„Wir sind Möglichmacher“
BDZV im Interview: Über das Zusammenrücken der Verlage, ihre digitalen Geschäftsmodelle, das Selbstverständnis des BDZV und die nötige klare Kante gegenüber Politik und Plattformen sprechen die BDZV-Vorstandsvorsitzenden Matthias Ditzen-Blanke und Stefan Hilscher mit turi2-Chefredakteur Markus Trantow. Der Anspruch: „Wir wollen und werden Lösungen liefern. Wenn Politik stockt, gehen wir selbst voran.“
Ich war dieses Jahr beim BDZV-Kongress und habe den Verband geschlossener erlebt als früher. Was hat sich in den letzten fünf bis zehn Jahren verändert?
Stefan Hilscher: Die wirtschaftlichen Marktverwerfungen, die wir seit Jahren beobachten, sind für alle eine Riesenherausforderung. Aber wir reagieren nicht mit Resignation, sondern mit Innovation. Unsere Häuser investieren massiv in digitale Produkte, in Datenkompetenz und vor allem in Leser- und Nutzerbindung. Viele Menschen sind bereit, für Qualität zu zahlen – aber das sind noch nicht genug. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen überregionalen und regionalen Anbietern. Entscheidend bleibt für uns die ökonomische Basis des unabhängigen Journalismus. Die werden wir nicht preisgeben.
Matthias Ditzen-Blanke: Die Marktlage, wie Stefan Hilscher sie beschreibt, führt dazu, dass sich eine stärkere Vernetzung um Zukunftsfragen bildet. Es geht um die Grundlagen: Abo- und Membership-Modelle, datengetriebene Produkte, neue Qualitäten im Werbemarkt. Diese Dialoge formen gemeinsame Sichtweisen. Und das wirkt nach außen als Geschlossenheit.
Hilscher: Wir haben im Verband in den vergangenen anderthalb Jahren zunächst mit Sigrun Albert und nun mit Jörg Eggers viel bewegt. Ein Beispiel: Das bisherige auf Auflagen basierende Beitragsmodell ist Vergangenheit; wir haben ein neues, umsatzbasiertes Modell entwickelt – gemeinsam mit den Landesverbänden. Das ist fair, transparent und zukunftsfähig. Und das binnen nur einiger Monate – für einen Verband war das Megaspeed.
Wie wollen Sie den BDZV für die Zukunft aufstellen – wie soll der Verband auftreten?
Hilscher: Auf unserer Delegiertenversammlung haben wir unsere Mitglieder klar darauf eingeschworen: Wir stellen Medienpolitik ins Zentrum unserer Arbeit. Wir sind keine Bittsteller. Wir haben den Anspruch, Möglichmacher zu sein, ein Thinktank für Demokratie und Medienzukunft. Wir wollen und werden Lösungen liefern. Natürlich gibt es Herausforderungen. Aber wenn Politik stockt, gehen wir selbst voran. Diese Haltung vertreten wir auch gegenüber der Politik. Und da müssen wir klare Kante zeigen.
Lassen Sie uns die aktuellen Problemfelder durchgehen – vor allem jene, für die es noch keine klaren Lösungen gibt. Ein großer Komplex sind die Tech-Riesen, von denen Sie sagen, dass sie Ihnen Ihr Geschäft schwerer machen. Stichwort ist hier der “Plattform-Soli”, den Kulturstaatsminister Wolfram Weimer ins Spiel bringt. Ist das der richtige Weg?
Ditzen-Blanke: Man muss zwei Ebenen unterscheiden. Erstens: Wie stark tragen Plattformen heute zur Finanzierung unseres Gemeinwesens bei? Zweitens: Wie sehr greifen sie in Werte ein, die für unser demokratisches Verständnis zentral sind? Aus unserer Sicht ist klar: Unternehmen, die in Deutschland enorme Umsätze erzielen, müssen sich auch an unserem Gemeinwohl beteiligen. Eine Digitalabgabe oder Digitalsteuer ist deshalb konsequent. Andere Länder – Frankreich, Italien, Österreich – haben sie längst. Wenn wir knappe Haushaltsmittel haben, aber gleichzeitig unser demokratisches System erhalten wollen, ist das ein logischer Schritt. Es ist die Grundlage für weitere Maßnahmen.
