BDZV-Vertriebsgipfel 2023: Die Kraft von Daten für den digitalen Vertriebserfolg nutzen

Wie kann die Umstellung von Print auf Digital erfolgreich gemeistert werden? Welche Themen konvertieren, welche nicht und welche sorgen für langfristige Kundenbeziehungen? Wie kann das digitale Wachstum im E-Paper-Bereich beschleunigt werden? Mit welchen Preisen können Abonnenten gewonnen und gehalten werden? Wie werden Print-Reklamationen mit KI-basierter Spracherkennung gelöst? Diese und weitere Fragen standen beim BDZV-Vertriebsgipfel am 9. November in Köln im Fokus. Mehr als 80 Teilnehmende erlebten spannende Diskussionen und viel Best Practice aus Zeitungsverlagen, um den eigenen Vertriebserfolg zu optimieren.

Presse Fachverlag Wie Pricing-Strategien und der Kundenwert erfolgreich aufeinander abgestimmt werden können, erläuterten Liezbeth Nizet, Managing Director Mather Economics, sowie Nele Toye, Chief Revenue Officer beim Medienhaus Aachen

Stefan Buhr, Chief Sales Officer bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, eröffnete den Vertriebsgipfel mit einer Keynote zur digitalen Transformation im Zeitungsvertrieb. Eine positive Nachricht sei, dass das E-Paper stark wächst und die Entwicklung der Plus-Abos davon nicht beeinträchtigt wird. Allerdings kommt das Wachstum bei den Zeitungswebsites nicht mehr aus einem immer größer werdenden Funnel, sondern aus einer verbesserten Ausschöpfung der Website und des Paywall-Traffics.

Jetzt sei die Zeit gekommen, um die Zahlpflichtigkeit auf weitere Nutzungsformen wie beispielweise Podcasts, Newsletter oder „Briefings“ auszuweiten. Bemerkenswert sei, dass einige Paid-Newsletter im Markt zu Top-Preisen angeboten werden. Bei den Plus-Abos sei hingegen zu beobachten, dass das digitale Abo-Wachstum teilweise mit äußerst niedrigen Preispunkten eingekauft wird. Es stelle sich die Frage, wieviel Zeit für die Transformation noch bleibe. Die Branche müsse gut vorbereitet sein, um nicht in einen Abwärtssog zu geraten. Im digitalen Geschäft müssten sich Verlage auf ein gänzlich anderes Erlösniveau einstellen.

Vor zweieinhalb Jahren ist die „Digital Revenue Initiative“ (DRIVE) von der Deutschen Presse-Agentur und der Unternehmensberatung Schickler mit drei Verlagen gestartet. Heute nehmen 30 Medienhäuser aus 21 regionalen Verlagen sowie 50 regionale Nachrichtenportale aus Deutschland und Österreich daran teil.
Marc Zahlmann Geschäftsführer Aschendorff Medien, berichtete beim Vertriebsgipfel über die Bedeutung von Verlagskooperationen und den Nutzwert der Drive-Initiative für das eigene Haus. Drive setzt auf die Kraft von Data Science und die Stärke der Gemeinschaft, um digitale Erlöse nachhaltig zu steigern. Was früher undenkbar war, ist bei DRIVE heute Realität: Verlage teilen ihre Daten, arbeiten vertrauensvoll gemeinsam an Lösungen und damit auch an ihrer Zukunft. „Drive ist ein gutes Beispiel dafür, warum es sich lohnt, zu kooperieren. Transparenz und Gemeinsamkeit tun nicht weh, sondern sorgen für Geschwindigkeit und mehr Erfolg“, sagte Zahlmann. Die nächste Aufgabe bestehe nun darin, sicherzustellen, dass die Drive-Ergebnisse auch intern umgesetzt werden. Das sei auch eine kulturelle Herausforderung.

