Presserat rügt Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht

Der Deutsche Presserat hat im April sechs Rügen wegen schwerer Verstöße gegen den Pressekodex ausgesprochen. Kritisiert wurden mehrere Medien, darunter Bild.de für die Verletzung des Persönlichkeitsschutzes von Kriegsgefangenen und die vorverurteilende Berichterstattung über einen Mediziner. Auch die Berliner Zeitung wurde wegen ungeprüfter Veröffentlichung eines falschen Wahlaufrufs gerügt.

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Bild.de verletzt Persönlichkeitsschutz von Kriegsgefangenen

Bild.de erhielt eine Rüge, weil die Redaktion in dem Artikel „Ukraine nimmt zwei Nordkorea-Soldaten gefangen“ den Persönlichkeitsschutz von Kriegsgefangenen verletzte. Die Redaktion nutzte einen Post des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, um über die Gefangennahme von zwei mutmaßlich aus Nordkorea stammenden Soldaten zu berichten. Sie zeigte Fotos der verletzten Gefangenen und Bilder eines russischen Armeeausweises. Der Presserat sah darin eine massive Verletzung des Persönlichkeitsschutzes nach Ziffer 8 des Pressekodex.

Unbelegte Behauptung über Grünen-Abgeordneten

Bild.de erhielt eine Rüge wegen einer unbelegten Äußerung über den Grünen-Bundestagsabgeordneten Andreas Audretsch. Unter der Überschrift „Gau für die Grünen“ berichtete die Redaktion über mutmaßliche Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen den Kandidaten der Partei für die Bundestagswahl, Stefan Gelbhaar, und behauptete, Audretsch sei in diesen Vorgang „verstrickt“. Die Redaktion lieferte jedoch keine Belege für diesen Vorwurf und verstieß damit gegen die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex.

Ungeprüfter Wahlaufruf veröffentlicht

Die Online-Ausgabe der Berliner Zeitung erhielt eine Rüge wegen eines schweren Verstoßes gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex. Die Redaktion berichtete auf Grundlage von Social-Media-Posts von AfD-Politikern, der laut IQ-Wert schlauste Mann der Welt rufe zur Wahl der AfD auf. Eine Recherche hätte Zweifel an den von der Partei veröffentlichten Informationen aufkommen lassen.

Vorverurteilende Berichterstattung über Vergewaltigungsprozess

Bild.de erhielt eine Rüge für einen vorverurteilenden Bericht über einen Mediziner, dem die Vergewaltigung von Patientinnen vorgeworfen wurde. Unter der Schlagzeile „Arzt (52) vergewaltigt 19 Frauen bei Darmspiegelung” berichtete die Redaktion über den Strafprozess gegen den Mediziner. Die Unterzeile informierte zwar, dass der Arzt die Vorwürfe bestreitet, jedoch verstieß der Artikel massiv gegen Ziffer 13 des Pressekodex, da die Schlagzeile und der Text die Vorwürfe im Indikativ schilderten.

Unbelegte Unterstellung gegen Politikerin

Bild.de erhielt eine Rüge, weil die Redaktion die damalige Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz wegen eines LinkedIn-Profilfotos in einen nicht belegten Kontext rückte. Die Redaktion berichtete, Özoğuz habe sich bewusst mit einem Bildausschnitt präsentiert, auf dem die Farben der palästinensischen Flagge zu sehen seien. Tatsächlich zeigte das Foto sie in einem weißen Blazer vor einer Deutschlandflagge und einem türkisgrünen Hintergrund. Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass Özoğuz den Bildausschnitt bewusst gewählt hatte, um eine politische Botschaft zu setzen.

Identifizierende Berichterstattung über Tatverdächtigen

Bild.de erhielt eine Rüge, weil die Redaktion unter der Schlagzeile „Arzt kommt wegen toter Krankenschwester vor Gericht“ identifizierend über einen Tatverdächtigen berichtete. Die Redaktion veröffentlichte ein Foto des später freigesprochenen Mediziners und legte lediglich einen schmalen schwarzen Balken über seine Augen. Zudem nannte sie seinen Vornamen, abgekürzten Nachnamen und das Krankenhaus, in dem er tätig ist. Der Presserat sah darin eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes nach Ziffer 8 des Pressekodex.

Statistik

Der Presserat sprach sechs öffentliche Rügen, sieben Missbilligungen und zehn Hinweise aus. 17 Beschwerden wurden als unbegründet erachtet. Eine Beschwerde war begründet, es wurde aber auf eine Maßnahme verzichtet. Insgesamt behandelte der Presserat 41 Beschwerden.