Hilscher: Staatsminister Weimer ist momentan derjenige, der dieses Thema konsequent vorantreibt – und dafür bekommt er unsere volle Unterstützung. Wichtig ist ein Unterschied: Eine Digitalsteuer fließt in den allgemeinen Haushalt. Eine Digitalabgabe hingegen kann gezielt eingesetzt werden. Darum plädieren wir eindeutig für die Abgabe. In Europa gibt es beide Modelle.
Österreich hat eine Form der Digitalsteuer, trotzdem erleben wir dort gerade einen massiven Stellenabbau im Journalismus. Hilft eine solche Abgabe wirklich?
Ditzen-Blanke: Eine einzelne Maßnahme löst das Problem nicht. Wir brauchen ein Bündel: nationale, europäische und landespolitische Entscheidungen – von Plattformregulierung über KI-Rahmen bis zum Schutz geistigen Eigentums in der gesamten Kreativwirtschaft. Es geht um faire Rahmenbedingungen. Eine Digitalabgabe kann dazu beitragen, die ökonomische Ausgangslage auszubalancieren und gleichzeitig Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen. Unser Ziel ist nicht, den Status quo zu konservieren, sondern Bedingungen zu schaffen, die Fortschritt und Weiterentwicklung erlauben.
Hilscher: Und man muss sehen: Eine Digitalabgabe kann die Grundlage dafür schaffen, die 0 % Mehrwertsteuer für Presseprodukte durchzusetzen. Dann würden Medienunternehmen unmittelbar entlastet. Warum setzen wir so stark auf die 0 %? Weil sie sofort wirkt, staatsfern und inhaltsneutral ist und keine zusätzliche Bürokratie erzeugt. Alles andere würde zu einem Bürokratiemonster führen. Das wollen wir vermeiden. Wenn wir die 0 % bekommen, dann müssen wir als Branche aber auch liefern: investieren, digitalisieren, Innovationen schaffen.
Noch mal zurück zur Digitalabgabe: Gegner, wie etwa Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, warnen, die Abgabe könne die transatlantischen Beziehungen belasten – etwa, weil die USA oder ein Präsident Trump das als Angriff sehen könnten. Teilen Sie diese Sorge?
Hilscher: Nein. Frau Reiche hat auch gesagt, wir bräuchten weniger Regulierung, statt mehr. Aber das greift zu kurz, denn Regulierung findet längst statt, nur nicht durch uns: Sie passiert de facto über die großen Plattformen, die entscheiden, was gesehen und gelesen wird. Wir vertreten europäische Werte und sind der Auffassung, dass Europa seine Gesetze unabhängig von amerikanischen Vorstellungen gestalten muss. Deshalb kann ich die Warnung vor einer Belastung der Beziehungen nicht nachvollziehen.
Ditzen-Blanke: Lassen Sie uns die Frage umdrehen: Wie sehr halten wir die Spannung im transatlantischen Kontext überhaupt aus? Politik hat die Aufgabe, unser System und unsere Werte zu schützen. Wenn sie das nicht tut oder wenn sie selbst die Mechanismen der Plattformen nutzt, um Macht zu maximieren, dann verfehlt sie ihren Auftrag. Kurz gesagt: Politik muss sich fragen, ob sie das Gemeinwohl noch ernst nimmt.
Haben sich Verlage in der Vergangenheit zu oft gegenseitig torpediert – zum Beispiel im Umgang mit Google und früher Facebook? Viele große Häuser hatten ja individuelle Vereinbarungen mit den Plattformen, statt geschlossen das Leistungsschutzrecht durchzusetzen.
Ditzen-Blanke: Das erinnert an ein Gefangenendilemma – und zeigt gleichzeitig die enorme Marktmacht von Google. Wir sehen inzwischen aber ein Umdenken, nicht zuletzt mit Blick auf KI. Verwertungsgesellschaften wie Corint bekommen Zulauf. Die Diskussion über gemeinsame Lösungen nimmt Fahrt auf. Ein zentrales Problem in Deutschland ist das Kartellrecht: Wenn Verlage sich zusammenschließen wollen, um gegenüber Plattformen stärker aufzutreten, stoßen sie auf wettbewerbsrechtliche Grenzen. Das ist unfair – wir kämpfen mit ungleichen Waffen. Deshalb muss der Gesetzgeber erkennen, dass die historisch gewachsenen Regelungen angepasst werden müssen, damit Medienhäuser überhaupt eine Verhandlungsgrundlage gegenüber den Plattformen bekommen.
