„Attenatat am Blumenstand“

Von Helmut Frangenberg und Laura Ostenda

Folge Eins: „Der Anschlag auf dem Kölner Markt“

Attentat auf OB Henriette Reker
Kölner Stadt-Anzeiger

[Sprecher]: Attentat am Blumenstand, der Angriff auf Kölns Oberbürgermeisterin und die Gefährdung der Demokratie Folge eins. Der Anschlag auf dem Kölner Markt.

Zitatcollage:

[O-Ton Nachrichtensprecher]: „Reker hatte am Morgen einen Wahlkampftermin als plötzlich ein Mann mit einem Messer auf sie losging.

[O-Ton Henriette Reker]: „Ich gab ihm die Rose und das ging ja blitzschnell. Aus heiterem Himmel.“

[O-Ton Karlo Kreitz, Polizeisprecher]: „Wir haben eine Mordkommission eingerichtet. Frau Reker wird derzeit intensivmedizinisch betreut.“

[O-Ton Straßenumfrage]: „Für ne Stadt, die für Toleranz bekannt ist, ist das nicht fassbar.“

[O-Ton Martin Bachmann]: „Ich hab dieses Trauma immer noch. Wenn ich abends ins Bett gehe, sehe ich dieses blutige Messer“

[O-Ton Katja Hoyer]: „Wir haben ja später Anschläge gehabt, bis hin zu Mord, deswegen ist es für mich persönlich als auch für die Demokratie ein trauriger Tag“

[Helmut Frangenberg]: Es ist Samstag, der 17. Oktober 2015. Der letzte Tag vor der Oberbürgermeisterwahl in Köln. Die Kölnerinnen und Kölner sind aufgerufen, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Jürgen Rothers zu wählen.

Da wird am letzten Tag vor dem Wahlsonntag noch einmal ordentlich Reklame gemacht. So auch auf dem Marktplatz im Kölner Stadtteil Braunsfeld, wo CDU, Grüne und FDP als Unterstützer der damaligen Sozialdezernentin der Stadt, Henriette Reker, Wahlkampf machen. Reker hat einen vollen Terminkalender, den kennt offensichtlich auch der arbeitslose Anstreicher Frank S. Er hat im Internet nachgesehen, wo er an diesem Tag auf Henriette Reker treffen kann.

Und so machen sich die OB-Kandidatin und ihr Attentäter fast zeitgleich auf nach Braunsfeld. Reker verteilt auf dem Marktplatz Rosen, als sie von Frank S. angesprochen wird. Er fragt nach einer Blume und sticht ihr mit einem Rambo-Messer in den Hals.

Mit dem zweiten Messer attackiert er anschließend vier weitere Menschen. Alle haben Glück im Unglück. Zentimeter, vielleicht Millimeter, können bei einem Messerstich entscheidend sein.

„Attentat am Blumenstand, der Angriff auf Kölns Oberbürgermeisterin und die Gefährdung der Demokratie“ - das ist der Titel unserer Podcast-Reihe bei KStA.de. Wenn Sie KStA.de/Attentat in ihre Adresszeile eintippen, bekommen sie gleich alle sieben Folgen. Mein Name ist Helmut Frangenberg und ich begrüße Sie ganz herzlich. Wir wollen in dieser Reihe nicht nur einen weiteren Fall in unserer erfolgreichen Reihe True Crime Köln erzählen, sondern auch über den Zustand unserer Demokratie sprechen. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, da ist einiges ins Rutschen geraten. Im Rückblick ist der Anschlag auf Henriette Reker eine Zäsur.

Wir zeichnen noch einmal nach, was auf dem Marktplatz im Kölner Stadtteil Braunsfeld geschah, als Henriette Reker angegriffen wurde. Es kommen Opfer zu Wort, die erstmals über das Geschehen sprechen. Wir haben mit dem Täter Kontakt aufgenommen, der sich mit Kölns Oberbürgermeisterin im Gefängnis treffen will. Und wir sprechen über die Frage, was jemanden zu einem Gewalttäter macht. Welche Faktoren kommen da zusammen.

Politikerinnen und Politiker sind sich mit Experten und Beobachterinnen des politischen Geschehens einig. Die Verrohung der Debatten und die gleichzeitige Radikalisierung von gewaltbereiten Menschen sind eine größer werdende Gefahr. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung hat zu erschreckenden Ergebnissen geführt.

Da wurden Menschen anonym befragt, die in der Kommunalpolitik aktiv sind. Rund die Hälfte sagt, dass sie Bedrohungen und Beschimpfungen erlebt. Jeder Dritte Befragte sagt sogar, dass er schon tätlich angegriffen worden ist. Von den meisten dieser Fälle erfährt die Öffentlichkeit wenig.

Denn nur wenige zeigen die Straftaten an, noch weniger gehen in die Öffentlichkeit, wie es zuletzt der Bedburger Bürgermeister Sascha Solbach gemacht hat. Seine Familie wurde bedroht, weil eine Halle zur Flüchtlingsunterkunft umgebaut werden sollte. Auch mit ihm werden wir sprechen. Ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik wollte auch Frank S. damals im Jahr 2015 setzen.

So hat er seine Tat noch am Tatort und später vor Gericht begründet. Der Anschlag auf Henriette Reker ist der erste Mordanschlag eines Rechtsradikalen auf einen Menschen, der in der Kommunalpolitik aktiv ist nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das hat es also seit dem Ende der NS-Zeit nicht gegeben.

Seitdem gab es weitere Anschläge. Im Jahr 2019 tötete ein Rechtsextremist den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke mit einem Kopfschuss. Auch da gab der Mörder die Flüchtlingspolitik als Motiv an.

Wir wollen in unserer neuen Podcast-Reihe auch über die Gefahren für die Demokratie sprechen, über die Frage, wie und warum sich Menschen radikalisieren und was man dagegen tun kann. Das Attentat auf Henriette Reker ist eben nicht nur ein Einzelfall. Der Einzelfall steht für eine schlimme und gefährliche Entwicklung.

Wir gehen zurück in den Oktober 2015. Kurz nach dem Anschlag gibt der Sprecher der Kölner Polizei Karlo Kreitz Auskunft.

[O-Ton Karlo Kreitz:] „Ich kann Ihnen sagen, auf dem Wochenmarkt hier in Köln- Braunsfeld hat die Oberbürgermeisterkandidatin an einem Wahlkampfstand teilgenommen. Während sie Utensilien verteilt hat, ist sie unvermittelt von einem Mann angegriffen worden. Er hat sie mit einem Messer schwer verletzt. Ebenso auch ihre Begleiterin, hinzukommende Helfer.

