Wie kann eine effektive Regulierung von Internet-Plattformen aussehen?

Expertenbeitrag von Prof. Dr. Thomas Höppner

Wettbewerb und Vielfalt im Internet sind stark gefährdet, wenn Europa die Internet-Plattformen nicht bald strenger und angemessener reguliert. Bisher agieren die Kartellbehörden oft zu spät und zu zögerlich.

Thomas Höppner, Experte
BDZV

Das Internet hat sich für viele zur wichtigsten Informationsquelle entwickelt. Nutzer vergleichen Produkte, diskutieren Nachrichten und bewerten die neuesten Videos. Das Internet hat nicht nur für den Wettbewerb, sondern auch für die Meinungsbildung eine zentrale Bedeutung.

Gesteuert wird der Wettbewerb durch Intermediäre: Plattformen, die wie Suchmaschinen, App-Stores, Marktplätze oder soziale Netzwerke zwischen Inhalte-Anbietern und Verbrauchern vermitteln. Wegen der unüberschaubaren Fülle im Internet verfügbarer Informationen, übernehmen Intermediäre häufig nicht nur das Auffinden relevanter Inhalte, sondern auch deren inhaltliche Bewertung. Aus ihrer Sicht bedeutsame Inhalte blenden sie als Erste ein, weniger relevante blenden sie aus. Verbraucher vertrauen oft blind auf diese Bewertung. Das erste Ergebnis auf eine Suchanfrage wird doppelt so häufig angeklickt wie das zweite.

Gefährdungslage für den Wettbewerb

Eine besondere Gefährdungslage für den Wettbewerb, aber auch die Meinungsvielfalt, entsteht, wenn ein Intermediär einen ökonomischen Anreiz hat, Nutzer zu eigenen Angeboten oder Inhalten zu leiten. Ein solcher Eingriff in die Vermittlungsleistung ist hinnehmbar, solange der Intermediär wirksamem Wettbewerb ausgesetzt ist und seine fehlende Neutralität erkennbar ist. Dann können die Nutzer selbst durch einen Wechsel des Intermediärs reagieren. Anders verhält es sich aber, wenn der Intermediär mangels Wettbewerbs faktisch den Zugang zu einer bestimmten Gruppe von Verbrauchern kontrolliert und nicht befürchten muss, dass die Begünstigung eigener Dienste abgestraft wird.

BDZV-Magazin "relevant"

Dieser Beitrag ist erschienen im BDZV-Magazin "relevant"
Ausgabe 01/2020 (S. 16-22)

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Höppner Beitrag BDZV-Magazin Relevant 01/2020
BDZV

Disintermediation ganzer Industrien trotz hoher Bußgelder

Bei den größten Internet-Intermediären ist diese Marktphase mittlerweile erreicht. In den letzten zwei Jahren verging kaum ein Monat, in dem sich nicht eine weitere Industrie, ein weiterer Inhalte-Anbieter bei einer Wettbewerbsbehörde beschwerte, dass Google, Amazon, Apple oder Facebook eigene Dienste begünstigen und relevantere Wettbewerber unsichtbar machen. Dabei hatte die Europäische Kommission 2017, infolge einer Beschwerde von BDZV und VDZ für genau solche Praktiken Google ein Bußgeld von € 2.4 Mrd. auferlegt.  In der mündlichen Verhandlung von Googles Klage gegen diese Kommissionsentscheidung im Februar 2020 redete dann auch ein Richter beim EU-Gericht Tacheles: Das Bußgeld sollte noch erhöht werden. Google begünstige sich vorsätzlich. Die immer neuen Wettbewerbsbeschwerden zeigten, dass die Entscheidung der Kommission offenbar keinerlei abschreckende Wirkung entfaltete.

Komplexität und permanentes Marktversagen sprechen für Regulierung

Die mündliche Verhandlung zeigte aber auch die Komplexität der Materie. Die kleinsten Details der verschiedensten Funktionen, technischen Optionen und Auswirkungen von Designs von Suchdiensten auf Sichtbarkeit, Klickraten und Klickpreise kamen zur Sprache. Selbst eine so starke Wettbewerbsbehörde wie die Europäische Kommission gelangt da schnell im Informationsgefälle zur Black Box Google an ihre Grenzen. Google, Amazon, Apple und Facebook stehen nahezu unbegrenzte Stellschrauben zur Verfügung, um über ihre milliardenfachen täglichen Vermittlungsleistungen Märkte zu monopolisieren. Es kann nicht Aufgabe allgemeiner Wettbewerbsbehörden sein, dauerhaft und tagesaktuell solche Kleinstprozesse zu überwachen. Wer Montag aus den Suchergebnissen verschwindet, will und braucht spätestens Freitag Klarheit – nicht Jahre später.

