BDZV-Hauptgeschäftsführerin: „Ich will ja gar nicht Google zerstören“

Sigrun Albert fordert bessere politische Rahmenbedingungen

Das Interview führten Steffen Grimberg und Alexander Riedel (KNA)

Aus Sicht der Zeitungsverleger hat die Politik auf allen Ebenen viele unerledigte Hausaufgaben: Das fängt bei den Online-Angeboten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an und hört beim Rechtsrahmen für Künstliche Intelligenz noch lange nicht auf. Ein Gespräch mit der BDZV-Hauptgeschäftsführerin Sigrun Albert über blauäugige Politiker, übermächtige Herausforderer und homöopathische Synergieeffekte.

 

Sigrun Albert
BDZV/Brundert

KNA-Mediendienst: Frau Albert, der BDZV hat vergangene Woche Kennzahlen zur Branche veröffentlicht, nach denen Werbeeinnahmen und Vertriebserlöse weiter nach unten gehen. Immer wieder heißt es bei solchen Gelegenheiten, der digitale Turnaround stehe kurz bevor. Zuletzt wurde 2026 genannt. Ist dieser Optimismus nicht verfrüht?

Sigrun Albert: Die Studie, die Sie ansprechen, basiert auf Befragungen unserer Mitglieder. Ich glaube, aus dem Ergebnis spricht ein gewisser Optimismus, den man als Unternehmer auch braucht. Man setzt sich Ziele. Und gleichzeitig haben wir in den vergangenen Jahren alle erlebt, wie äußere Faktoren dazu führen können, dass man seine Ziele nicht so schnell erreicht. Nehmen Sie zum Beispiel die digitalen Erlöse im Werbemarkt, die in Krisenzeiten auch gelitten haben.

Wie geht es der Branche denn wirklich?

Die Branche hat sich auf den Weg gemacht, wie wir an den digitalen Erlösen sehen. Allerdings steht sie vor vielen Herausforderungen, die nicht in ihrer Hand liegen. Vor 25 Jahren ist Google auf den Markt gekommen – seither sind den Medienhäusern nach unserer Schätzung mehrere Milliarden Euro an Werbeeinnahmen verloren gegangen. Klar, das geht nicht alles an Google, aber das Gros landet in den USA – und wird damit übrigens auch nicht in Deutschland versteuert.

Sigrun Albert

"Vor 25 Jahren ist Google auf den Markt gekommen - seither sind den Medienhäusern nach unserer Schätzung mehrere Milliarden Euro an Werbeeinnahmen verloren gegangen."

Sie vertreten als Verband ein großes Spektrum vom Überregionalen bis zu regionalen Häusern. Wer ist besonders herausgefordert?

Wir haben nach wie vor eine sehr vielfältige Medienlandschaft, mit starkem regionalen und lokalen Journalismus. Im Vergleich etwa zu den USA geht es uns als Gesellschaft noch gut, was die Versorgung mit unabhängigen Medien angeht. Wir haben einige überregionale Titel, die sehr erfolgreich sind, auch im Digitalen. Doch online sind die Preise niedriger als bei Print, und auch die Kundentreue bei den Abos ist längst nicht so hoch. Unter den regionalen Titeln kommen beim Thema Digital-Abos inzwischen auch viele voran. Hier ist das Wachstum allerdings deutlichlangsamer - was auch daran liegt, dass die zumeist älteren Leserinnen und Leser nicht so gewillt sind, aufs Digitale zu wechseln.

Und wie steht es im Lokalen? Die Funke-Mediengruppe hat die Zustellung der „Ostthüringer Zeitung“ in einem Teil des Erscheinungsgebiets komplett aufs Digitale umgestellt. Nur 30 Prozent der betroffenen Abonnenten gingen diesen Weg mit. Andere lassen sich die Zeitung jetzt von der Deutschen Post zustellen. Ist das die Zukunft?