Sie haben leichte bis mittelschwere Verletzungen erlitten bei dem Versuch, den Mann zu überwältigen. Der Mann ist festgenommen, ist 44 Jahre alt. Wir haben eine Mordkommission eingerichtet. Frau Reker wird derzeit intensivmedizinisch betreut. Vor Ort läuft derzeit die Tatortarbeit, das heißt Spurensicherung, Zeugensuche, Zeugenbefragung. Für uns ganz wichtig, wir haben derzeit keine Gefahrenlage. Der Angreifer ist unter Kontrolle.“

[Helmut Frangenberg]: Schnell war also klar, dass man es mit einem Einzeltäter zu tun hatte. Der hatte schon am Tatort wenig Zweifel daran gelassen, aus welcher politischen Ecke er kommt. Die Polizei sagt zum Motiv jedoch erst einmal nichts. Was auch die Ausführung des Kollegen Daniel Dähling erklärt, der kurz nach der Tat für Radio Köln berichtet.

[O-Ton Daniel Dähling]: „Reker ist eine der beiden aussichtsreichsten Kandidaten für den Kölner Oberbürgermeisterposten. Reker hatte am Morgen einen Wahlkampftermin im Stadtteil Braunsfeld, als plötzlich ein Mann mit einem Messer auf sie losging und sie schwer verletzt. Vier weitere Menschen wurden bei dem Versuch, den Mann zu überwältigen, ebenfalls verletzt, davon einer schwer. Die Polizei konnte den Mann festnehmen. Das Motiv ist noch unklar, auch ob der Mann geistig verwirrt ist. Die Oberbürgermeisterwahl morgen soll aber wohl stattfinden, sagt die Stadt Köln. Sie berät in diesen Minuten über das weitere Vorgehen.“

[Helmut Frangenberg]: Henriette Reker bleibt nach dem Anschlag zunächst bei Bewusstsein. Den Ärzten sagt sie, dass sie in jedem Fall am nächsten Tag wählen, gehen will. Die Wahl findet statt, aber ohne die spätere Oberbürgermeisterin, denn die wurde im Krankenhaus für vier Tage in ein künstliches Koma versetzt.

Die Nachricht vom Anschlag auf Henriette Reker und die Angriffe auf drei Wahlkampfhelferinnen und einen Helfer holten natürlich auch die Redaktion des Kölner Stadtanzeiger aus dem Wochenende. In kürzester Zeit waren die Kolleginnen und Kollegen am Start. Vor Ort waren unsere damalige Polizeireporterin Claudia Hauser, die heute bei der Rheinischen Post arbeitet, und mein Kollege Tim Stinauer. Sie beide erinnern sich an einen besonderen Arbeitstag.

[O-Ton Tim Stinauer]: „Das Attentat geschah an einem Samstag, morgens um kurz vor neun. Und der Samstag war eigentlich der einzige einigermaßen garantiert freie Tag in der Woche als Reporter, weil Sonntag keine gedruckte Zeitung erscheint. Ich hatte also frei und bekam dann gegen halb zehn, zehn einen Anruf von einem Polizisten, den ich gut kannte und der mir berichtete, was da gerade in Braunsfeld passiert war. Und da war natürlich klar, dass dieser Tag jetzt einen ganz anderen Verlauf nimmt als geplant. Ich habe sofort mit der Redaktion telefoniert. Da war die Nachricht vom Attentat auch gerade eingegangen und sofort war klar, jeder und jede, der und die gerade in Köln ist, lässt alles stehen und liegen und fährt in die Redaktion.“

[O-Ton Claudia Hauser]: „War ja Henriette Rekers letzter Wahlkampftag und so konnte man auf dem Wochenmarkt dann sehen, da war alles schon mit rot-weißem Band abgesperrt dann von der Polizei, aber man konnte noch sehen ein Sonnensegel, das für sie geworben hat und Rosen lagen auf der Erde, die sie dort bei der letzten Wahlkampfveranstaltung verteilt hat.

Es lagen überall rote, blutverschmierte Tücher auch dazwischen. Es sah auf dem Boden ziemlich chaotisch aus, war aber wie gesagt alles schon abgesperrt. Das Sonnensegel hatte noch einer der Zeugen benutzt, das war einer ihrer Wahlkampfhelfer, um auf den Attentäter einzuschlagen und genau das war so der erste Eindruck vom Tatort, aber die Verletzten waren natürlich schon in den Kliniken, vorher wird die Presse auch nicht dazu gerufen.“

[O-Ton Tim Stinauer]: „Andere Kollegen und Kolleginnen haben aus der Redaktion herausgearbeitet, zum Beispiel Hintergrundrecherchen angestellt, Interviewpartner angefragt. Ich erinnere mich an einen Psychologen, der was zum möglichen Psychogramm eines solchen Täters gesagt hat und mein Part war alles über den Attentäter herauszufinden. Ich habe dann ein bisschen telefoniert und irgendwann am Vormittag dann auch einen Namen und eine Adresse erfahren von Frank S. und bin da hingefahren. Ich erinnere mich da noch gut dran, es ist eine ruhige Seitenstraße in Nippes, geht von der Neusser Straße ab, denkmalgeschützte Häuser, eine Einbahnstraße, an der Ecke ein Kiosk, gegenüber eine Kneipe und in der Mitte dieser Straße dann das Mehrfamilienhaus, in dem Frank S. im Erdgeschoss gewohnt hat.

Restauriert, denkmalgeschützt, er hatte oder seine Wohnung hatte kein Fenster zur Straße hin, sondern nur zum Innenhof, man konnte also die Wohnung von außen nicht sehen. Ich habe Hausbewohner angesprochen, also in der Straße geklingelt, die aber alle keine Auskunft geben wollten über Frank S. oder vielmehr konnten. Also was man da herausfinden konnte an diesem Morgen war, dass er wohl gelernter Anstreicher war, aber seit einiger Zeit arbeitslos und sehr viel zu Hause gewesen sein soll und die meisten Nachbarn kannten ihn nicht mehr vom Sehen.

Also es bildeten sich dann natürlich im Laufe des Vormittags kleinere Gruppen von Nachbarn auf dieser Straße, das war natürlich das Tagesthema, gerade da in Nippes, aber auch in den Kneipen und in dem Kiosk, da im Umfeld wusste niemand etwas über Frank S. Also er hat alles in allem ganz offenbar sehr zurückgezogen gelebt und war sehr unauffällig.“

[Helmut Frangenberg]: Wir haben auch drei der fünf Opfer nach ihren Erinnerungen an den Tag des Attentats befragt. Neben Henriette Reker sind das die ehemalige FDP- Ratspolitikerin Katja Hoyer und die CDU-Bezirksvertreterin Marliese Berthmann.

