Neue Wege im Journalismus

Wie Redaktionen junge Menschen für Nachrichten begeistern können

Interview mit Leonie Wunderlich, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI).

Leonie Wunderlich
Leibniz-Institut für Medienforschung / David Ausserhofer

In der aktuellen Studie #UseTheNews zur Nachrichtenkompetenz Jugendlicher und junger Erwachsener in der digitalen Medienwelt wird von GIOs (gering informationsorientierten jungen Menschen) gesprochen. Könnten Sie bitte erläutern, wen genau diese Gruppe umfasst und wie sie Nachrichten konsumiert?

Personen, die zu den sogenannten gering Informationsorientierten (kurz GIO) gehören, verfügen nur über ein gering ausgeprägtes Nachrichteninteresse und es ist ihnen auch nicht sehr wichtig, informiert zu sein. Das hängt zum einen mit einer wahrgenommenen Distanz zu „typischen“ politikbezogenen Nachrichtenthemen zusammen; zum anderen damit, dass die Teilnehmenden in soziale Gruppen eingebunden sind, in denen es kaum relevant ist, Bescheid zu wissen. Journalistische Quellen spielen in ihrem Informationsverhalten keine Rolle und werden auch nicht als relevant für die eigene Meinungsbildung erachtet. Gleiches gilt für nicht-journalistische Quellen. Auch diese werden kaum genutzt, um sich zu informieren und sind dementsprechend auch nicht relevant für die eigene Meinungsbildung. Die vorhandenen Interessen und das Nutzungsverhalten spiegeln sich in der Selbstwahrnehmung von GIO wider, die als kaum informiert eingeschätzt wird. Nichtsdestotrotz gibt es gesellschaftlich relevante Themen, mit denen sich GIO beschäftigen und die sie in der Freundesgruppe besprechen. Ausschlaggebend sind dabei persönliche Berührungspunkte; Themen müssen die eigene Person und Identität (Religion, Herkunft und Interessen) oder das engste Familien- und Freundesumfeld betreffen.

Aus der quantitativ angelegten Face-to-Face-Umfrage unter rund 1.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen wissen wir zudem, dass der GIO-Typ den größten Anteil in der Gruppe der Jugendlichen (14-bis 17-Jährige) mit niedriger formaler Bildung ausmacht; hier entsprechen über die Hälfte (52 Prozent) diesem Typ. Im Vergleich entspricht ein Viertel der Jugendlichen mit hoher formaler Bildung diesem Typ. Auffällige Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es nicht. Bei den Erwachsenen (18-24-Jährige) sind es 30 bzw. 16 Prozent, die dem Typ GIO entsprechen.

 

Laut dem Reuters Institute News Report 2023 sinkt seit 2013 das Nachrichteninteresse und die Nutzungshäufigkeit bei den 18-24-Jährigen. Welche drei Hauptgründe identifiziert die Studie dafür, und inwiefern beeinflusst Social Media dieses Verhalten?

In der deutschen Teilstudie des Reuters Report werden zwar keine direkten Gründe identifiziert, aber wir können im Langzeitvergleich beobachten, dass das Nachrichteninteresse und die Nutzungshäufigkeit unter jungen Erwachsenen rückläufig sind, während die aktive Nachrichtenvermeidung zunimmt. Dass immer mehr junge Menschen versuchen, Nachrichten aktiv aus dem Weg zu gehen, hängt vor allem damit zusammen, dass Nachrichten als negativ wahrgenommen werden und Nutzende sich von der Menge an Nachrichten, die es heutzutage gibt, erschöpft fühlen. Hinzu kommt, dass die informationsbezogene Mediennutzung junger Menschen im Kontext einer sogenannten „high choice“ Medienumgebung stattfindet, wobei diese Bezeichnung auf die hohe Auswahlmöglichkeit unterschiedlicher Angebote und Inhalte hinweist. Junge Menschen haben insbesondere in sozialen Medien also eine enorm große Auswahl unterschiedlicher Angebote. Dann sind politische oder tagesaktuelle Themen nicht immer die erste Wahl. Vielmehr werden von einigen jungen Menschen leichte oder unterhaltende Themen bevorzugt. Ein letzter möglicher Grund betrifft methodische Aspekte. Umfragen wie der Reuters Report, aber auch unsere qualitativen Studien basieren auf der Selbstauskunft von Befragten. Ihre Auskunft über die Nutzungshäufigkeit setzt daher voraus, dass sie sich daran erinnern, wann und wie oft sie Nachrichten nutzen. Dabei ist es auch wichtig zu berücksichtigen, welches Nachrichtenverständnis die Befragten haben. Studien deuten beispielsweise darauf hin, dass Nachrichten etablierter Anbieter in sozialen Medien ihren Status als „echte“ Nachrichten verlieren. Es ist daher wichtig, Zahlen zum Interesse und Nutzungsverhalten junger Menschen immer differenziert zu betrachten.