Die Herausforderung ist: Je kleiner der Markt, desto höher müsste im Grunde der Preis sein. Das machen die Kunden aber nicht unbedingt mit, daher wären zusätzlich Werbeerlöse wichtig. Das ist auch ein Appell an die lokale Wirtschaft: Wer künftig lokale Medien in seiner Region erhalten möchte, sollte bewusst prüfen, ob deren Reichweite die eigenen Marketing-Ziele nicht ähnlich gut erfüllen kann wie die Werbung bei einer US-amerikanischen Plattform. Prinzipiell finde ich es toll, wenn die Verlage jetzt solche Versuche machen wie Funke oder auch Madsack in der Prignitz. Daraus kann man ja seine Schlüsse ziehen. Meines Wissens ging es in Thüringen vor allem um eine im Alter höher anzusiedelnde Zielgruppe. Wenn man dann feststellt, dass ab einer bestimmten Altersgruppe ein Wechsel ins Digitale nicht mehr gewünscht wird, lassen sich mit dieser Erkenntnis andere Lösungen wie beispielsweise die Zustellung per Post finden. Auch wenn das selbstverständlich keine optimale und zukunftsträchtige Variante der Zustellung ist.

Lässt sich denn mit dem ganzen Aufwand - man geht zu den Abonnenten nach Hause und erklärt ihnen das Tablet - überhaupt noch Geld verdienen?

Betriebswirtschaftlich ist es absoluter Wahnsinn, wie viel Geld man reinstecken muss, um am Ende eine gewisse Zahl an digitalen Abonnenten zu behalten. Aber Versuchsballons können sich nicht immer sofort rechnen.

Gerade in diesem Umstellungsprozess hätte die von der Politik in Aussicht gestellte Presseförderung helfen sollen. Sie fällt nun ziemlich sicher wieder aus. Was ist Ihr Plan B?

In vielen Ländern, die uns bei der Entwicklung des digitalen Marktes voraus sind, fließen Fördermittel, zum Beispiel in Skandinavien. Nicht wenige haben einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz als wir und zusätzlich auch noch eine Unterstützung bei der Zustellung. Nehmen Sie etwa die Schweiz, wo ich vorher gearbeitet habe: Da beträgt der Mehrwertsteuersatz für die Presse 2,5 Prozent und die Zustellung wird über die Post gewährleistet, was auch eine indirekte Förderung darstellt. Man muss sich schon fast fragen, ob man im Digitalgeschäft als deutscher Verlag nicht lieber von der Schweiz aus operiert.

Sind die Verlage nicht auch ein bisschen selbst schuld? Aus politischen Kreisen hört man, dass nicht immer klar sei, was die Branche wirklich wolle - zumal eine generelle Presseförderung ja bislang abgelehnt wurde.

Die Forderung nach der Zustellförderung haben wir unmissverständlich und glasklar platziert. Dieser Wunsch war in unserem Verband mehrheitlich vorhanden, da viele Verlage recht selbstbewusst sagen, das mit der Digitalisierung kriegen wir eher hin als die dauerhafte Finanzierung des immer teurer werdenden Zustellapparats, der überall hin die Zeitung ausliefert. Das ist auch gar nicht unser Kerngeschäft. Wir sind ja keine Logistiker. Inzwischen liegen die Kosten der Zustellung aber in vielen Unternehmen höher als die Redaktionskosten. Daran sieht man, dass etwas aus der Balance geraten ist.

Bleibt als Plan B die „Mehrwertsteuer Null“...

Der BDZV-Vorstand diskutiert in der Tat sehr intensiv, dass dies die optimale Lösung wäre. Sie ist relativ bürokratiearm, nutzt allen, auch den Digitalpublishern, und ist dadurch gerecht und gleichzeitig staatsfern. Außerdem ist sie in nicht wenigen anderen Ländern bereits etabliert. Deswegen sind wir der Meinung, dass das deutlich besser wäre als irgendwelche Förderprogramme, bei denen es wesentlich schwerer ist, Gelder gerecht zu erteilen und die Unabhängigkeit zu wahren.

Sigrun Albert:

„Eine Senkung der Mehrwertsteuer für die Presse ist relativ bürokratiearm, sie nutzt allen, auch den Digitalpublishern, ist dadurch gerecht und gleichzeitig staatsfern.“

Die Forderung nach der Senkung der Mehrwertsteuer ist auch nicht ganz neu. Vor zehn Jahren hieß es noch, da spricht europäisches Recht oder zumindest die Haltung von Brüssel dagegen. Das hat sich inzwischen geändert?