Außerdem haben wir mit Martin Bachmann gesprochen, der damals am Wahlstand der Grünen geholfen hat. Er ist derjenige, der sich dem Attentäter entgegenstellte und ihn in Schach hielt, bis Polizei und Krankenwagen in Braunsfeld ankamen.

Zitatcollage:

[O-Ton Katja Hoyer]: „Also es war ein Samstag, ein Tag, wo er natürlich am Waffenmarkt in Braunsfeld stattfindet.“

[O-Ton Martin Bachmann]: „Ja, das war in einem Tag, in einem Samstagmorgen, genau S Uhr. Ich war zuständig für den grünen Tisch.“

[O-Ton Katja Hoyer]: „Frau Reker ist dann gekommen und wir haben dann miteinander gesprochen. Sie hatte so einen Strauß Rosen in der Hand und da kam dann jemand auf sie zu und fragte, ob er eine Rose haben könnte.“

[O-Ton Martin Bachmann]: „Als sie ihm die Blumen gab, geben wollte, hatte er mit dem Messer an den Hals gestochen.“

[O-Ton Henriette Reker]: „Dieses Attentat hat mich wirklich völlig unvermittelt getroffen. Der Attentäter kam ja auf mich zu, fragte, ob er auch eine Rose bekommen könnte und ich gab ihm die Rose und dann, das ging ja blitzschnell.“

[O-Ton Katja Hoyer]: „Ja, aus heiterem Himmel. Also das passiert Ihnen ja immer wieder, dass Sie, wenn Sie irgendwie am Stand stehen, habe ich ja vorher auch sehr oft erlebt, dass man Blumen verteilt hat und dass dann jemand auf Sie zukommt und sagt, kann ich eine Blume haben? Dann ist das ja normal.“

[O-Ton Henriette Reker]: „Zunächst habe ich überhaupt nichts wahrgenommen. Ich war ja etwas weiter in den Markt gegangen, hörte plötzlich hinter mir so tumultartige Szenen.“

[O-Ton Martin Bachmann]: „Und als ich da stand, habe ich von hinten eine Stimme gehört, eine laute, springende Stimme und ich sah, dass die Frau Reker hinter mir ist auf den Boden geworfen worden, so einfach.“

[O-Ton Marliese Berthmann]: „Und ich dachte, was ist das denn? Wer ist denn hier gestürzt? Fahrrad, ich weiß nicht was alles, obwohl ich Frau Reker vorher gesehen habe. Ich habe der ja meinen Strauß Rosen gegeben und habe gesagt, sollen Sie hinten verteilen. Und da sah ich so eine Type da stehen und alle waren weg, waren alle weg.

Und ich dachte, der springt ja auf den Kopf.“

[O-Ton Henriette Reker]: „Ja, ich habe eigentlich mich gesehen wie in einem Film. Und habe auch gedacht, das bin doch jetzt nicht ich, das passiert doch mir jetzt nicht gerade.

So, und dann war ich aber auch wirklich nur noch mit mir beschäftigt, weil ich ja dann auch zu Boden ging und den Handschuh auszog und die Blutung kompressierte. Und dann war ich diese Minuten, bis der Rettungswagen kam, wirklich nur noch mit mir beschäftigt.“

[O-Ton Katja Hoyer]: „Dann ist der ja noch weitergezogen, hat auch noch eine Parteifreundin von mir verletzt mit dem Messer, die hinter uns am Stand war. Und dann auch noch eine Kollegin von der CDU und einen Kollegen von den Grünen.“

[O-Ton Marliese Berthmann]: „Ja, und wie er in der Schule war, da gehe ich halt hin und schreie den an. Bist du verrückt? Weiß ich nicht mehr genau, ne? Und zu meinem völligen Entsetzen, zieht er aus der linken Hosentasche, das sehe ich immer, obwohl ich kein bisschen dramatisiert bin, zieht er ein Butterfly-Messer raus.“

[O-Ton Katja Hoyer]: „Ja, ich bin dann auch irgendwie, ich habe dann auch noch ein bisschen was abgekriegt, also ganz minimal, nur so einen kleinen Kratzer. Aber ich bin dann sofort runter, weil es ja dann da lag.“

[O-Ton Marliese Berthmann]: „Dann zieht er das Messer raus und dann habe ich hier diese Abwehrhaltung gemacht. Das war vielleicht gut, dadurch war der Stich nicht so tief, ne? Sondern der hatte ja nur, oder der war einen Millimeter am Darm vorbei. Ich hatte wahnsinniges Glück gehabt.“

[O-Ton Katja Hoyer]: „Man wusste auch gar nicht, was passiert da noch, ist er jetzt alleine offensichtlich?“

[O-Ton Marliese Berthmann]: „Und als er das Messer zog, habe ich erst irgendwie so den Ernst der Lage begriffen. Und dann blieb der stehen, das hat mich am meisten gewundert.“

[O-Ton Martin Bachmann]: „Ich habe blitzartig reagiert und andere Parteikolleginnen und -kollegen sind geflüchtet. Ich meine, es ist selbstverständlich, für die anderen, weil sie Angst hatten, aber ich habe gar keine Angst.“

[O-Ton Marliese Berthmann]: „Der hat da so gestanden und hat gedacht, er vollendet sein Werk. So habe ich das wahrgenommen.“

[O-Ton Katja Hoyer]: „Das war dann ein großer Tumult. Ich wusste in dem Moment, weil ich vorher da gewesen war, dass auch Ärzte auf dem Wochenmarkt waren. Die habe ich dann gerufen.“

[O-Ton Martin Bachmann]: „Ich habe ihn mit dem grünen Schirm auf die Schulter geschlagen und gefragt, was haben Sie nochmal, sowas. Dann hat er dieses Messer aus der Haustasche rausgeworfen. Das war in dieser Zeit. Ich habe ihn in Schach gehalten und habe ihm so laut gesagt: Sie dürfen sich nicht bewegen. Wenn Sie sich bewegen, dann bekommen Sie Probleme von mir. Aber heftig. Haben Sie verstanden jetzt? So lange habe ich ihn in Schach gehalten, bis die Polizei kam.“

[O-Ton Henriette Reker]: „Ich erinnere aber, dass ich auf die Aachenstraße geguckt habe und dass jemand durch diese Autos lief mit erhobenen Händen und irgendwas rief. Ich dachte, hoffentlich wird der jetzt nicht auch noch überfahren. Dann dachte ich, hoffentlich bin ich nicht so schwer verletzt im Rückenmark, dass ich im Rollstuhl lande, weil ich mit dem Rollstuhl nicht durch die Badezimmertür komme. Komisch, was man dann denkt in so einer Situation.“

