Issio Ehrich
Kurzbiographie des Nominierten in der Kategorie Reportage 2024
Issio Ehrich ist ein freier Reporter und Fotograf, der vor allem über die Sahelzone in Afrika berichtet. Er beschreibt die Entwicklungen einer Region, die, geplagt von Terror, Korruption und Klimakrise, inmitten eines historischen Umbruchs steckt. Seine Reportagen erscheinen in der ZEIT, in GEO und anderen Wochenzeitungen und Magazinen in Europa. Im Herbst erscheint sein zweites Buch: „Putsch – Der Aufstand gegen Europas Kolonialismus in Afrika“.

Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?
Zwischen Idee und Reportage liegt in diesem Fall ein Kluft. Ich wollte nach Niger reisen, um über den Uran-Abbau im Norden des Landes zu berichten, über die Umweltverschmutzung und Ausbeutung, die damit einhergehen. Alles war vorbereitet, ich wartete nur noch auf meine Akkreditierung, als am 26. Juli 2023 Soldaten den Präsidenten des Landes, Mohamed Bazoum, stürzten. Plötzlich war es undenkbar, nach Niger zu reisen, ohne über diesen Putsch zu schreiben. Der Uran-Abbau wurde am Ende ein Element in einer viel größeren Geschichte: dem Kampf des nigrischen Volkes um seine Unabhängigkeit von der früheren Kolonialmacht Frankreich. Ein Leitmotiv der putschenden Soldaten und ein Garant dafür, dass ihnen den Rückhalt großer Teile der Bevölkerung sicher war.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie?
Die größte Hürde war es, überhaupt ins Land zu kommen. Nach dem Putsch wurde der Luftraum über Niger gesperrt. Eine Einreise auf dem Landweg wiederum wäre mir zu riskant gewesen. In vielen Nachbarstaaten Nigers sind vor allem in Grenznähe Ableger des IS und Al Kaidas aktiv, dazu andere bewaffnete Gruppen, die der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind. Ich lebte daher mehrere Wochen auf gepackten Koffern, buchte ein halbes Dutzend Flüge, die alle gecancelt wurden. Ende August 2023 gelang es mir dann, über Algerien mit einem der wenigen zivilen Flüge, die trotz der Sperrung des Luftraums abhoben, einzureisen.
Wie wurden Sie unterstützt?
Meine wichtigste Unterstützung waren meine Fixer in Niger, Omar Hama Saley und Mika Maiga. Allein dank ihrer Kontakte war ich der erste ‚westliche‘ Journalist, der nach dem Putsch durch das Land reisen konnte. Wichtig war es zudem, die Redaktion des Dossiers der Zeit im Rücken zu haben. So kurz nach einem Coup d’État vor Ort zu recherchieren, ist mit vielen Ungewissheiten verbunden. Weil das Militär damit beschäftigt war, seine Macht zu konsolidieren, nahmen in Teilen des Landes die Angriffe dschihadistischer Gruppen zu. In der einfachen Bevölkerung wuchsen anti-westliche Ressentiments. Und obendrein drohten auch noch die Mitglieder der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS mit einer bewaffneten Intervention gegen die Junta. Das sind Arbeitsbedingungen, die großes Vertrauen voraussetzen: von der Redaktion in den Reporter aber auch vom Reporter in die Redaktion.
Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?
Verschiedene journalistische Formen haben ganz unterschiedliche Ansprüche. Für mich als Auslandsreporter ist das Wichtigste, sich auf das Unerwartbare einzulassen. Auch wenn man noch so oft in ein Land reist, nimmt man als Reporter aus Deutschland seine europäische Perspektive mit. Ich habe bei meinen Recherchen immer dann am meisten gelernt, wenn sich meine vermeintlichen Gewissheiten in Luft aufgelöst haben.
Was braucht ein herausragender Artikel?
Ein herausragendes Ereignis. Daraus entsteht die Geschichte. Es muss kein weltpolitisches Geschehen sein, es kann auch ein Moment im Leben eines einzelnen Menschen sein, ein privater Augenblick. Am besten ist, wenn beides zusammenkommt.