Ja. Das EU-Recht wurde in der letzten Legislaturperiode geändert, unter großer Zustimmung Deutschlands und unterstützt vom damaligen Finanzminister Olaf Scholz. Zuletzt wurde gerade erst in Irland die Mehrwertsteuer für Presseprodukte auf null Prozent gesetzt. Wir gehen davon aus, dass das auch für Deutschland ein Weg ist.

Und wenn das auch nicht läuft?

Die Mehrwertsteuer ist zunächst mal unser Plan B. Wir wissen, dass das kein Selbstläufer ist: Die Bundesländer sind davon auch betroffen, hier müssen wir zunächst um Verständnis für das Thema werben. Wir haben auch noch weitere kreative Ideen, wie Unterstützung aussehen könnte. Wir wollen aber auch keine Branche sein, die jetzt hauptsächlich Ideen für Förderung entwickelt, sondern eine, die ihre Geschäfte selbstständig, eigenverantwortlich und ohne Unterstützung durch die Gesellschaft für die Gesellschaft betreiben kann. Dafür haben wir jedoch nicht die passenden Rahmenbedingungen.

Was fehlt Ihnen denn noch?

Eine Hauptherausforderung ist nach wie vor Big Tech. Ich habe den Eindruck, dass noch längst nicht allen in der deutschen Politik bewusst ist, was es für die deutsche Wirtschaft bedeutet, dass Big Tech eine solche Übermacht hat. Das betrifft nicht nur die Verlage, sondern alle, die im Digitalen Geschäfte machen wollen. Was uns angeht, ist natürlich die Verbesserung der Situation beim Presseleistungsschutzrecht ein wichtiges Thema.

Wie empfinden Sie den Umgang der Politik mit Google, Meta & Co.?

Ich sehe hier immer noch eine gewisse Blauäugigkeit im Umgang. Nehmen Sie zum Beispiel Wirtschaftsminister Robert Habeck, der nicht die Zeit findet, mit uns zu sprechen, aber dann mit dem Google-Chef lässig in der Sonne sitzt und sich fotografieren lässt. Natürlich müssen die miteinander sprechen, aber man sollte auch verstehen, was Googles Aktivitäten für unsere Wirtschaft bedeuten. Ich will ja gar nicht Google zerstören, aber wir wollen eine faire Behandlung etwa beim Thema Datenschutz und eine gerechte Entlohnung für die Nutzung unserer Inhalte.

Nun zieht mit Künstlicher Intelligenz noch eine weitere Herausforderung herauf...

Dafür brauchen wir sehr schnell eine Regulierung, damit wir in fünf Jahren überhaupt noch funktionierende Medien haben. Aktuell ist es ja so, dass die Anbieter von generativer KI unsere Inhalte über Jahre wunderbar zum Training genutzt haben, wir dafür aber keinen Cent sahen und sehen. Wenn Unternehmen nicht wünschen, dass ihre Inhalte gecrawlt werden, muss es eine rechtssichere Möglichkeit geben, das zu verhindern.

Noch eine Frage zur Verbandspolitik: Der Verband der Zeitschriftenverleger hat sich umbenannt in Medienverband der freien Presse (MVFP), hat also eine Art allgemeinen Vertretungsanspruch formuliert. Sehen Sie das als Konkurrenz, oder üben Sie sich in Koexistenz?

Wenn wir anfangen würden, uns Konkurrenz zu machen, gingen wir den ganz falschen Weg. Wir teilen uns in vielen Bereichen die Arbeit, und wir teilen uns teure Aktivitäten wie Rechtsgutachten. Beim Thema KI gehen wir beispielsweise gemeinsam ins Justizministerium.

Wäre es dann aber nicht sinnvoll, sich gleich zu einem einzigen großen Presseverband zusammenzuschließen wie in den USA?

Man muss dabei sehen, dass wir, anders als in den USA, eben noch eine sehr vielfältige Medienlandschaft haben. Allein die vielen Fachzeitschriften beim MVFP, die haben zum Teil ganz andere Herausforderungen als regionale Verlage. Die Frage ist doch, was bei einem Zusammenschluss das einzelne Mitglied sparen würde. Das wäre homöopathisch, was dabei herauskommt.

Wie steht es denn um Einfluss und Strahlkraft des BDZV, nachdem Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner als Präsident abgetreten ist?