Impressionen vom BDZV-Vertriebsgipfel 2023

Die Madsack Mediengruppe hat den Landkreis Prignitz in Brandenburg zum Modellprojekt für rein digitalen Lokaljournalismus gemacht. Einblicke in das Transformationsprojekt gab Andrea Domin, Leiterin Marketing und Vertrieb bei der „Märkischen Allgemeinen“ und zugleich Moderatorin des BDZV-Vertriebsgipfels. Seit Oktober 2023 erscheint die Lokalausgabe „Prignitz-Kurier“ nicht mehr in gedruckter Form. Print-Leser wurden aktiv ins Digitale begleitet, in Form von Info-Veranstaltungen und Schulungen. „Die Umstellung fiel uns nicht in den Schoß“, sagte Domin. Ein hoher Personal- und Marketingaufwand sei notwendig und nichts gehe „ohne guten Journalismus“.
Der Erfolg: Von den bisherigen 2.500 Print-Leserinnen und Lesern entschieden sich mehr als 60 Prozent für ein digitales E-Paper-Abonnement. Zudem konnte ein Abo-Wachstum verzeichnet werden: Fünf Monate nach Start zählt der „Prignitz-Kurier“ mehr als 3.300 digitale Abonnements. „Der bisherige Projekterfolg ermutigt uns, den Weg weiterzugehen“, sagte Domin. Das Transformationskonzept soll nun auf die Lokalausgaben in Kyritz und Wittstock ausgeweitet werden. Ein paar Learnings können hierfür skaliert werden, jedoch nicht das persönliche Gespräch vor Ort.

Müssen Verlage bei den Print-Preisen aggressiv vorgehen? Sollten die Preise pauschal erhöht werden oder ist es besser, gezielte Preise je Cluster festzulegen? Wie Pricing-Strategien und der Kundenwert erfolgreich aufeinander abgestimmt werden können, erläuterten Liezbeth Nizet, Managing Director Mather Economics, sowie Nele Toye, Chief Revenue Officer beim Medienhaus Aachen. Eine Antwort auf die Fragen kann die Analyse der Preiselastizitäten in den einzelnen Regionen und Kundenclustern zeigen. Eine überraschende Erkenntnis war nach Aussage von Nele Toye, dass in manchen Märkten die Preiselastizität stark ausgeprägt war, obwohl die Abonnenten eigentlich unzufriedener sein müssten. Um die Haltedauer der Abonnenten zu steigern, wurde das Upselling aufgehoben und durch Inklusiv-Angebote ersetzt. Die Abo-Vorteile wie etwa der Zugriff aufs Archiv oder auf Spiele werden aktiv im Newsletter beworben. Auch das Content-Bundling werde intern intensiv diskutiert.

Bei der „Rheinischen Post“ ist die E-Paper-App ein wichtiger Treiber für das digitale Wachstum. Aktuell hat der Verlag rund 24.000 E-Paper-Kunden. Ziel sei es, den Bestand bis 2028 zu verdoppeln, sagte Felix Salmon, Leiter Operations. Um das E-Paper-Wachstum zu beschleunigen, setzt die Düsseldorfer Verlagsgruppe auf konsequente Marketing Automation entlang des Kundenlebenszyklus. Grundlage hierfür ist, dass alle Datenpunkte aus Auftragsdaten, Nutzungsdaten und soziodemografische Faktoren zentral in eine Datenbank fließen. Danach können Kundensegmente gebildet werden, die für eine differenzierte Marktbearbeitung genutzt werden. Die E-Paper-App als Touchpoint ist für die „Rheinische Post“ ein zentraler Kanal, um mit den Kunden in Kontakt zu treten. Das Marketing-Automation-Tool ermöglicht es, Nutzer der E-Paper-App automatisierte Push- und in-App-Nachrichten zukommen zu lassen. Hierunter fallen Willkommensstrecken, die Ansprache von Probe-Lesern, sowie Maßnahmen zu Steigerung des Engagements, wie beispielsweise die Ansprache inaktiver Nutzer, oder Hinweise auf die wöchentliche Rätsel-Beilage. „Wir sind noch in den Kinderschuhen und es ist aufwändig, aber es lohnt sich“, sagte Felix Salmon. Die Kontaktstrecken sollen nun konsequent ausgebaut und optimiert werden.