[O-Ton Martin Bachmann]: „Als ich ihm einen Schlag verpasst habe, hat er das blutige Messer in den Busch geworfen. Danach habe ich ihn weiter begleitet. Ich fragte, was er machen wollte. Was haben Sie noch? Haben Sie noch ein Messer? Er hat ein Klappmesser aus seiner Hosentasche genommen und hat es auf den Boden geworfen.“

[O-Ton Katja Hoyer]: „Er wird sich den Ort ausgesucht haben, weil das im Internet stand. Dass sie an dem Tag bereit im Braunswald am Markt stehen würde und für die Bürger und Bürgerinnen zu Verfügung stehen, würde zum Gespräch. Das hatte er vorher auch alles ganz genau geplant.“

[O-Ton Marliese Berthmann]: „Die lag da, ich habe kein Blut gesehen. Ich hörte nur ein Schreien. Es war ein Polizist im Zivil am Markt einkaufen. Deswegen war die Polizei so schnell da.“

[O-Ton Martin Bachmann]: „Danach habe ich ihn gefragt, warum wollen sie töten? Da sagte ihm einer, sie hat mein Vaterland verraten! Mit dieser hässlichen Stimme.“

[O-Ton Katja Hoyer]: „Dass jemand für eine politische Überzeugung, ja im Grunde genommen wollte, hätte er sie getötet. Und das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar.“

[O-Ton Martin Bachmann]: „Und die Frau Reker lag flach mit dem Rücken auf dem Boden. Die ganze Zeit. Als die Polizei kam und ich ihn abgegeben habe, bin ich zu Frau Reker gegangen, habe sie hochgehoben, also mit dem Kopf und dem Rücken, und habe sie auf meinem Bein gehalten, mit ihr geredet, also habe ich gesagt: Henriette, mach dir keine Gedanken, es geht alles gut, wir schaffen das, alles geht gut, jetzt müssen wir warten, bis der Krankenwagen kommt, alles ist gut, ich bin bei dir, du bist nicht allein.

Sie hatte natürlich auch ein Tuch, wir haben gemeinsam dieses Tuch auf die Wunde gelegt, damit nicht mehr Blut nicht fließen konnte. Danach haben wir gewartet, bis der Krankenwagen kam.“

[O-Ton Henriette Reker]: „Nachdem ich im Rettungswagen lag, habe ich gedacht, oh Gott, was ist jetzt den anderen passiert, das habe ich nämlich nicht miterlebt.“

[O-Ton Marliese Berthmann]: „Ich merkte, es war so warm hier, und dann habe ich mitten am Markt die Hose aufgemacht und sah, dass da Verletzungen waren.“

[O-Ton Henriette Reker]: „Ich bin zwar schwer verletzt worden, aber da ich ja nicht bewusstlos wurde nach dem Messerstich, sondern weil ich als junge Juristin mal bei der damaligen Holzberufsgenossenschaft gearbeitet habe und wusste, wie man mit solchen Stichverletzungen umgeht, habe ich mich selbst gerettet, und insoweit bin ich ja dem Täter dann doch entronnen. Also er hat sein Ziel nicht erreicht, sondern ich habe überlebt.“

[O-Ton Marliese Berthmann]: „Ich hatte an dem Abend immer nur gedacht, boah, hey, was hast du für ein Glück gehabt. Ehrlich, immer gedacht, was hast du für ein Glück gehabt.“

[Helmut Frangenberg]: Soweit die Erinnerungen von Henriette Reker, Katja Hoyer, Marliese Berthmann und Martin Bachmann an den 17. Oktober 2015.

Mit der Frage, wie die Opfer das Geschehen verarbeiten, werden wir uns ausführlicher in einer separaten Episode dieser Podcast-Reihe befassen.

Der Umgang mit der Tat und die Folgen der Tat sind für die Beteiligten höchst unterschiedlich. Eins kann man vorwegnehmen: Derjenige, der am intensivsten von den Geschehnissen verfolgt wird, ist ausgerechnet der Retter. Martin Bachmann, wir haben Ihnen das ganz am Anfang dieser Folge sagen hören, sieht jeden Abend immer wieder den Mann mit dem blutigen Messer. Anders als diejenigen, die verletzt wurden, wird er weiter von Frank S. verfolgt. Die Frage nach dem Umgang und der Verarbeitung stellt sich auch in einem anderen höchst spannenden Zusammenhang.

Frank S. hat sich über die Leitung des Gefängnisses, in dem er einsitzt, bei der Kölner Oberbürgermeisterin gemeldet und nach einem Zusammentreffen gefragt. Eine solche Begegnung kann Teil von echten Resozialisierungsbemühungen sein. Vielleicht ist die Anfrage aber auch nur ein taktisches Manöver, um für eine frühzeitige Entlassung aus dem Gefängnis zu werben.

Wie auch immer, Henriette Reker ist nun mit dieser Frage konfrontiert, ob sie sich mit dem Attentäter treffen soll oder nicht. Ich habe mit ihr darüber gesprochen. Das ganze Interview mit Kölns Oberbürgermeisterin gibt es in Folge 3 unserer Podcastreihe bei KStA.de.

Eine Verabredung im Rathaus in den Räumen der Kölner FDP-Fraktion: Wir treffen die Kommunalpolitikerin Katja Hoyer. Zum Zeitpunkt des Gesprächs ist sie noch stellvertretende Fraktionschefin. Mittlerweile hat sie nach fast 25 Jahren im Kölner Stadtrat ihren Posten und ihr Mandat abgegeben. Im Gegensatz zu den anderen Opfern von Frank S. hat sie bislang noch nie öffentlich über das Attentat gesprochen. Wir haben ein paar ihrer Erinnerungen schon eben in der Chronologie der Ereignisse gehört. Wenn man mit den Opfern spricht, wird schnell klar, dass die Wahrnehmung der Geschehnisse höchst unterschiedlich sein kann. Ein Gefühl für zeitliche Abläufe, überhaupt das Zeitempfinden geht verloren. Nicht alles, was passiert, bekommt jeder der Beteiligten mit. So hat der Retter Martin Bachmann überhaupt keine Erinnerung mehr an die anderen Opfer neben Frau Reker. Auch Katja Hoyer glaubt, dass sie sich in einer Art Tunnel befunden hat.

[O-Ton Katja Hoyer]: „Sie haben dann irgendwie, glaube ich, gar kein Zeitgefühl in dem Moment. Mir erschien das schrecklich lange im Grunde genommen.