Welche konkreten Rechtsfragen stehen dabei im Vordergrund?
Ditzen-Blanke: Es geht unter anderem darum: Wer trägt die Beweislast gegenüber KI-Anbietern? Haben wir Verfügungs- und Vergütungsrechte an unseren Inhalten – und können wir diese durchsetzen? Ohne klare Rechtsgrundlagen lässt sich nichts nachhaltig regeln. Spannend ist übrigens, dass wir hier inzwischen auch verstärkt gemeinsame Positionen mit den öffentlich-rechtlichen Sendern sehen – unabhängig davon, wie jeder sein Recht letztlich einfordert.
Hilscher: Genau deshalb muss das europäische Urheberrecht weiterentwickelt werden. Auf EU-Ebene brauchen wir Transparenzpflichten: Es kann nicht sein, dass wir zuerst alles nachweisen müssen, was KI-Unternehmen womöglich aus unseren Inhalten gezogen haben. Wir müssen den politischen Handlungsrahmen in Europa deutlich ausbauen.
Ich fürchte, die Technik entwickelt sich schneller als die Politik – die Regulierung läuft oft hinterher. Wie wollen Sie das als Verband verhindern?
Ditzen-Blanke: Wir können die Politik nur immer wieder sensibilisieren und den gesellschaftlichen Diskurs anstoßen. Wenn man den führenden Medienpolitikern zuhört, ist vielen bewusst, dass sie hinterherhinken. Ohne Streit und ohne klare Entscheidungen werden wir den Status quo nicht erhalten – es geht ja nicht nur ums Geschäftsmodell, sondern um die Zukunft unseres Mediensystems und die Werte, die dahinterstehen.
Welche Mittel setzen Sie konkret ein?
Ditzen-Blanke: Unser wirkmächtigstes Mittel ist, Themen öffentlich zu machen und Druck aufzubauen – Diskussionen zu führen, Aufmerksamkeit zu erzeugen und Politik zu verpflichten. Dies tun wir im Dialog mit unserem Publikum. Dabei erklären wir zum Beispiel immer wieder, dass es heute Anbietern wie Alphabet, Meta oder Bytedance nicht mehr “nur” darum geht, Daten zu sammeln und kommerziell zu verwerten, sondern dass die großen Plattformen mittlerweile dazu imstande sind und auch genutzt werden, Meinungen zu beeinflussen und politische Entscheidungen herbeizuführen. Wenn man dann etwa auf die Marktmacht allein der Google-Suche schaut, bohren wir extrem dicke Bretter. Weiß ich. Doch nur eine informierte Öffentlichkeit trifft auch informierte Entscheidungen.
Hilscher: Zusätzlich liefern wir konkrete Vorschläge – besonders auf europäischer Ebene. Wir müssen klar benennen, was reguliert werden muss, damit unabhängiger Journalismus in Europa weiter möglich bleibt. Die Entwicklung von KI-Sprachmodellen hat vielen Verlagen klargemacht: Wir müssen gemeinsam agieren – inklusive der Öffentlich-Rechtlichen.
Ein gutes Stichwort: Wie steht es um den Dauerkonflikt zwischen dem ÖRR und den Verlegern? Zuletzt haben Sie das Beihilfe-Verfahren gegen die ARD, das Sie bei der EU eingereicht hatten, auf Eis gelegt, weil es konstruktive Gespräche gibt. Was wird in diesen Gesprächen besprochen?
