BDZV-Vertriebsgipfel: Digitaler Lesermarkt im Fokus

Wie lassen sich digitale Abonnenten-Zahlen steigern? Mit welchen Preisen gewinne ich Abonnenten? Wie können potenzielle Kündiger identifiziert werden? Was unterscheidet Mitgliedschafts- von Abomodellen? Wie müssen sich Kultur, Organisation und Workflows verändern? Diese und weitere Fragen standen beim BDZV-Vertriebsgipfel am 5. November in Köln im Fokus. Rund 100 Teilnehmer erlebten einen Tag lang geballte Best Practice aus Zeitungsverlagen.

Kaum ein Verlagshaus weltweit hat seine digitale Vertriebsoffensive in den vergangenen Jahren so konsequent in die Tat umgesetzt wie der norwegische Schibsted-Konzern. Schrumpfende Printauflagen und rückläufige Anzeigenerlöse wurden durch den Zugewinn an Digitalabos kompensiert. „Value statt Volume“ ist die Maßgabe beim zu Schibsted gehörenden Zeitungsverlag „Faedrelandsvennen“ in Kristiansand. Dessen Head of Consumer Business, Sverre Johnsen, erklärte beim Vertriebsgipfel: „Das einzige Wachstumsprodukt im Verlag ist der digitale Lesermarkt.“ Der Fokus richte sich auf den loyalen Abonnenten. Ein Schlüssel zum Erfolg sei, die Verlagsorganisation auf das eine Ziel einzuschwören und das gesamte Handeln auf den loyalen Abonnenten auszurichten.

Nach skandinavischem Vorbild wurde die Transformation bei Lensing Media in Dortmund umgesetzt. Moritz Tillmann, Chief Digital Officer und gleichzeitig Chefredakteur, erläuterte, wie aus dem Newsroom bei Lensing Media das digitale Abogeschäft forciert wird. Zuerst gehe es bei Paid Content um eine kulturelle Veränderung und ein neues Mindset in der Redaktion. Dies sei die Grundvoraussetzung, um Prozesse und Workflows erfolgreich umstellen zu können. Eine neue Newsroom-Kultur sei notwendig, die den Nutzer in den Mittelpunkt stelle. Um diese Ziele zu erreichen, helfen die Datenanalyse und Dashboards. Personalisierung schaffe Relevanz, betonte Tillmann. Engagement sei ein zentraler digitaler Erfolgsfaktor. Drei bis vier Artikel müsse ein Abonnent pro Tag lesen, damit er nicht kündigt, so eine der Erkenntisse bei Lensing.

In Großbritannien haben sowohl etablierte Medien wie der „Guardian“ wie auch journalistische Start-ups wie Tortoise Media neue Mitgliedschaftsmodelle gestartet. Die in London tätige Verlagsberaterin Barbara Geier erläuterte die Unterschiede zwischen Abonnement und Membership. Bei einem Membership-Modell müsse der Leser als gleichberechtigter Partner verstanden werden. Es gehe um Transparenz, Partizipation des Lesers und Haltung der Medienmarke. Der „Guardian“ habe es geschafft, mit Hilfe des Membership-Modells einen wirtschaftlichen Turnaround einzuleiten; er schreibt seit April 2019 wieder schwarze Zahlen. Der Aufbau erfordere jedoch viel Zeit und Einsatz, meinte Geier, es gebe keine Blaupausen, aber viel Potenzial.

Vier Kernmaßnahmen führten bei der „Neuen Zürcher Zeitung“ zu einer Steigerung der digitalen Abonnements: Registrierung, personalisierte Inhalte, ein personalisiertes Pay-Gate und neue Produkte. Ein zentrales Element der Strategie sei es, den einzelnen Nutzer durch eine Registrierungs-Wall sehr früh zu identifizieren, sagte Daniel Ammann, Leiter Business Development. Nach dem Lesen von fünf Artikeln werden die Leser aufgefordert, sich kostenlos zu registrieren. Die Nutzer erhalten dann Zugang zu allen Features der Website. Dem Verlag wird mit der Registrierung ermöglicht, das Leserverhalten der Besucher zu analysieren und ein persönliches Profil zu erstellen, bei dem zahlreiche Kriterien wie Lesehistorie oder benutztes Endgerät erfasst werden. Jeder Nutzer sieht nach einer bestimmten Anzahl weiterer aufgerufener Artikel eine andere Paywall in Abhängigkeit seines Verhaltens. Der Verlag berechnet mit Hilfe des Trackings eine Abo-Abschluss-Wahrscheinlichkeit für jeden registrierten Nutzer. Abhängig von dem sogenannten „Propensity Score“ entscheiden Algorithmen darüber, ob, wann und welchem Nutzer eine Bezahlaufforderung begegnet.

Tobias Zitzke, Leiter Markt-Analyse und Kundenmanagement bei der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, erläuterte, wie potenzielle Kündiger mithilfe von Vorhersagemodellen identifiziert werden können. Gezielte Kündigerprävention könne die Aboauflage stabilisieren. Eine präventive Kundenbearbeitung reduziere Kündigungen um bis zu 62 Prozent. Damit sei ein potenzieller Auflageneffekt von etwa 0,2 Prozent pro Jahr möglich. 98 Prozent der Streuverluste seien bei Kundenbindungsmaßnahmen vermeidbar. Mit Preisdifferenzierungen ließen sich zudem höhere Vertriebserlöse erreichen.

Wie die „Neue Westfälische“ mit dem Online-Angebot „Lokalportal“ eine hyperlokale Plattform aufbaut, erklärte Alexander Drößler, Produktmanager bei OWL-Digital in Bielefeld. Lokalportal ist eine Plattform für alle lokalen Akteure wie zum Beispiel Nachbarn, Vereine oder Organisationen. Nutzer erfahren auf einen Blick, was das direkte lokale Leben betrifft. Das Geschäftsmodell sei die digitale Monetarisierung der Lokalität. Es gebe Werbeformate für lokale Werbetreibende mit einem monatlichen Werbebudget von 100 bis 2.000 Euro.