Also, ich glaube, Frau Reker ist relativ schnell geholfen worden. Aber es war schon noch eine Zeit. Vor allen Dingen war es ja wohl auch im ersten Moment noch so ein bisschen schrecklich, weil der Mann ja nicht sofort... Also er hat ja nicht nur Frau Reker verletzt, er hat dann ja auch wirklich noch... Andere sind auch schwer verletzt.

Irgendjemand sagte immer, der hätte noch irgendwelche Parolen gerufen. Weiß ich aber nicht. Ich habe das auch gesagt, dass ich das nicht gehört habe.

Vielleicht war ich da auch in so einer Art Tunnel im Grunde genommen.“

[O-Ton Katja Hoyer]: „Dass sie selbst einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt waren, haben wohl alle, die verletzt worden sind, erst realisiert, als es zu spät war. Dann haben die anderen vielleicht auch erst noch gar nicht... Die haben nur gemerkt, da ist Tumult oder sowas. Und die eine Kollegin ist dann gekommen. Und ja, dann hat sie den Beweg gestanden. Und dann hat er sie niedergestochen im Grunde genommen.“

[Helmut Frangenberg]: Wie ging es nach dem Anschlag weiter? Wie war das Gefühl, als einem klar wurde, was einem widerfahren ist?

[O-Ton Katja Hoyer]: „Ja, mein Mann ist gekommen. Er hat mich zum Krankenhaus begleitet, ins Krankenhaus begleitet. Und dann sind wir nach Hause gefahren.

Da war dann meine Familie, meine Kinder dann auch noch. Und ja, wir standen ja alle unter Schock. Also man selber steht unter Schock.

Aber auch alle drumherum. Ich meine, es ist natürlich auch für eine Familie eine schlimme Erfahrung, wenn sie erleben, dass da so eine Situation ist, die so bedrohlich ist. Wir haben natürlich ganz viele Nachrichten bekommen und irgendwelche Anrufe, die sich an dem Tag dann aber auch gar nicht entgegengenommen haben.

Also außer jetzt enge Freunde und Familie. Weil das war ja wirklich bedrohlich. Was mir ganz wichtig war, schon an dem Tag immer, ich wollte immer unbedingt wissen, wie es den anderen ging. Also insbesondere Frau Reker auch.“

[Helmut Frangenberg]: Für alle ist es gut ausgegangen. Katja Hoyer ist nur leicht verletzt worden. Andere wie Marlise Berthmann oder natürlich auch Henriette Reker hätten sterben können, wenn der Einstich nur ein paar Millimeter mehr links oder rechts gewesen wäre. Ganz wichtig war für Katja Hoyer Solidarität und Anteilnahme zu erfahren, unabhängig von der Parteizugehörigkeit.

[O-Ton Katja Hoyer]: „Es stand ja irgendwie dann alles unter diesem Eindruck und abends gab es dann ja auch noch eine große Veranstaltung, wo sich die ganzen Parteien zusammengefunden haben. Was ich da an dem Tag auch als sehr schön empfunden habe, dass es da so ein gemeinsames Zeichen gegeben hat. Und ich muss auch sagen, dass die Reaktionen, die mich danach von allen demokratischen Parteien erreicht haben, das ist ganz egal von welcher politischen Seite, das war schon sehr schön und sehr ermutigend. Und das war auch so ein Punkt, wo ich gedacht habe, ja, das lohnt sich, du weißt, wofür du es machst.

Weil es ist ja schon dann in dem Moment, wo man dann denkt, ja, willst du das denn jetzt überhaupt noch alles so weitermachen? Und eigentlich habe ich da gar nicht so viel drüber nachgedacht. Also ich hatte danach schon öfters mal ein mulmiges Gefühl, wenn ich zu irgendwelchen Marktständen oder Wahlkampfständen gegangen bin. Das war am Anfang nicht so schön, aber das habe ich dann auch überwunden.

Und wie gesagt, diese Reaktionen von allen politischen Seiten und vor allen Dingen auch von meiner eigenen Partei, das war schon sehr ermutigend.

[Helmut Frangenberg]: Welche Folgen hat das Attentat für Sie gehabt?

[O-Ton Katja Hoyer]: „Also, Sie stehen dann wirklich erstmal unter Schock. Und ich habe mir da auch erstmal eine Auszeit genommen und war dann auch froh, als ich relativ schnell schon, glaube ich, mit Frau Reker irgendwie in Kontakt gekommen konnte und wusste irgendwie, nachdem sie aus dem Koma erwacht ist, das war dann auch schon wieder ein guter Schritt. Und ich selber habe dann, ja, das so nach und nach, also zum Beispiel am Anfang war es für mich immer ganz schwierig, wenn Leute auf mich zugekommen sind und ich konnte nicht sehen, wo die die Hände hatten. Wenn die die in den Taschen hatten, habe ich immer so im ersten Moment gezuckt, weil ich gedacht habe, vielleicht zieht der vielleicht ein Messer. Also das war für mich schwierig. Und auch die ersten Wahlkampfstände waren für mich nicht so ganz einfach. Aber das wussten auch meine Parteifreunde und Parteifreunde, die waren dann da. Und dann kommen sie irgendwann auch wieder in eine Normalität.

Das Einzige, was ich bis heute nicht mehr mache, ich verteile keine Blumen. Das habe ich bis heute nicht wieder gemacht. Das ist also vielleicht noch so ein Relikt aus dieser Zeit. Irgendwie diese Blumen und das Messer, das ist so sehr eng beieinander, ja.“

[Helmut Frangenberg]: Keine Blumen mehr am Wahlkampfstand. Die FDP ist bei der Kommunalwahl 2020 aus dem Unterstützerbündnis für Henriette Reker ausgestiegen. Im Stadtrat versteht sie sich seitdem als Teil der Opposition gegen das grün-schwarze Ratsbündnis. Doch das ändert nichts an einer parteiübergreifenden Verbindung der Opfer von damals, egal aus welchem politischen Lager sie stammen.

[O-Ton Katja Hoyer]: „Sie treffen all diejenigen ja immer noch. Das ist ja so, dass sie immer noch alle politisch aktiv sind. Ich denke aber, wir haben alle durch diesen Tag eine besondere Verbundenheit.“

[Helmut Frangenberg]: Katja Hoyer ist für viele Beobachter und Beobachterinnen des kommunalpolitischen Geschehens so etwas wie das soziale Gewissen der FDP.

Sie ist eine engagierte Sozialpolitikerin im Stadtrat gewesen. Und sie hat damals auch dafür gesorgt, dass die FDP-Teil eines breiten Bündnisses blieb, das sich einig war, möglichst viel für eine menschenwürdige Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen zu tun. Wer herkam, sollte auch anständig behandelt werden.

