"Nachrichtenvermeidung gefährdet ein Grundprinzip der Demokratie"

Von Dr. Benjamin Toff

Keine Lust auf Nachrichten? Schon gar keine schlechten? Damit sind Sie nicht allein. Immer mehr Menschen weltweit wenden sich von Nachrichten in den Medien ab. Ein Phänomen, das mittlerweile auch wissenschaftlich untersucht wird. Mit alarmierenden Erkenntnissen: Denn die Abkehr von Nachrichten hat Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit von Demokratien.

Warum das so ist, weiß Dr. Benjamin Toff, Senior Research Fellow am Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford. Wir haben den Wissenschaftler anlässlich des Internationalen Tags der Pressefreiheit am 3. Mai gebeten, den Zusammenhang von Nachrichtenvermeidung und Pressefreiheit näher zu erläutern.

Dr. Benjamin Toff
private

Ist es eine Reaktion auf die Coronapandemie? Auf die Serie globaler politischer Krisen? Oder sind es andere Faktoren im Zusammenhang mit dem sich wandelnden Medienumfeld? Fakt ist: Immer mehr Menschen weltweit geben an, dass sie Nachrichten meiden.

Seit 2017 befragt das Reuters Institute for the Study of Journalism im Rahmen seines Digital News Reports regelmäßig Mediennutzer auf der ganzen Welt, wie oft sie Nachrichten „aktiv meiden“. Der Anteil derjenigen, die oft oder gelegentlich das tun, was wir als „selektive Nachrichtenvermeidung“ bezeichnen, ist von durchschnittlich 29 Prozent im Jahr 2017 auf mittlerweile 38 Prozent im Jahr 2022 gestiegen. In einigen Ländern hat sich der Prozentsatz im selben Zeitraum sogar verdoppelt, darunter in Brasilien (54 Prozent) und in Großbritannien (46 Prozent). Dieser Anstieg der Nachrichtenvermeidung geht in vielen Teilen der Welt einher mit einem Rückgang des Interesses an Nachrichten.

Es gibt viele Gründe, warum Menschen Nachrichten meiden. Einige davon haben mit den Nachrichten selbst zu tun oder sind eine Reaktion auf die zentralen Themen der Berichterstattung. So zeigte sich in unseren ausführlichen Gesprächen mit denjenigen, die keine Lust mehr auf Nachrichten haben, dass einige sich kritisch zu den Inhalten der Meldungen äußern. Häufig werden aber auch belastende Umstände im eigenen Leben als Begründung angeführt, zum Beispiel zu wenig Zeit oder andere Mittel zu haben, um sich mit den Nachrichten zu befassen.

Zunehmend fehlt die öffentliche Kontrolle von Staaten

Was auch immer der Grund sein mag – die zunehmende Abkehr von Nachrichten hat wesentliche Auswirkungen auf die Fähigkeit von Staaten, sich als Demokratien effektiv zu organisieren.

Der Zusammenhang zwischen Nachrichtenkonsum und politischer Partizipation ist wissenschaftlich seit langem eindeutig nachgewiesen: Je weniger Beachtung die Menschen den Nachrichten schenken, desto schwieriger ist es für sie, als Wähler fundierte politische Entscheidungen zu treffen oder als Bürger mit geeigneten Maßnahmen auf Probleme in ihrem Umfeld zu reagieren. Die zunehmende Abkehr von Nachrichten macht es einem Staat leichter, unbehelligt und ohne öffentliche Kontrolle zu agieren.

Das Phänomen der Nachrichtenvermeidung gefährdet damit ein Grundprinzip der Demokratie, nämlich das der öffentlichen Kontrolle staatlichen Handelns. Es bedroht aber nicht nur die Fähigkeit der Öffentlichkeit, die politische Führung zur Rechenschaft zu ziehen. Die Abkehr von Nachrichten ist in einigen Fällen auch eine Reaktion auf die Einschränkung von Pressefreiheit.

Zweifel an Qualität und Vertrauenswürdigkeit der Informationen

Bereits in früheren Studien des Reuters Institute haben wir den Zusammenhang zwischen dem Grad der Pressefreiheit und dem Grad der Nachrichtenvermeidung in verschiedenen Ländern untersucht. Mit dem Ergebnis, dass diese beiden Faktoren – zumindest bis zu einem gewissen Grad – miteinander verknüpft sind: In Ländern, in denen die Pressefreiheit bedroht ist, gibt ein größerer Teil der Bevölkerung an, dass er häufig die Nachrichten meidet. Zu erklären ist das vermutlich mit Zweifeln an der Qualität und Vertrauenswürdigkeit der berichteten Informationen.

Mit anderen Worten: Es gibt Hinweise auf eine Wechselbeziehung zwischen Pressefreiheit und Nachrichtenvermeidung. Einschränkungen von Ersterer führen zu noch mehr Vermeidung von Letzterer. Für ein Regime, das eine freiere Hand zum Regieren ohne Einmischung der Bevölkerung anstrebt, wäre die Abwendung seiner Bürgerinnen und Bürger von Nachrichten willkommen. Sie geht Hand in Hand mit der Aushöhlung demokratischer Institutionen. Diese Dynamik unterstreicht, wie wichtig wirksame Strategien sind, um die Teile der Öffentlichkeit, die der Nachrichten überdrüssig sind, wieder zu erreichen.