 

Ausgehend von den Erkenntnissen der Studie, welche Strategien können Redaktionen entwickeln, um junge Menschen insgesamt zu erreichen und für journalistische Inhalte zu begeistern?

In unserer Fokusgruppenstudie mit jungen Menschen, die sich in ihrem Informationsverhalten am ehesten dem GIO-Typ zuordnen lassen, zeigt sich, dass diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen für sie wichtige Themen in der Berichterstattung der etablierten Medien nicht wiederfinden. Um sie wieder für den Journalismus zu begeistern, sollten Redaktionen neue Wege gehen, um einen stärkeren Bezug zur Lebensrealität junger Leute herzustellen und neue Perspektiven zu eröffnen. GIO finden die Art und Weise, wie Inhalte präsentiert werden, für sich nicht besonders attraktiv.

Medienhäuser sollten Nachrichten so präsentieren, dass sie einfach zu verstehen sind – das heißt Fremd- und Fachbegriffe erklären, einfache Sprache nutzen und Hintergrundinformationen zu komplexen Themen geben. Darüber hinaus sollten Inhalte möglichst ansprechend gestaltet werden, d. h. vor allem visuell, knapp und verständlich. Zudem schreiben GIO vornehmlich Social Media Content Creator eine Perspektivenvielfalt und eine Relevanz für ihre eigene Meinungsbildung zu. Interaktive und kooperative Projekte sind hier beispielweise eine sehr gute Möglichkeit, um auf der einen Seite Journalismus und seine Arbeitsweisen kennenzulernen und sich gleichzeitig selbst einbringen zu können.

Ein wichtiger genereller Punkt ist, dass gerade junge Menschen das Bedürfnis haben, Bescheid zu wissen, um mitreden zu können – sei es bei Unterhaltungen im Freundeskreis, in der Schule oder im Unterricht oder bei Unterhaltungen im Familienkreis. Insbesondere für Jugendliche sind gruppenbezogene Bedürfnisse sehr wichtig; sie wollen sich in ihrem Freundeskreis integrieren und dafür muss man mitreden können. Ein weiterer Ansatz für Redaktionen könnte es also sein, Themen mit hohem Potenzial für Anschlusskommunikation auszuwählen. Daneben können vor allem „polarisierende“ Themen so aufbereitet werden, dass Pro und Contra abgewogen werden und Jugendlichen damit Argumente an die Hand gegeben werden, auf die sie sich in Unterhaltungen und Diskussionen stützen und so mitreden können.

 

Hier geht es zu den Studien:

 

Zur Person:

Leonie Wunderlich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI). Im Projekt „Use the News - Nachrichtenutzung und Nachrichtenkompetenz im digitalen Zeitalter“ beschäftigt sie sich mit der Frage, wie sich junge Menschen in Deutschland informieren und welche Rolle journalistische Angebote dabei spielen. Im Master „Journalistik und Kommunikationswissenschaft“ an der Universität Hamburg hat Leonie Wunderlich im Rahmen ihrer Masterarbeit die Nachrichtennutzungspraktiken und Strategien der Nachrichtenvermeidung von 18- bis 24-Jährigen untersucht.