Der Attentäter hat später gesagt, dass er Henriette Reker angegriffen habe, weil er an die damalige Kanzlerin Angela Merkel nicht rangekommen wäre. Reker war für ihn eine Symbolfigur. Insofern waren auch alle mit gemeint, die dafür waren, Flüchtlinge anständig zu behandeln.

[O-Ton Katja Hoyer]: „Ja, das war auch so eine Situation. Frau Reker war zu der Zeit, als das Attentat auf sie verübt wurde, ja Sozialdezernentin. Und es war ja auch in der Zeit 2015, 201c, wo sehr viele Geflüchtete nach Köln gekommen sind. Und sie dann auch immer in Kontakt mit den Fraktionen standen. Es wurden ja immer wieder neue Einrichtungen gebaut. Es wurden Tourenhallen belegt.

Aber wir hatten eigentlich alle demokratischen Fraktionen uns damals verstanden, dass wir keine Zelte haben wollten. Und wir haben auch immer alle sehr gut zusammengestanden. Also da wurde auch nicht auf Kosten dieser Thematik gegeneinander Wahlkampf gemacht.

Und ich habe dann auch die Position von Frau Reker unterstützt. Und dann war das schon sehr belastend, wo man eigentlich dachte, sie ist für eine Position angegriffen worden, die ich dann in der damaligen Situation ja genauso vertreten habe wie sie. Und da fühlte man sich ja ein Stück weit irgendwie mit in Haftung genommen.

Das fand ich dann schon auch noch ein bisschen schwierig.“

[Helmut Frangenberg]: Katja Hoyer kann die Tat eines Attentäters in einen größeren Kontext einordnen. Und sie zieht daraus eine Selbstverpflichtung für demokratische Parteien.

[O-Ton Katja Hoyer]: „Ja, also für mich ist es immer noch so, dass jemand für eine politische Überzeugung ja im Grunde genommen wollte, hätte er sie getötet. Und das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Und ich glaube, ich reagiere sehr empfindlich. Auseinandersetzungen, nicht körperliche Gewalt, erlebe ich aber gar nicht, aber ich glaube, ich reagiere auch relativ empfindlich bei dem Thema verbale Gewalt. Weil ich immer glaube, wir müssen versuchen vernünftig miteinander umzugehen und wenn wir auch gerade in der Politik einen Umgang pflegen, der ja auch in der Wortwahl nicht angebracht ist, leisten wir auch so ein bisschen Vorschub damit, dass so politische Auseinandersetzungen ja von dem Niveau her nicht mehr so sind, wie man sie sich vielleicht hin und wieder auch mal wünscht.

Ich glaube, da muss man auch sagen, da haben wir vielleicht auch eine gewisse Vorbildfunktion und da bin ich glaube ich immer sehr pingelig und ich blicke aufmerksam auf das Thema Gewalt. Das ist ja nicht nur ein Thema, was wir in der Politik erleben oder gegenüber Politikern oder Politikerinnen. Das finde ich so schlimm, dass zum Beispiel Einsatzkräfte, Polizei, Sanitäter in ihrem Einsatz für andere Menschen gehindert werden oder Gewalt erleben müssen. Das trifft mich schon immer sehr.“

[Helmut Frangenberg]: Wer auf kommunaler Ebene Politik macht, tut dies ehrenamtlich. Außer einer kleinen Aufwandsentschädigung und äußerst seltenem Lob gibt es nichts. Das muss man wissen, um das Attentat auf Henriette Reker als Zäsur zu verstehen. Minister, Kanzler, Profipolitiker, die haben schon immer viel Wut und Hass von Verirrten und Verwirrten abbekommen, aber sie haben auch einen Apparat, ein Büro und im Zweifelsfall auch Personenschützer, die den Umgang damit erleichtern.

Kommunalpolitikerinnen und Politiker haben so etwas nicht.

Wenn Tabus fallen, wenn sich immer mehr radikalisieren, dann wird es gefährlich.

Nicht nur für die Menschen, die sich auf kommunalpolitischer Ebene engagieren. Es wird auch gefährlich für die Demokratie. Katja Hoyers Fazit zum Ende ihres Rückblicks auf die Ereignisse im Oktober 2015.

[O-Ton Katja Hoyer]: „Das war schon ein Tag, der einen natürlich geprägt hat und es war ja irgendwie auch so das erste Mal, dieses Attentat, dass jemand so angegriffen worden ist, dass es wirklich um Leben und Tod ging. Das war ja das erste Mal mit Frau Reker und ja, das ist dann ja so ein Tag, der für mich persönlich schlimm war, aber irgendwie auch ein Tag, der so eine Wende auch eigentlich skizziert hat. Wir haben ja nachher wirklich auch Anschläge gehabt bis hin zu Mord in der Kommunalpolitik und deswegen finde ich, ist es eigentlich für mich persönlich, aber auch für die Demokratie ein trauriger Tag.“

[Helmut Frangenberg]: Auch dieses Thema werden wir in den nächsten Folgen unserer Podcast-Reihe vertiefen. Zurück zu jenem Wochenende, an dem Henriette Reker zur neuen Oberbürgermeisterin gewählt wurde. In Abwesenheit sozusagen und auch vor dem Hintergrund, dass keiner wissen konnte, ob sie denn im Falle eines Wahlsiegs überhaupt ihr Amt antreten könnte. Das Attentat sorgte für einen Schock, der überall in der Stadt zu spüren war.

[O-Töne Straßenumfrage Radio Köln]: „Furchtbar bedrückt und wütend, weil ich sag mal für einen Kölner, der an sich für Toleranz steht und für eine Stadt, die für Toleranz bekannt ist, ist das nicht fassbar.“

„Das finde ich super schlimm. Das ist unfassbar.“

„Ich finde schon wichtig, dass die Wahl trotzdem stattfindet, egal was passiert ist.“

„Ja, gerade auch wegen des Attentats, dass man zeigt, dass wir trotzdem da sind und unsere Stimme abgeben und uns nicht einschüchtern lassen.“

„Keine Frage, jetzt erst recht. Wir gehen wählen, mit oder ohne Anschlag.“

[Helmut Frangenberg]: Soweit ein paar Stimmen aus einer Umfrage von Radio Köln. Die Anteilnahme war groß, auch bei den politischen Parteien und auch beim politischen Gegner. Rekers einziger Konkurrent mit zumindest kleinen Chancen bei der OB-Wahl hieß Jochen Ott von der SPD. Dadurch, dass Reker von Grünen, CDU und FDP unterstützt wurde, war seine Ausgangslage denkbar schlecht. Außerdem war das Rekerbündnis mit den Sozis im Wahlkampf nicht gerade zimperlich umgegangen, aber das spielte nach dem Attentat keine Rolle mehr. Die demokratischen Parteien standen beieinander.