Ich kann bisher nicht feststellen, dass wir schlechter behandelt werden, auch wenn Mathias Döpfner natürlich ein gerngesehener Gesprächspartner in der Politik ist. Auch wir tauschen uns weiterhin mit ihm und Axel Springer aus, einem unserer größten Mitglieder. Genau wie mit anderen Mitgliedern, deren Top-Manager ebenfalls angesehene Gesprächspartner der Politik sind. Für unseren Kongress Ende September haben die Parteichefs von SPD, Grünen und CDU zugesagt, den FDP-Chef hatten wir im vergangenen Jahr zu Gast. Da kann man nicht sagen, die Politik spreche nicht mehr mit uns.

Ein Wort zu den Öffentlich-Rechtlichen: Gefühlt streiten Sie sich schon ewig mit der ARD um deren Online-Text-Angebot - mit für Sie wenig befriedigendem Ergebnis. Wie geht es weiter?

Eine unserer Forderungen ist, dass die Medienpolitik den Rechtsbegriff der presseähnlichen Angebote schärft. In den Rundfunkanstalten scheint sich niemand an die Regeln gebunden zu fühlen, weil die offensichtlich nicht so glasklar formuliert sind, wie es wünschenswert wäre. Kostspielige Rechtsverfahren dauern in der Regel fünf bis sieben Jahre, und ein Urteil gilt dann für den Tag, an dem festgestellt wurde, dass gegen den Medienstaatsvertrag verstoßen worden ist. Da können wir von früh bis spät klagen. Das kann sich doch ernsthaft niemand wünschen, unsere Gerichte haben genug zu tun!

Auch das Schlichtungsverfahren zwischen BDZV und ARD hat bislang nichts gebracht. Was bleibt Ihnen also?

Wir überlegen, Brüssel als weitere Eskalationsstufe anzurufen. Wir waren vor einigen Jahren dort schon einmal erfolgreich...

... im Beihilfeverfahren in Sachen Rundfunkbeitrag...

Genau, das hat ja doch einiges an Verbesserungen gebracht. Wir finden den Weg natürlich nicht unbedingt erstrebenswert. Es hilft aber nichts, weil es keine andersgeartete funktionierende Aufsicht gibt. Wir wollen das auf jeden Fall noch in diesem Jahr anstoßen. Ich möchte aber noch einmal betonen, dass wir für andere Lösungen jederzeit aufgeschlossen sind. Für uns ist die EU-Ebene in dieser Hinsicht die Ultima Ratio. Gleichzeitig sind wir mit Verbänden in anderen europäischen Ländern im Austausch, die vor den gleichen Herausforderungen stehen und ihre Probleme ebenfalls in Brüssel vortragen.

Kommen wir noch mal zurück zur Ampel: Die will laut Koalitionsvertrag ja auch die Zeichen für gemeinnützigen Journalismus auf grün stellen und hier Rechtssicherheit schaffen. Dazu hört man vom BDZV gar nichts - ist das nicht so Ihr Ding?

Natürlich ist es schön, wenn es diese Form des Journalismus dort gibt, wo Verlage nicht aktiv sein können. Wir sind jedoch grundsätzlich davon überzeugt, dass es nur eine Zukunft der Medien geben wird, wenn es auch wirtschaftlich attraktiv ist, ein Medienunternehmen zu betreiben.

Es wäre aber doch möglich, in bestimmten Bereichen - zum Beispiel dort, wo eine Lokalredaktion wirtschaftlich nicht mehr trägt - als Verlag unter dem eigenen Dach eine gemeinnützige Initiative zu starten oder damit zu kooperieren.

Solche Modelle wird sicherlich der eine oder andere Verlag umsetzen. Wenn wir da unterstützen können, werden wir das auch tun. Als Wirtschaftsverband leisten wir jedoch hauptsächlich einen Beitrag dazu, dass der Medienstandort Deutschland erhalten bleibt und wirtschaftlich funktioniert. Damit haben wir alle Hände voll zu tun.

Sigrun Albert:

„Wir sind davon überzeugt, dass es nur eine Zukunft der Medien geben wird, wenn es auch wirtschaftlich attraktiv ist, ein Medienunternehmen zu betreiben.“