Können Print-Reklamationen mit KI-basierter Spracherkennung gelöst werden? Fabian Rosekeit, Head of CRM & Growth beim „Medien Hub Bremen-Nordwest“ erläuterte, wie der digitale Sprachassistent im Kundenservice in Oldenburg und Bremen bereits eingesetzt wird. Etwa 30.000 Anrufe pro Monat werden bei der „Nordwest-Zeitung“ und beim „Weser-Kurier“ abgewickelt. Bis zu 85 Prozent aller Anrufe sind Print-Reklamationen. Durch die vielen Reklamationen ist der Kundenservice häufig überlastet und schlecht erreichbar. Zeitungsabonnenten sind dann doppelt unzufrieden, da sie einerseits die gedruckte Zeitung nicht erhalten und zum anderen ihre Beschwerde nicht loswerden können.
Um diesen Missstand zu beheben, wurde das Ziel ausgegeben, dass 20 Prozent der Reklamationen zukünftig via Voicebot abgewickelt werden sollten. Mit Hilfe von KI-basierter Spracherkennung sollte erreicht werden, dass der Kunde authentifiziert wird, er Infos zur aktuellen Zustellsituation erhält, seine Reklamation am gleichen Tag bearbeitet wird. Alle anderen Anrufe sollte der Voicebot qualifiziert weiterleiten. Das Kick-off-Meeting startete im April 2023; die Überführung in den Tagesbetrieb erfolgte bereits im Juli 2023. Aus Sicht von Fabian Rosekeit ist die KI-Einführung im Kundenservice ein voller Erfolg, denn 30 Prozent der Reklamationen können nun fallabschließend im Voicebot bearbeitet werden.

Welchen Einfluss lokale Fußball-Livestreams und das BVB-Abo auf das digitale Abo-Wachstum haben, erläuterte Markus Nelles, CEO von rumble (Lensing Media, Zeitungsverlag rubens, Medienhaus Bauer). Lokalfußball bleibe die schönste Nebensache der Welt. Deshalb entwickelt „rumble“, das eigene Fußball-Streaming-Angebot ständig weiter. Mittlerweile zeigt der Verlag 20 Amateur-Fußballspiele pro Woche. Eines davon kommentiert der bekannte Fußball-Reporter Werner Hansch. Mit Erfolg: Jedes vierte Plus-Abo wird über die lokale Fußballberichterstattung generiert. Seit 2019 bietet rumble den Fans von Borussia Dortmund zudem ein Abo für alle Inhalte rund um den Bundesligaverein an. Der Meisterschaftsendspurt zwischen dem BVB und Bayern München wurde mit vielen Aktionen begleitet: Live- und Videoberichterstattung, Print-Beilagen und Ticket-Verlosung. Am Ende gab es einen sechsstelligen Anzeigen-Umsatz und zusätzliche 500 Vollabos. Markus Nelles räumte ein, dass die BVB-Abos ziemlich volatil sind, abhängig vom Erfolg der Mannschaft und der aktuellen Saisonphase. BVB-Abonnenten interessierten sich kaum für weitere Inhalte. Das BVB Abo sei ein nationales Produkt und habe nur bedingt lokalen Fokus. Eine kritische Berichterstattung zum BVB sei bei den Fans und dem Verein ein schwieriges Thema.

Mit einem eindringlichen Abschlussvortrag warnte der Medienwissenschaftler Dr. Martin Andree vor der Übermacht der Digitalkonzerne. Die publizistische und wirtschaftliche Macht der digitalen Großkonzerne wie Meta, Amazon oder Alphabet müsse begrenzt werden. Andernfalls drohe eine dauerhafte Aushöhlung demokratischer Gesellschaften. Bereits heute gebe es eine fast vollständige Konzentration der Reichweiten bei weniger als zehn Marktteilnehmern. Gehe die digitale Entwicklung unreguliert weiter, hätten weder Medienhäuser, Markenplattformen, Blogger, noch öffentlich-rechtlicher bzw. privater Rundfunk einen nennenswerten Einfluss auf politische Prozesse. Die Übermacht der Digitalkonzerne führe dazu, dass diese Plattformen die politischen Diskurse bestimmen werden. Anders als die Klimaproblematik könnten durch einfache und kostengünstige Maßnahmen schnell Erfolge erzielt werden: Verpflichtungen der Tech-Konzerne zu offenen Standards, Trennung von Verbreitungsweg und Inhalt oder ein Verbot, strafbare Inhalte zu monetarisieren, wären sofort umsetzbar.