Vom Ohr ins Herz: Wie Verlage mit Nähe und Innovation ihre Zukunft gestalten
Wie kann der Wandel im Pressevertrieb gelingen, ohne Leserinnen und Leser zu verlieren? Und wie gewinnt man gleichzeitig neue Zielgruppen? Beim BDZV-Vertriebsgipfel 2025 in Köln bekamen mehr als 100 Branchenvertreter konkrete Antworten aus Deutschland, Dänemark und den USA: vom digitalen Montag über Audio-Journalismus bis zur Rolle von KI und Community. Ein entscheidender Faktor: Vertrauen und Nähe zum Publikum.
„Unsere Branche ist wie Schottland“
Moderatorin Andrea Domin (Märkische Allgemeine) fasste die Stimmung der Branche treffend zusammen: „Sonne und Wolken wechseln ständig – aber Lichtblicke zeigen uns immer wieder neue Wege.“ Print bleibe für viele Häuser wirtschaftlich unverzichtbar, doch der Schlüssel zur Zukunft liege im besseren Verständnis der Zielgruppen. „Noch nie hatten wir so viele Werkzeuge, um zu verstehen, was Leserinnen und Leser wollen – und wie wir Relevanz erzeugen können“, sagte Domin.
Zetland aus Dänemark: Audio schafft Nähe
Für einen starken Impuls sorgte Tav Klitgaard, CEO des dänischen Medienunternehmens Zetland. Seine Redaktion produziert alle Inhalte in Text- und in Audioform. Die Nutzer entscheiden selbst, wie sie Nachrichten konsumieren möchten – und 83 Prozent hören lieber als zu lesen. „Audio ist das persönlichste Medium, das wir haben“, sagte Klitgaard. „Es schafft Vertrauen und Bindung.“
Zetland zählt 75.000 zahlende Mitglieder, rund 40 Prozent davon zwischen 20 und 30 Jahren. Der Erfolg beruht auf konstruktivem Journalismus, positivem Tonfall, enger Community-Einbindung und Mundpropaganda als wichtigem Vertriebskanal. „Wir suchen in jeder Geschichte die Hoffnung. Das ist kein Schönreden, sondern eine Haltung.“
Sein Appell an deutsche Verlage: „Sagt nicht mehr, junge Leute würden nicht für News zahlen. Sie tun es – wenn wir ihnen zuhören und Geschichten so erzählen, dass sie sie berühren.“
Vertrieb zwischen Struktur und Dialog
Mario Lauer (Süddeutsche Zeitung) stellte die Pressegrosso-Allianz „Fit for Future“ vor, die seit 2022 an einer Reform des Vertriebssystems arbeitet. Sie soll faire Zustellung und Diskriminierungsfreiheit sichern. „Mitwirken ist immer besser als nur teilnehmen“, betonte Lauer.
Sophie Oldenbruch (Batch) zeigte anhand europäischer Beispiele, wie datengetriebene Kommunikation Leserbindung konkret stärkt: Mit personalisierten Push-Nachrichten, proaktiven Hinweisen bei auslaufenden Abos und sauberer Datennutzung lassen sich Kündigungen deutlich reduzieren.
Mut zur Veränderung: taz und Verlagsgruppe HCSB
Wie Transformation gelingen kann, zeigten Andreas Marggraf (taz) und Michael Göppel (HCS Medienwerk). Die taz druckt seit Oktober werktags nicht mehr. Vor der Umstellung setzte die Redaktion auf intensive Kommunikation: Persönliche Telefonate, Testzugänge, monatliche Updates und Community-Einbindung führten dazu, dass bisher rund 80 Prozent der Leserinnen und Leser den Weg ins Digitale mitgingen. „Das Ende von Print? Nein – der Anfang einer neuen Lesegewohnheit“, so Marggraf. Eine Erkenntnis aus der Nutzerbefragung: Auch digital wünschen sich viele Menschen ein abgeschlossenes Produkt und den Look der Tageszeitung.
Göppel berichtete vom Pilotprojekt „Digital-Montag“ der Verlagsgruppe HCSB aus Hof: Montags kein Print, dafür ein erweitertes E-Paper mit allen Lokalteilen und Bonus-Inhalten wie dem digitalen Rätselmagazin. Ergebnis: „Der Montag ist inzwischen unser stärkster digitaler Tag – mit einer deutlich gesteigerten E-Paper-Nutzung.“ Zudem spare das Modell 15 Prozent Logistikkosten. Göppel mit einem Augenzwinkern: „Wir lieben inzwischen den Montag – anders als Garfield.“
KI, Kontrolle und die Rolle des Lokalen
Marc Dillmann (BDL) zeigte, wie KI im Vertrieb helfen kann, Prozesse zu automatisieren und Angebote zu personalisieren. David Pfau (conreri) warnte hingegen vor der Schattenseite: Synthetischer Traffic durch Bots werde massiv zunehmen. „Wir müssen strategisch entscheiden, wer auf unsere Inhalte zugreifen darf – und wie wir sie schützen.“ Mit konkreten Maßnahmen und Reaktionsmöglichkeiten demonstrierte Pfau, wie sich Verlage technisch gegen den Inhalte-Klau durch die großen Plattformen wappnen können. Aber auch bei den Plattformen wachse die Einsicht, dass das digitale Ökosystem gute (Verlags-)Inhalte brauche. Daraus ergeben sich für Publisher neue Erlösquellen, erwartet Pfau.
Ulrike Langer zeigte mit konkreten Beispielen aus den USA, wie sich US-Publisher für Google Zero wappnen, also den erwarteten Einbruch beim Search-Traffic durch KI-Zusammenfassungen. Qualität sei wichtiger als Masse, direkte Publikumsbindung wichtiger als Search. „Menschen folgen Medien wegen Journalisten, nicht wegen Datenbanken“, so Langer. Sie empfiehlt drei Strategien: Neue Nutzungsgewohnheiten und tägliche Rituale schaffen, Leser mit Community-Programmen aktiv einbinden, mit Bundle-Strategien für maximalen Wert sorgen. Für Verlage sei es essenziell, sich im Lokalen unverzichtbar zu machen. Denn der Wettbewerbsvorteil für Publisher liege nicht in der Nutzung möglichst vieler KI-Tools, sondern im lokalen Content und Fachwissen, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde. “Das kann keine KI.“
Julius Sandmann (Badische Neueste Nachrichten) zeigte, wie Redaktionen mit KI und User Needs relevanter werden können. Am Ende gehe es darum, Daten intelligent zu nutzen – nicht, ihnen zu folgen.
Der BDZV-Vertriebsgipfel 2025 machte deutlich: Zukunft entsteht dort, wo Verlage nah an ihren Nutzerinnen und Nutzern bleiben. Nähe, Vertrauen, Datenkompetenz und Mut zum Experiment prägen das Selbstverständnis der Branche. Oder, wie Tav Klitgaard es formulierte: „Unser Geschäft basiert auf Vertrauen – das ist es, was wir verkaufen.“