Eine Aufgabe für den Gesetzgeber

Die allgemeinen Wettbewerbsbehörden sind auch nicht dazu berufen, komplexe, grundrechtsrelevante Gemengelagen in einen allgemeinen Einklang zu bringen, um die es beim Zugang zu Informationen im Internet geht. Das ist originäre Aufgabe des Gesetzgebers. Der Referentenentwurf für eine 10. GWB-Novelle (sog. „Digitalisierungsgesetz“) ist insoweit ein richtiger Schritt. Die vorgesehene Modifizierung der Missbrauchsaufsicht reicht aber nicht aus . Nur gesetzliche Detailregelungen und ex-ante wirkende Verbote schaffen die erforderliche Rechts- und Planungssicherheit. Gerade in dynamischen Märkten müssen die zuständigen Institutionen schnell und gezielt agieren können. Die von der 10. GWB-Novelle prognostizierten 2 Entscheidungen des Bundeskartellamts gegen die Tech-Riesen innerhalb der ersten 5 Jahre sind schlicht „too little, too late“. Mittel- bis langfristig führt kein Weg an einer speziellen Regulierung vorbei. Sie sollte die folgenden Mindestanforderungen erfüllen:

Gebotene asymmetrische Regulierung

Eine Marktregulierung von Internet-Intermediären muss zwingend asymmetrisch sein, also zwischen Plattformen mit und Plattformen ohne signifikante Marktmacht unterscheiden. Ein Marktversagen besteht nur bei Plattformen, für die es auch längerfristig keine echten Ausweichmöglichkeiten gibt. Für sie können und müssen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit strengere Vorgaben gelten als für andere Plattformen. Der symmetrische Ansatz etwa der Platform-to-Business-Verordnung  oder der Datenschutzgrundverordnung ist nicht geeignet, Probleme asymmetrischer Machtverhältnisse zu lösen. Er kann diese Asymmetrien sogar verfestigen.

Differenzierung anhand der Angreifbarkeit eines Intermediärs

Die verschiedenen Internet-Plattformen werden auf ihren jeweiligen Märkten unterschiedlich intensiv durch die Wechselmöglichkeiten ihrer jeweiligen Abnehmergruppen diszipliniert. Jeder Auferlegung von Verpflichtungen muss daher eine umfassende Marktanalyse vorausgehen. Dafür sind zunächst die verschiedenen Vermittlungsdienstleistungen abzugrenzen, also die relevanten Märkte zu definieren. Im Anschluss ist festzustellen, auf welchem definierten Markt eine signifikante Marktmacht besteht und ob diese nur von vorübergehender Natur ist oder der Markt aufgrund beträchtlicher und anhaltender Marktzutrittsbarrieren längerfristig nicht zu wirksamen Wettbewerb tendiert. Wurden derart durch Wettbewerb nicht hinreichend disziplinierte Intermediäre identifiziert, sollte noch geprüft werden, ob das allgemeine Wettbewerbsrecht ausreicht, um das Marktversagen zu adressieren. Das ist typischerweise auf Märkten mit vielen Transaktionen und hohem Streitpotential nicht der Fall.

Maßgeschneiderte Regulierungsverfügungen

Im Anschluss an die Marktanalyse, sind dem identifizierten Intermediär mit signifikanter Marktmacht ein einem zweiten Schritt geeignete Verpflichtungen aufzuerlegen, um den Wettbewerb zu sichern. Dafür sollte das Gesetz der Regulierungsbehörde einen breiten Kanon möglichen Verpflichtungen einräumen. Die Behörde könnte dann die im Einzelfall am effektivsten auswählen.


Jedenfalls die folgenden Verpflichtungsoptionen erscheinen sinnvoll:

  • Gleichbehandlungsgebote: Pflicht, bei der Vermittlung alle Angebote nach denselben Prozessen und Methoden zu behandeln, einschließlich der eigenen Angebote.
  • Entflechtungsvorgaben: Pflicht, den regulierten Vermittlungsdienst strukturell (buchhalterisch, funktional, gesellschaftsrechtlich bis hin zu eigentumsrechtlich) von anderen Geschäftsbereichen zu trennen.
  • Zugangsverpflichtungen: Pflicht, Wettbewerbern eine Mitbenutzung wesentlicher Vorleistungen zu erlauben, damit sie in Konkurrenz treten können, einschließlich des Zugangs zu wettbewerbsrelevanten Daten.
  • Datenportabilitätsvorgaben: Pflicht, die Portierung von Nutzerdaten auf eine andere Plattform zu ermöglichen und ggf. aktiv zu portieren.
  • Transparenzverpflichtungen: Pflicht, Nutzergruppen Interessenkonflikte bei der Vermittlung und relevante technische Spezifikationen offenzulegen.

Je nach Marktversagen könnten diese Verpflichtungen weiter ergänzt werden.


Spezialbehörde mit technischem Know-how

Die Durchsetzung einer asymmetrischen Regulierung setzt eine schlagkräftige Regulierungsbehörde voraus. Hierfür sollte auf die nationalen Behörden für die Regulierung von Telekommunikationsmärkten vertraut werden, in Deutschland die Bundesnetzagentur. Das ähnlich dynamische und technisch komplexe Telekommunikationsrecht sieht den hier dargelegten asymmetrischen Regulierungsansatz bereits vor. Die erfolgreiche Rückführung der sektorspezifischen Regulierung hat hier auch freie Kapazitäten geschaffen. Mit BEREC besteht auch eine Europäische Dachorganisation, die kurzfristig allgemeine, übergreifende Leitlinien entwickeln könnte. All das ließe sich im Ergebnis ganz zügig erreichen, wenn man den Rechtsrahmen für die elektronische Kommunikation auf Internet-Intermediationsdienste erweitert.