Medienszene in Aufbruchstimmung: „Wir müssen den Fortschritt umarmen“

#beBETA - journalism in progress

Die erfolgreiche Premiere des BDZV-Digitalkongresses #beBETA – journalism in progress im Berliner Vollgutlager hat Imre Grimm/RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) nachfolgend zusammengefasst:

Es war ein Versuch – eine neue Digitalkonferenz, die in smarter Atmosphäre die frischen Ideen von Journalismusprofis, die Erfahrung großer Medienhäuser und die Impulse kluger Querdenker bündelt. Nach der zweitägigen Premiere des Digitalkongresses #beBETA in Berlin, veranstaltet vom BDZV, lassen sich die Reaktionen kurz und bündig zusammenfassen: Unternehmen geglückt. Als „erstes sichtbares Zeichen der Erneuerung“ des Verbands bezeichnete BDZV-Präsident Mathias Döpfner den neuen Kongress. Schließlich sei der Verband „der mit Abstand größte Zusammenschluss digitaljournalistischer Kompetenz“, sagte der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer – und rief dazu auf, „den Fortschritt zu umarmen“.

Wie funktioniert Journalismus im digitalen Zeitalter? Wie kann die Fundamentalreform tradierter Medienhäuser gelingen? Wie entwickeln Medienmacher mehr Mut und Cleverness? Das waren im Kern die großen Fragen, die der zweitägige Kongress zu beantworten versuchte – moderiert von ARD-Journalistin Pinar Atalay und Hannah Suppa, Chefredakteurin Digitale Transformation und Innovation im Regionalen der Madsack Mediengruppe.

„Clickbaiting und virale Themen müssen tabu sein“

Der radikalste Ansatz kam dabei aus Norwegen: „Betreibt Journalismus, als würde Print nicht existieren“, forderte Mathias Bergquist, Senior Content Developer der Mediengruppe Amedia in Oslo. Jede Redaktion solle nur Artikel produzieren, von denen sie wisse, dass sie auf Interesse stießen. Das bedeutet unter anderem: Clickbaiting – also das Werben um Leser mit falschen Versprechungen in knackigen Teasern – und virale Themen sind tabu. „Es ist der Inhalt, für den die Leute zahlen“, versicherte auch der neue Daimler-Chef Ola Källenius bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als Vorstandsvorsitzender des Autokonzerns.

Das war die Kernthese in Berlin: Die Interessen der Nutzer gehören in den Mittelpunkt. „Digital First ist von gestern – es geht um User First im digitalen Journalismus“, sagte etwa Lars Haider, Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“. Entsprechend große Bedeutung bekommen die Daten- und Nutzerforschung. Die Frage „Was klickt gut?“ sei nur der erste Schritt. Der zweite lautet: Wo genau liegen die Interessen? Welche Texte hinterlassen bei welchem Leser ein gutes Gefühl, weil sie Erklärung, Lebenshilfe, Information oder substanzielle Unterhaltung böten?

Sieben Thesen zur Zukunft des Journalismus

Einer der überraschenden Digitalabo-Treiber beim „Abendblatt“ (neben dem HSV): Konzertkritiken. Thomas Düffert, BDZV-Vizepräsident und Vorsitzender der Konzerngeschäftsführung der Madsack Mediengruppe, hatte bereits am Vortag sieben Thesen formuliert, die auf breite Zustimmung stießen: „7 Jahre Zeit, 7 Punkte: Wände zwischen Verlag und Redaktion einreißen. Daten nutzen. Lust machen. Journalismus statt Clickbaiting. Auf Digitalabos setzen. Unterhaken. Neue Rahmenbedingungen. „Stimme Thomas Düffert zu“, twitterte etwa Swantje Dake, Digitalchefredakteurin von „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ – nur was die noch verfügbare Zeit angehe, sei sie weniger optimistisch.

Die Medienindustrie befinde sich nicht in einem Sturm, sondern erlebe einen Klimawandel, sagte Torry Pedersen vom größten norwegischen Medienhaus Schibsted („Aftenposten“). Stürme beruhigten sich – Klimawandel bleibe. „Sie müssen zum Lagerfeuer ihrer Community werden“, sagte Pedersen. Schibsted gilt als eine der Blaupausen für eine erfolgreiche Digitalisierung von Medienhäusern in Europa. „Nur Journalisten können den Journalismus retten“. Es komme „mehr auf einen gute Geschichte an als auf den perfekten Jingle“, sagte auch Michael Krause, Deutschland-Chef von Spotify. Podcasts von Zeitungsverlagen zum Beispiel funktionierten sehr gut. „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt warb dafür, die sozialen Medien stärker auszuwerten und Politikern Fake News und Lügen nicht durchgehen zu lassen. „Wenn man das für seine Bedürfnisse richtig einstellt, ist Twitter als Newsfeed für mich unschlagbar“, sagte er.

„Aufbruchstimmung in der Branche“

Das Urteil der Branche über die Veranstaltung selbst fiel eindeutig aus: „Klasse Premiere“, befand Moritz Döbler, Chefredakteur des Bremer „Weser-Kuriers“. „Aufbruchstimmung in der Branche“, konstatierte Werner Wenzel, Leiter des Newspools beim Medienhaus VRM („Darmstädter Echo“, „Wiesbadener Kurier“). Und der Soltauer Druckereiunternehmer Martin Mundschenk urteilte: „Wenn der Spirit von #beBETA in Berlin ein Indikator ist, dann schaffen wir die Transformation in der Zeitungsbranche.“