Am Abend nach dem Anschlag versammelten sich Vertreter der Landesparteien zu einer schweigenden Menschenkette vor dem Rathaus. Katja Hoyer hat es im Interview erwähnt. Dieses Zeichen der Solidarität war mehr als nur ein symbolisches. Es hat den Opfern Kraft gegeben. Man sei mit den Gedanken bei den Opfern, so wie die damalige NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

[O-Ton Hannelore Kraft]: „Für uns ist es wichtig, dass wir das geschlossen und gemeinsam tun, so haben wir uns heute hier verabredet.“

[O-Ton Armin Laschet]: „Wir wollen über alle Parteigrenzen hinweg zusammenstehen.

Dass Gewalt gegen ehrenamtlich Engagierte, gegen eine Oberbürgermeisterkandidatin möglich ist, ist ein Anschlag auf uns alle, auf die gesamte Demokratie. Und wir fordern auch alle auf, die Hass in sozialen Netzwerken und anderswo sehen, die Galgenow- Demonstrationen hochhalten. Die Regierung kehrt zurück zum anständigen Umgang miteinander, zur sachlichen Auseinandersetzung gegen die Gewalt.“

[Helmut Frangenberg]: Armin Laschet, der damalige Oppositionsführer im Landtag von der CDU, bezieht sich hier auf die Pegida-Demonstrationen, die mit Unterstützung von Rechtsaußenparteien den Hass auf Politiker auf die Straße getragen haben. Unter anderem, indem sie Galgen vor sich hergetragen haben. Ebenfalls bei der Solidaritätsbekundung vor dem Rathaus dabei, war die heutige stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubauer von den Grünen.

[O-Ton Mona Neubauer]: „Unsere Gedanken sind in allererster Linie bei Henriette Reker, ihrer Familie und natürlich den weiteren Verletzten. Wir sind alle schockiert, dass das möglich ist, dass Gewalt sich offen auslebt gegenüber Ehrenamtlern und Politikerinnen und Politikern. Wir stehen hier zusammen mit einigen zahlreichen Kölnerinnen und Kölnern, um genau das Signal zu setzen, Demokratie ist stärker als Hass und Gewalt.

Wir stehen als Politik dafür, dass wir in Frieden und gewaltfrei und tolerant miteinander unsere Gesellschaft gestalten.

[O-Ton Politiker]: „Also diese Tat ist ein Angriff auf uns alle, ist ein Angriff auf die Demokratie und vor allen Dingen das, was nachher passiert ist, was an heimischen Kommentaren passiert ist in den Online-Medien, das dürfen wir so nicht stehen lassen. Wir müssen zeigen, dass es anders geht, dass wir als Demokraten zusammenstehen und dass wir als Demokraten es auch nicht hinnehmen, dass nach einem solchen Angriff noch darüber gelacht wird, darüber gejubelt wird.

Der Dialog muss möglich sein in einer Demokratie und zum Dialog müssen wir alle zurückkehren. Und deswegen darf eine solche Tat nicht ohne Reaktion, so wie wir heute hier stehen, einfach in sich stehen bleiben.“

[O-Ton Jürgen Rothers]: „Auch wir Kölnerinnen und Kölner und die, die politische Verantwortung tragen, über die Parteigrenzen hinweg. Wir stehen zusammen gerade in dieser auch schweren Stunde für unsere Stadt. Aber wir wollen ein Signal setzen und ein Signal senden, dass Hass und Gewalt uns nicht davon abhalten kann, den demokratischen Dialog über die Parteigrenzen und vor allen Dingen auch mit den Bürgerinnen und Bürgern zu halten und das soll auch in Zukunft so sein. Wir stehen mehr zusammen als je zuvor.“

[O-Ton Hannelore Kraft]: „Das ist eine große Errungenschaft und die werden wir verteidigen, geschlossen und gemeinsam. Und Gewalt ist nie ein Mittel, sich auseinanderzusetzen und dagegen stehen wir heute hier gemeinsam.“

[Helmut Frangenberg]: Soweit der damalige Oberbürgermeister Jürgen Rothers und nochmal Hannelore Kraft. Auch Christian Lindner von der FDP war vor dem Rathaus dabei und er verband seine mahnenden Worte mit einem Appell an die Kölnerinnen und Kölner, wählen zu gehen.

[O-Ton Christian Lindner]: „Über die Parteigrenzen hinweg senden wir hier ein klares Signal, dass Gewalt niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein darf. Das, was wir heute erlebt haben, war nicht nur ein Gewaltakt, sondern auch ein Einschüchterungsversuch und genau das wollen wir uns nicht bieten lassen.

Wir wollen für unsere Meinungen und Überzeugungen stehen und auch die Kölnerinnen und Kölner können morgen ein solches Signal senden. Gerade nach so einer Tat wäre es ein ganz klares Signal aller Demokraten, wenn es morgen eine besonders hohe Wahlbeteiligung hier in Köln gäbe und dazu, glaube ich, in aller Namen rufen wir die Bürgerinnen und Bürger von Köln auf.“

[Helmut Frangenberg]: Das hat leider nicht funktioniert. Natürlich darf man die Wahlbeteiligung nicht 1 zu 1 als Zeichen gegen Gewalt und Extremismus interpretieren, aber eine Quote von knapp über 40% war dann doch ein bisschen mager.

Die Mehrheit der Kölnerinnen und Kölner beteiligte sich nicht an dieser OB-Wahl. Henriette Reker bekam 53% der Stimmen, wie auch Jochen Ott von der SPD nur 32%. Nicht verschweigen wollen wir, dass 4,5% ihre Stimme den Kandidaten von Rechtsaußenparteien gaben.

Das tolerante, weltoffene und sich selbst gern feiernde Köln war schwer angeschlagen und auch ein bisschen ratlos, wie es weitergehen sollte. Nicht nur, weil man nicht wusste, ob denn die gewählte Kandidatin tatsächlich ins Rathaus einziehen würde.

Dafür steht auch ein Gespräch, das mein Kollege Brian Schneider am Wahlabend im Rathaus mit dem scheidenden Oberbürgermeister Jürgen Rothers geführt hat. Mit dem Attentat verbinden sich entscheidende, weitergehende Fragestellungen. Aus der Antwort auf die Frage, was man vom Täter und seinen Motiven weiß, entwickelt sich ein erstes Nachdenken über die Zukunft der kommunalen Demokratie.

