„Wir verlieren unsere digitale Öffentlichkeit – und damit die Demokratie“

Interview mit Prof. Dr. Martin Andree

Medienwissenschaftler Prof. Dr. Martin Andree warnt zum Internationalen Tag der Pressefreiheit vor einer unterschätzten Gefahr: Big Tech. Im Gespräch erklärt er, warum soziale Netzwerke längst keine sozialen Orte mehr sind – und was jetzt passieren müsste, um die Kontrolle zurückzugewinnen.

Martin Andree
Thomas Fedra

BDZV: Herr Andree, soziale Netzwerke wie Facebook, X und TikTok prägen heute entscheidend den öffentlichen Diskurs. Haben wir unsere digitale Öffentlichkeit an wenige Tech-Giganten verloren?

Ja, genau das ist der Punkt. Unsere Messungen zeigen eine massive Konzentration im Digitalen auf wenige Plattformen. Das hat gravierende Folgen: Erstens haben wir als demokratische Gesellschaft keinerlei gestaltenden Einfluss mehr auf die digitalen Räume, die längst zu einer zentralen Arena von Meinungsbildung geworden sind. Wir verlieren damit die Gestaltungsmöglichkeiten einer Öffentlichkeit, die die Grundlage unserer Demokratie darstellt. Zweitens entsteht eine völlig inakzeptable und übrigens auch verfassungswidrige Bündelung von Meinungsmacht. Und drittens: Die redaktionellen Medien verlieren in der digitalen Welt ihre Finanzierungsgrundlage und werden von den Tech-Plattformen abhängig.

Andree: Was bedeutet das konkret für die öffentliche Debatte – gerade hier in Deutschland?

Die Algorithmen dieser Plattformen sind keine neutralen Werkzeuge. Sie belohnen Hass, Hetze, Häme. Populistische und extreme Positionen werden so systematisch verstärkt. Das fördert die Polarisierung und hilft aktiv vor allem populistischen und radikalen Parteien, während differenzierte, moderatere Positionen abgestraft werden. Die etablierten Medien und Parteien stehen dadurch gleichermaßen unter Druck: Entweder sie machen bei diesem Überbietungswettbewerb mit, verlieren dann aber an Seriosität und Glaubwürdigkeit. Oder sie weigern sich – dann wirken sie lahm, öder und verlieren in der digitalen Sphäre an Sichtbarkeit.

Und das hat auch Auswirkungen auf die Pressefreiheit?

Natürlich. Wenn Algorithmen entscheiden, was sichtbar ist und was nicht, dann ist das eine Form der inhaltlichen Kontrolle. Hinzu kommt: Viele Journalistinnen und Journalisten sehen autokratische Regierungen und restriktive Eingriffe als Hauptfeinde der Pressefreiheit. Dass die Bedrohung der Medienfreiheit durch Big Tech ebenso inakzeptabel ist und vor allem in der westlichen Welt das viel größere Problem darstellt, ist in der öffentlichen Debatte leider noch gar nicht angekommen.

Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für unsere Demokratie insgesamt?

Die Monopolisierung der Meinungsmacht in der digitalen Welt hat die zentralen Säulen freier Medien längst ausgehebelt: Unabhängigkeit, Anbietervielfalt und ein starker Anteil journalistischer Inhalte. Zudem gibt es eine starke Verflechtung zwischen den US-Plattformen und der Trump-Regierung. Da wird die Staatsferne der Medien de facto abgeschafft. Unter solchen Bedingungen können wir nicht mehr von freien Medien sprechen.

Sie sprechen von einem Zusammenspiel zwischen amerikanischen Tech-Konzernen und der Trump-Regierung. Wie gefährlich ist das?

Extrem gefährlich. Genau deshalb sind Medienmonopole verfassungswidrig – sie machen eine politische Instrumentalisierung möglich. Das muss unter allen Umständen verhindert werden. Was wir brauchen, ist eine radikale Umkehr: Sofort die Monopole aufbrechen und die Medienmärkte wieder für Wettbewerb öffnen. Zusätzlich müssten wir umgehend sämtliche Verträge der öffentlichen Hand mit US-Cloud-Anbietern kündigen.

Doch stattdessen bauen wir unsere Abhängigkeit noch weiter aus: Der Bundesrat empfiehlt gerade den bundesweiten Einsatz von Palantir-Software für die Polizei. Das BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) schließt eine neue Kooperationsvereinbarung mit Google und Amazon. Natürlich können wir jetzt die Inkompetenz der Verantwortlichen anprangern. Aber wir müssen uns auch fragen: Wo bleibt die Kritik und wo bleibt der Aufschrei in den Medien? Offenbar haben die Medienschaffenden das Ausmaß der Gefahr noch immer nicht erkannt.      

Mit Ihrer Initiative „Save Social“ wollen Sie gegensteuern, um „soziale Netzwerke als demokratische Kraft zu retten“. Was genau ist Ihr Ziel?

„Save Social“ ist so interessant, weil hier ganz unterschiedliche Akteure zusammengefunden haben – aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft. Unser Ziel ist es, Alternativen zu schaffen: digital souveräne Angebote, die wirklich sozial und demokratisch sind. Aber es geht nicht nur um neue Plattformen, sondern vor allem um klare politische Maßnahmen. Ohne eine echte Marktöffnung haben alternative Angebote schlicht keine Chance.

Was gibt Ihnen Hoffnung, dass wir die Kontrolle zurückgewinnen können?

Ehrlich gesagt, habe ich im Moment wenig Hoffnung. Die Koalitionsvereinbarungen greifen zwar Einzelaspekte auf, gehen aber nicht weit genug. Wir sehen aktuell in den USA, wie schnell die Demokratie dort kippt. Wenn wir in diesem schwachen Tempo weitermachen -ohne unternehmerischen Mut und ohne klare Vision für echte digitale Souveränität – dann hat sich das Thema in ein, maximal zwei Jahren erledigt.

Ein letzter Blick in die Zukunft: Wie gefährlich ist generative Künstliche Intelligenz für die Medien? Kann Journalismus überleben, wenn KI bald Nachrichten schreibt und Suchmaschinen Inhalte so zusammenfassen, dass die Originalquellen in den Hintergrund treten?

Aus Sicht meiner Forschung ist die aktuelle Entwicklung der generativen KI „nur“ die konsequente Fortsetzung von Prozessen, die wir seit Jahrzehnten beobachten – also die Entwertung journalistischer Inhalte, Desinformation, Monopolisierung, die Verlagerung der Wertschöpfung von den Inhalten hin zu den monopolistischen Plattformen, die weitgehende Enteignung der Urheber, der Verlust einer geteilten Wahrheit und so fort. Es ist nur die letzte Stufe einer in sich konsistenten Entwicklung, die durch unsere massive Fehlregulierung des digitalen Raums überhaupt erst möglich wurde und die nun die Grundpfeiler von Journalismus und Demokratie infrage stellt.