Hilscher: Zunächst geht es stark um das Thema KI und darum, wie wir mit den Öffentlich-Rechtlichen – besonders mit der ARD – im Schulterschluss agieren können. Es geht darum zu zeigen, dass es sich nicht nur um ein Zeitungs- oder Zeitschriftenthema handelt, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Medien-Thema in Deutschland und in Europa: Wie schützen wir die Demokratie? Dass wir etwas “auf Eis legen” heißt aber nicht, dass wir es vergessen – der Konflikt bleibt. Zentral bleibt für uns das Thema Presseähnlichkeit. Daran werden wir in allen Gesprächen immer wieder deutlich erinnern und Änderungen einfordern. Wir setzen dabei auch auf den neuen Medienstaatsvertrag und hoffen, dass dadurch ein klares Umdenken bei den Öffentlich-Rechtlichen beginnt und die Presseähnlichkeit massiv reduziert wird.
Bei den Öffentlich-Rechtlichen höre ich oft, dass sie nichts dagegen haben, wenn KIs ihre Inhalte nutzen. Sie wollen nur sicherstellen, dass Inhalte nicht verfälscht werden. Bei Verlagen ist das aber anders: Sie müssen abwägen, wie offen sie ihre Seiten für Bots machen. Wie ist Ihr Stand zur KI-Nutzung?
Ditzen-Blanke: Inzwischen erklären auch die Öffentlich-Rechtlichen bei ihren Robots-TXT-Dateien Nutzungsvorbehalte – das ist eine wichtige Weichenstellung, weil die Sender die Gefahr der Verfälschung sehen. Wir brauchen aber mehr als technische Voreinstellungen. Wir brauchen einen belastbaren Rechtsrahmen. Und das wollen wir gemeinsam fördern. Uns Verlagen geht es auch um Vergütungsrechte, die fordern wir ein. Ob ARD oder ZDF diese nutzen, ist eine andere Frage. Wenn die ÖRR-Sender Inhalte produzieren, dann sind die zwar Allgemeingut. Aber wenn amerikanische Konzerne mit diesen Inhalten Geld verdienen, muss man das politisch hinterfragen. Wir meinen, dass es hier differenzierte Lösungen braucht.
Zum Dauerkonflikt Presseähnlichkeit: Wie sähe für Sie eine Lösung aus? Wie sollte das ideale Verhältnis zwischen Verlagen und Öffentlich-Rechtlichen aussehen?
Ditzen-Blanke: Für uns ist der “Sendungsbezug” zentral: Öffentlich-Rechtliche haben den Auftrag, audiovisuell und visuell Inhalte zu produzieren. Begleitende Texte sind okay, wenn sie der Hinführung zum Beitrag dienen. Problematisch wird es, wenn nur der Text gelesen und der audiovisuelle Beitrag kaum noch wahrgenommen wird – dann ist der Zweck verfehlt. Genau hier setzen wir mit unserer Kritik an und hoffen, dass die Änderungen im Medienstaatsvertrag helfen, diese Einordnung zu schärfen.
Zum Schluss noch ein Blick auf das Verhältnis zwischen dem BDZV und der Funke-Mediengruppe: Ein sehr großes Haus, das aktuell nicht mehr in Ihrem Verband aktiv ist. Gleichzeitig hat Julia Becker im Interview mit mir im Sommer sehr von den Gesprächen mit Ihnen geschwärmt und betont, dass sie sich gehört fühlt. Hoffen Sie, dass Funke zurückkehrt?
Ditzen-Blanke: Zwischen uns allen – Stefan Hilscher, unserem Hauptgeschäftsführer Jörg Eggers und der Funke-Gruppe – gibt es einen guten, konstruktiven Austausch. Mit Julia Becker teilen wir eine sehr klare Einschätzung der medienpolitischen Herausforderungen und nehmen viel Unterstützung wahr. Und das gilt nicht nur für Funke, sondern auch für Schwäbisch Media oder etwa die NOZ/mh:n Medien. Die finanzielle Basis ist zentral: Mit Blick auf Plattformen und KI brauchen wir mehr Solidarität. Natürlich würden wir uns freuen, wenn Funke diese Solidarität mit einer Rückkehr dokumentieren würde.
Hilscher: Das gilt nicht nur für Funke, sondern auch für andere Verlage. Wir haben die Rahmenbedingungen angepasst und damit zukunftsfest gemacht. Gleichzeitig haben wir klar definiert, dass unser Fokus auf Medien- und Tarifpolitik liegt – genau das, was unsere Mitglieder eingefordert hatten. Deshalb setzen wir sehr auf das Prinzip der Solidarität. Ein Verband, eine Stimme.