Frauen erleben die Pränataldiagnostik als Babyfernsehen. Sie sehen zum ersten Mal ihr Kind in 3-D. Die Fingerchen, die kleinen Strampelbeine, den kugeligen Bauch. Frauen wie ich sehen die Wasseransammlung, die langsamen Bewegungen, das fehlende Nasenbein. Darauf wird man nicht vorbereitet. Sollen wir 95 Prozent verrückt machen für fünf Prozent?, sagen die Pränataldiagnostiker. Du hättest gar nicht hingehen sollen, sagt meine Freundin. Aber was wäre dann gewesen?
Für niemanden sonst hat es dieses Kind gegeben
Mit anderen Menschen zu reden, die Ähnliches erlebt haben, tröstet. Eine Kollegin hat ihr Kind noch zu DDR-Zeiten verloren. Damals nahmen einen die Schwestern im Krankenhaus noch nicht so ernst wie heute. Auch heute noch, 25 Jahre später, denkt diese Kollegin an das Kind. Für niemanden sonst hat es dieses Kind gegeben, sagt sie, aber für mich schon.
Ich finde nicht zurück ins Leben. Ich will auch gar nicht. Wochenlang bleibe ich Zuhause. Überfordert selbst von den kleinsten Aufgaben. Kaffeekochen. Milch einkaufen. Rechtzeitig schlafen gehen. Erste Versuche, zur Arbeit zurückzukehren, scheitern, meine Chefin ist geduldig, verständnisvoll. Glücklicherweise. Ich vergesse Termine, auch wenn sie im Kalender stehen. Mal tauche ich einen Tag früher auf, mal eine Stunde später. Menschen, mit denen ich diese Termine vereinbart habe, verlangen, dass ich doch lieber einen Kollegen schicken solle, das nächste Mal. Manchmal versuche ich mich zu entschuldigen, zu erklären, dass es mir lange nicht gut gegangen sei, manchmal nehme ich es hin. Einmal habe ich ein Treffen, zu dem hätte ich es fast pünktlich geschafft, es fehlen nur noch hundert Meter geradeaus zur Warschauer Brücke. Ich war schon oft da, trotzdem biege ich rechts ab und fahre nach Treptow. Ich kann nicht sagen, warum.
Beisetzung in einem Grab für Frühverstorbene
Dann liegt eines Morgens ein Brief von der evangelischen Krankenhaus-Seelsorge in meinem Briefkasten. Sie schicken mir eine Karte mit einem sehr kleinen Steinengel darauf. Eine schwere Entscheidung läge hinter mir, heißt es in der Karte. Sie laden mich ein zur Trauerfeier.
Ich hatte den Brief noch im Hausflur aufgerissen. Jetzt werfe ich ihn sofort in die Mülltonne. Ich fühle mich bedrängt und beleidigt. Was für eine Entscheidung denn? Was hätte ich für eine Wahl gehabt? Wie können sie sich erlauben, eine Trauerfeier für mein Kind abzuhalten? Wäre das nicht meine Aufgabe? Wie passt das alles zusammen? Erst erwartet man ein Kind, dann bekommt man es nicht, und dann ist doch ein Kind da, das von anderen Menschen auf dem Friedhof in einem Grab für Frühverstorbene beigesetzt wird.
"Ich kannte dich, bevor ich dich im Mutterleib bereitete"
Ich gehe die Treppe rauf und donnere die Wohnungstür hinter mit zur. Aber es lässt mir keine Ruhe. Also gehe ich wieder runter und hole die Karte aus dem Müll. Ich rufe die dort angegebene Nummer an und verlange, mit der Pastorin zu sprechen. Meine Stimme zittert, ich fange an zu weinen. Was ist das für eine Trauerfeier, will ich wissen. Sie bleibt gefasst. Sie erklärt mir, dass ich selbst im Krankenhaus ein Dokument unterschrieben hatte, in dem ich darum gebeten hatte, zu der Trauerfeier eingeladen zu werden.
