Vom News-Update bis zum Deep-Talk
Lisa Böttinger ist Podcast-Redakteurin und Host von „BZ am Ohr“ sowie verantwortlich für Content- und Audio-Development bei der Badischen Zeitung in Freiburg. Im Interview spricht sie über ihre Arbeit und die Podcast-Strategie des Verlags.

Seit wann bietet die Badische Zeitung Podcasts an und welche Podcasts gehören zu den erfolgreichsten?
„200 Sekunden Baden“ ist der KI-assistierte News-Podcast der Badischen Zeitung. Seit Oktober 2022 erscheint er werktags ab 6:30 Uhr: So bekommt ihr jeden Morgen einen News-Überblick für die Region in unter vier Minuten.

Ausführlichen Deep-Talk liefert dagegen unser wöchentlicher Podcast „BZ am Ohr“. Seit April 2023 treffen unsere RedakteurInnen hier jede Woche spannende Gäste zu einem „Thema, das Südbaden bewegt“. Das können Klimaaktivistinnen, Bademeister, Bauern oder Professorinnen sein – das macht das Format so lebendig und erfolgreich. 2023 haben wir damit den „European Newspaper Award“ in der Kategorie Podcast geholt.
Unsere Podcast-Serie „Boomtown“ über den Freiburger Wohnungsmarkt spricht vor allem die Zielgruppe urban & U35 an, mit „Jenseits der Schwerkraft“ beleuchten wir ein schweres, aber sehr wichtiges Thema: Das Leben von Familien, die mit dem Tod eines Kindes rechnen oder leben müssen.
Wie reagiert das Publikum auf den KI-assistierten Podcast und wie alt ist der durchschnittliche Zuhörer?
Die Idee, einen täglichen, regionalen News-Podcast zu veröffentlichen, kommt bei den HörerInnen sehr gut an. Sie sind aber auch zu Recht empfindlich, wenn es zum Beispiel um die Aussprache ihres Wohnortes geht.
Ein Beispiel: Einer Hörerin in Hessen oder Brandenburg wäre es vermutlich egal, ob Rust – wo der deutschlandweit bekannte Europa-Park liegt – in einem Podcast mit kurzem oder langem „u“ gesprochen würde. Sie wüsste es schlicht nicht besser. Lesen die KI-Stimmen in einem südbadischen Nachrichtenpodcast allerdings „Russt“ statt „Ruust“, ist das zumindest ein bisschen peinlich. Im schlimmsten Fall aber gewinnen Hörerinnen und Hörer den Eindruck, ihre vertraute Heimatzeitung habe die Gemeindenamen im Verbreitungsgebiet sprachlich nicht richtig drauf. Da müssen wir höllisch aufpassen und auch immer wieder nachbessern. Wir schulen die KI dazu auch manuell: Indem wir zum Beispiel per Lautsprache „Ruust“ ins KI-Wörterbuch einpflegen. Insofern ist auch ein KI-Podcast mit Arbeit verbunden.
Wer und wie alt unsere HörerInnen sind, können wir zwar nicht für jede Podcast-Plattform ermitteln. Wir sehen aber: Die meisten – gut 80% – hören uns nicht über badische-zeitung.de, sondern dort, wo sie unterwegs sind: etwa auf Spotify. Dort sind die größten Altersgruppen die 18-34-Jährigen (gut 30%) und die 45-59-Jährigen (gut 30%), dicht gefolgt von den 35-44-Jährigen (25%).
Lisa BöttingerMit KI so viele verschiedene Erfahrungen wie möglich zu sammeln, ist unsere Pflicht als Redaktion. Wir können nur lernen, damit umzugehen, wenn wir selbst tagtäglich damit zu tun haben – und die Chancen und Tücken der Technologie quasi am eigenen Leib erfahren.

Welche Strategien verfolgt ihr, um die Interaktion und das Engagement der Zuhörerinnen und Zuhörer zu erhöhen?
Unser Highlight diesen Sommer waren drei Live-Podcasts mit Publikum: Ein True-Crime-Format in einer Freiburger Bar und zwei Expertentalks auf einem regionalen Innovationsfestival. Die Menschen, die man erreichen will, direkt vor der Nase zu haben, ist einfach unschlagbar – und loyalisiert unser Publikum.
Ansonsten setzen wir ganz klassisch auf Social Media, versuchen aber auch, Print-sozialisierte LeserInnen zu gewinnen. Viele unserer Interviews erscheinen gekürzt in der gedruckten Zeitung – wer das volle Gesprächserlebnis will, hört im Podcast weiter.
Welche Erkenntnisse habt ihr durch die Arbeit mit KI im Podcasting gewonnen und wo siehst du das größte Potenzial für KI im Journalismus?
Auch in unserem KI-Podcast steckt noch ziemlich viel Mensch. RedakteurInnen suchen die News aus, Mitarbeitende kürzen die Texte. Lediglich das Sprechen übernimmt die KI, sodass niemand frühmorgens im Studio stehen muss. Ob sich das überhaupt lohnt? Das werde ich oft gefragt und bin überzeugt: Mit KI so viele verschiedene Erfahrungen wie möglich zu sammeln, ist unsere Pflicht als Redaktion. Wir können nur lernen, damit umzugehen, wenn wir selbst tagtäglich damit zu tun haben – und die Chancen und Tücken der Technologie quasi am eigenen Leib erfahren. Das gilt für Stimm-KI im Podcast ebenso wie für Text und Bilder. Wir müssen nicht alles gutheißen und nutzen, was KI kann. Ihr Potenzial aber einfach liegen zu lassen, wäre fatal. Schließlich gibt es genug Herausforderungen, die uns die KI nicht abnimmt – dafür haben wir im Idealfall dann mehr Energie übrig.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Welche Innovation hat dich in der letzten Zeit begeistert?
Ganz klar: Das User-Needs-Konzept als Grundlage für redaktionelle Arbeit. Wie adressieren wir die – psychologisch bedingten – Bedürfnisse unserer NutzerInnen? Wie schreiben und produzieren wir Themen so, dass sie unser Publikum wirklich berühren? Dazu muss man verstehen, dass Menschen mehr als Information und Hintergrund wollen, wenn sie online Inhalte konsumieren. Inspiration, Hilfestellung, ein erweiterter Horizont, ganz einfach Spaß oder eine Meinung, an der ich mich reiben kann – das ist es, was sie suchen.
Es gibt glasklare, datenbasierte Erkenntnisse dazu, dass dieser nutzerzentrierte Ansatz mehr Lesezeit und sogar mehr Digital-Abos generiert. Dabei sind Nutzerbedürfnisse strenggenommen keine Innovation, sondern die Rückbesinnung auf etwas ganz Simples: Unsere gemeinsamen, menschlichen Grundbedürfnisse. Die verbinden ungemein. Und das kommt auch beim Publikum an.