[O-Ton Jürgen Rothers]: „Vielleicht ist es eine Mischung zwischen Verwirrtsein und politischem Hintergrund. Das ist ja immer nie so glasklar abzutrennen. Und dass er der rechtsradikalen Szene früher angehört hat oder sich eher zugehörig fühlt, das hat er wohl zum Ausdruck gebracht.

Also von daher muss man schon eine gewisse Besorgnis haben. Aber andererseits dürfen wir uns nicht unterkriegen lassen. Wir müssen jetzt gerade zeigen, auf lokaler Ebene, in den Bezirken, in der Stadt, da müssen die Politiker ja mit den Bürgern sprechen. Und umgekehrt, die Bürger wollen doch ihre Vorstellungen, ihre Sorgen vortragen. Und wenn man dann irgendwie mit Bodyguards durch die Gegend läuft, was man sich gar nicht vorstellen kann, dann ist das keine lokale Demokratie mehr.

[O-Ton Brian Schneider]: „Aber das macht die Aufgabe ja nicht einfacher am Ende des Tages, oder?“

[O-Ton Jürgen Rothers]: „Nein, das macht sie nicht einfacher.“

[O-Ton Brian Schneider]: „Sie sprechen ja das Thema Bodyguards an. Da entstehen ja auch Ängste bei Menschen, die sich vielleicht engagieren wollen, aber jetzt sagen, warum soll ich mich für die Stadt, für das Gemeinwohl, auch als Mitglied des Rates, da verdiene ich nicht großartig Geld. Also da muss ich ja wirklich mit viel Idealismus dahinterstecken. Warum sollte ich das noch tun?“

[O-Ton Jürgen Rothers]: „Wir müssen insgesamt sehen, es ist ein Ehrenamt. Das sind Menschen, die in ihrer Freizeit auf den Straßen und Plätzen für die Partei werben oder auch ein Amt übernehmen. Und vielleicht müssen wir insgesamt, das gilt dann für alle Teile der Gesellschaft, auch für die Medien, diesen ehrenamtlichen Menschen mehr Respekt entgegenbringen. Wir neigen sehr schnell dazu, wenn mal etwas nicht so gut läuft, abschätzige Bewertungen über Politiker abzugeben, auch über Lokalpolitiker. Das ist die eine Seite. Also mehr Respekt gegenüber diesen Menschen.

Und zweite, dann, wenn wir sehen, es sind Rechtsextreme, die sich zum Beispiel in den sozialen Medien äußern, das haben wir jetzt gerade wieder festgestellt, mit einer Sprache, die wirklich unerträglich ist, dass wir das, soweit es eben geht, sofort anzeigen, zur Strafverfolgung bringen und nicht einfach sagen, das ist jetzt mal eine Einzelmeinung, sondern dass man dies auch mit aller Deutlichkeit macht. Wir wollen solche rechtsradikale Hetze weder im Netz, noch am Stammtisch, noch auf den Straßen.“

[Helmut Frangenberg]: Wir werden das in den nächsten Folgen vertiefen.

Henriette Reker wurde nach vier Tagen aus dem künstlichen Koma geweckt. Sie hat ihren Wahlsieg quasi verschlafen. Das kann man so flapsig formulieren, weil die Sache für sie gut ausgegangen ist. Ihr Mann erzählt ihr am Krankenbett, dass sie die neue Oberbürgermeisterin von Köln ist. Von da an arbeitet sie daran, das Amt anzutreten.

Darauf zu verzichten, wäre ihr nie wirklich in den Sinn gekommen, sagt sie im Interview, dass wir für diese Podcast-Reihe im Rathaus geführt haben.

Dass sie überlebt habe, und das nicht zuletzt durch ihr eigenes Dazutun, als sie nach dem Messerstich am Boden lag, wertet sie auch als Sieg über den Attentäter.

Er habe sein Ziel nicht erreicht. Hinzu kommt das, was man nicht beeinflussen kann.

[O-Ton Henriette Reker]: „Ich habe ja so viel Glück gehabt. Der liebe Gott wollte mich noch nicht.“

[Helmut Frangenberg]: Die körperlichen Beschwerden heilen, die bösen Träume, die sie anfangs hat, verschwinden und auch die seelischen Narben scheinen zu verheilen.

So empfindet es Henriette Reker zumindest. Sie habe keine externe Hilfe beim Verarbeiten des Geschehens gebraucht. Das sagt auch Marliese Berthmann von der CDU, die ebenfalls sehr viel Glück hatte, dass die Verletzung nicht schlimmere Folgen hatte. Darüber sei sie sich schon am Abend im Krankenhaus klar gewesen.

Marliese Berthmann erinnert sich an dieses Glücksgefühl.

[O-Ton Marliese Berthmann]: „Da musste ich mich immer zusammennehmen. Da muss ich Ihnen ehrlich sagen, dass ich nicht albern wurde vor Spaß. Wirklich. Aber ich konnte nur nicht lachen. Dann tat es ziemlich weh.“

[Helmut Frangenberg]: Das klingt ziemlich cool, abgeklärt und stark. Kann man so einen Anschlag auf das eigene Leben ohne externe Hilfe verarbeiten? Auch das ist ein interessanter Aspekt, den wir vertiefen werden. Denn es gibt nicht wenige, die glauben, dass das auf Dauer gar nicht geht. Das Erlebte und zeitweise Verdrängte könnten einen irgendwann doch mit voller Wucht wieder einholen.

Natürlich beschäftigen wir uns auch mit dem Täter. Frank S. wird am 1. Juli 2016 wegen versuchten Mordes zu 14 Jahre Haft verurteilt. Das Urteil ist nicht ganz unumstritten.

Vor allem deshalb, weil es ihm ermöglicht, in absehbarer Zeit wieder rauszukommen. Dazu mehr in der zweiten Folge unserer Podcast-Reihe „Attentat am Blumenstand. Der Angriff auf Kölns Oberbürgermeisterin und die Gefährdung der Demokratie“. Dann geht es um den zeitweisen äußerst bizarren Prozess gegen Frank S. vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht. Unsere Gerichtsreporter, Zeugen und die Richterin, die heute die Opferschutzbeauftragte des Landes NRW ist, erinnern sich.

Bis dahin! Machen Sie es gut. Mein Name ist Helmut Frangenberg. Bleiben Sie wachsam, aber auch gelassen.

[Sprecher]: Attentat am Blumenstand, der Angriff auf Kölns Oberbürgermeisterin und die Gefährdung der Demokratie. Ein Podcast des Kölner Stadt-Anzeiger in sieben Folgen.