Ich hatte bei meinem Stolpern durch das Ende dieser Schwangerschaft vor allem daran denken wollen, was für das Kind am besten sei. Ich beschließe, das auch jetzt zu tun. Meine eigene Kirche, die katholische Kirche, kämpft ja für das ungeborene Leben. Selbst wer die Befruchtung einer Eizelle zu verhindern sucht, habe sich an dem Kind und Gott versündigt, so ließen Kirchenmänner gerade erst verkünden. Abtreibungsgegner berufen sich gerne auf Jeremia 1,5. Da spricht der Herr: "Ich kannte dich, bevor ich dich im Mutterleib bereitete." Auch wenn ich mit meiner Handlung eine Sünde begangen habe, so würde die Kirche doch für das Ungeborene Rituale und Gebete wissen. Wenn schon in der Bibel von einem Leben vor dem irdischen Leben die Rede ist, wie wird das erst in unserer Zeit sein? Ich fange an zu recherchieren. Aber ich finde nichts.
Ein Kind zu verlieren macht einsam
Ein Kind zu verlieren, das niemand kannte und das für niemanden sonst ein Kind war, macht einsam.
Eine Freundin kommt zu Besuch. Ich will eigentlich niemanden sehen, aber diese Freundin lebt in den USA. Ich habe so selten die Chance, sie zu sehen. Wir gehen in unsere alte Lieblingsbar, Cocktails trinken. Auf einmal fängt sie an zu weinen. Sie sei schwanger gewesen, erzählt sie, im dritten Monat hätten sie ihr bei der Untersuchung gesagt, dass das Kind mit großer Wahrscheinlichkeit ein Down-Syndrom habe. "Oh weh, die Nackenfalte", sage ich. "Hatte deines auch kein Nasenbein?" Sie weiß nicht, wovon ich rede. Bei ihr war es nur ein Bluttest. Sie hat das Kind gar nicht gesehen. Sie tut mir leid.
Am nächsten Tag gehe ich zu einem Beerdigungsinstitut. Die Frage mit der Trauerfeier muss irgendwie entschieden werden. Die freundliche Frau zeigt mir kleine Kindersärge. Spricht von Kinderdecken, die man mit hineinlegen könnte. Oder Spielzeugen. Natürlich hatte ich schon Kleinigkeiten gekauft, einfach so, aus Vorfreude. Ich habe sogar ein Tagebuch über die Schwangerschaft geführt. Das liegt jetzt alles zu Hause in einem Pappkarton. Aber mein Kind war ja weit davon entfernt gewesen, mit etwas zu spielen. Manche Eltern wählen diese Art der Beerdigung. Mir ist das zu viel.
Es ist schwierig, anderen Menschen zu vermitteln, was man erlebt hat. Sie fragen einen, ob man krank war. Aber das war man ja gar nicht. Sie sagen einem, dass hoffentlich bald wieder alles gut wird, aber das wird es ja nicht. Vieles ist gut, vieles wird gut werden, nur die Geschichte dieses Kindes, die wird nie wieder gut.
Ein Glück war es trotzdem
Schließlich rufe ich meinen Pfarrer an. Er ist ein sehr ruhiger Mensch, ein sehr bedachter. Ich kenne ihn von den Messen, er kennt mich nicht. Es dürfte weltweit wohl kaum eine Gemeinde geben, in der die Frauen so alt Kinder bekommen wie in seiner. Deswegen weiß er auch von vielen Fällen, die ähnlich sind wie meiner. Bei ihm hat aber noch keine dieser Frauen Rat gesucht.
Mögen Sie einfach mal zu mir kommen und mir alles erzählen?, fragt er.
Ich mag.
Da sitze ich dann in seinem kargen Besuchszimmer, auf einem alten Samtsofa, er mir gegenüber in einem Armsessel, und ich erzähle ihm, wie ich mir das Kind gewünscht hatte und mich gefreut hatte, und wie ich es verloren habe. Und so kommt es, dass wir an einem der ersten Junitage an dieser Stelle ganz hinten im Friedhof stehen und an dem bunt geschmückten Beet mit Teddybären und Luftballons und kleinen Herzchen Gebete sprechen.
Die Leute sagen, ich hätte Pech gehabt. Das empfinde ich nicht so. Ich habe ein Kind erwartet, das nicht leben konnte. Aber dass es dieses Kind, wenn auch nur diese kurze Zeit, gegeben hat, das war ein großes Glück.