Podcast Mordsgespräche: Go&Change – eine umstrittene Gemeinschaft
Folge 3: Drogen, Sex und Frauenfeindlichkeit / Von Silke Schmitt, Désirée Schneider und Team
Reto Giacopuzzi: Der Hauptpunkt war immer, dass Kai ihm Aufträge erteilte, wo er zu Roland gesagt hat: Da wäre eine junge Dame, knapp um die 30, die unbedingt mal wieder flachgelegt werden müsse. Er würde ihm diesen Auftrag geben, das zu erledigen.
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In einem ehemaligen Kloster in Unterfranken lebt eine Gemeinschaft mit dem Namen Go&Change. Die Menschen, die dort leben, betrachten sich als eine Familie. Sie leben eine Kultur der Liebe – das sagen zumindest die einen. Von Manipulation, Druck und Drogenkonsum sprechen die anderen. Über die Jahre es gibt mehrere Todesfälle im Umfeld der Gemeinschaft, ohne dass sich jemand dafür verantworten muss. Und doch ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Situation eskaliert.
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Oktober 2022: Ein Krankenwagen fährt vor dem ehemaligen Kloster in Lülsfeld vor. Hier lebt seit 2017 die Gemeinschaft Go&Change. Über sie haben wir schon in den letzten beiden Folgen gesprochen. Denn: Die Gruppe steht öffentlich in der Kritik. Viele Aussteigerinnen und Aussteiger sowie Angehörige von Mitgliedern erheben schwere Vorwürfe - vor allem gegen die Gemeinschaftsleitung. Sie sprechen von Psychodruck und Manipulation. Vorwürfe, die Go&Change selbst seit ihrem Bekanntwerden abstreitet.
Generell sei an dieser Stelle gesagt, dass wir Go&Change wiederholt mit den Vorwürfen von Angehörigen und ehemaligen Mitgliedern konfrontiert haben. Abgesehen von einzelnen Stellungnahmen, die wir hier erwähnen werden, hat sich die Gemeinschaft uns gegenüber nicht geäußert. Stellungnahmen zu der Berichterstattung und einigen Vorwürfen sind auf den Webseiten von Go&Change nachzulesen.
Die Rettungskräfte, die im Oktober 2022 ins ehemalige Kloster gerufen werden, können nichts mehr tun. Ein 56-jähriger Mann ist bereits tot, als sie eintreffen. Wir sprechen in dieser Folge über den Tod von Roland, der unerwartet stirbt, nur wenige Monate, nach dem letzten Todesfall im Umfeld des Klosters.
Wenn ihr die ersten beiden Folgen dieser Podcast-Serie noch nicht gehört habt, fangt am besten damit an. In dieser Folge geht es darum, wie Rolands Familie zu Go&Change kam und wie sie in der Gemeinschaft zerbrochen ist. Es geht um Drogen, Sex und Frauenfeindlichkeit. Mein Name ist Silke Schmitt und ihr hört einen Main-Post-Podcast.
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Seit Sophies Tod im August 2022 sind nur wenige Monate vergangen, als Roland stirbt. Er ist der vierte Tote im Umfeld der Gemeinschaft Go&Change: Über Sophie, eine junge Frau, die sich das Leben nahm, nachdem sie aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurde, haben wir in der letzten Folge gesprochen. Zuvor sind außerdem zwei Kinder ums Leben gekommen. Ein Junge ertrank in einem Löschteich und ein Baby starb während eines nächtlichen Spaziergangs am plötzlichen Kindstod.
Die Todesursache bei Roland? Die ist lange unklar. Die Gerichtsmedizin braucht Monate, bis das Ergebnis der Obduktion im Juni 2023 endlich feststeht. Dabei kommt heraus, dass Roland keines natürlichen Todes gestorben ist. In seinem Blut finden die Gerichtsmediziner Hinweise auf Drogen. Das Narkosemittel Ketamin und der Ecstasy-Wirkstoff MDMA können nachgewiesen werden. Im Obduktionsbericht heißt es dann später, dass die "Intoxikation mit Ketamin bei verminderter Belastbarkeit des Organismus" zum Tod führte.
Rolands Asche wird zurück in seine Heimat überführt - in die Schweiz. Von hier aus hatte er sich zwei Jahre zuvor zum ersten Mal nach Lülsfeld aufgemacht. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern. Damals besucht die Familie die Gemeinschaft erst nur unregelmäßig. Dann werden die Besuche immer häufiger und das Kloster wird zu einer Art zweiten Zuhause für die Familie. Die Töchter, Zwillinge, sind zu dieser Zeit im Teenageralter.
Von Angehörigen wissen wir, dass Roland und seine Frau schon immer offen für alternative Lebensformen waren. Über eine Gemeinschaft in der Schweiz, kommen sie mit Go&Change-Mitgliedern in Kontakt und finden in Lülsfeld scheinbar das, was sie gesucht haben.
Roland ist Berufsmusiker und spielt in einer Jazz-Band. Mit seinem Freund und Bandkollegen Reto Giacopuzzi spricht er auf Tourneen häufig über seine Vorstellungen vom Leben.
Reto Giacopuzzi: Dort hat er schon oft seine Ideen erzählt, wie er nach anderen Lebensformen sucht und in Gemeinschaft mit anderen leben möchte, man sich hilft, austauscht und einfach ganz anders als ich mir das vorstellen würde.
Reto war ein enger Freund von Roland. Die beiden lernen sich schon als junge Männer in St. Gallen kennen - und weil beide leidenschaftlich gern Musik machen und den gleichen Humor haben, sind sie sich auf Anhieb sympathisch, es ist der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.
Reto Giacopuzzi: Ich kenne ihn jetzt ungefähr 40 Jahre. Während dieser Zeit haben wir eigentlich fast unterbrochen zusammen gespielt in Bands und kannten uns gut, wurden richtige Freunde, haben auch Dinge geteilt, die ums Leben gingen, die zum Teil ziemlich tief gingen. Dinge, die ich mit anderen Männern nicht so besprochen habe. Und bei ihm spürte ich da, dass es gut ging, weil er Verständnis hat und selber auch nicht so ein konformer Typ war, der einem nichts vormachte. Probleme, die wir hatten, die haben wir tabulos besprechen können, das hat mich immer sehr beeindruckt an ihm.
Mit der gemeinsamen Jazz-Band touren Reto und Roland durch die Schweiz und Deutschland. Dabei haben sie neben der Musik auch viel Zeit für Gespräche. Und ihre Diskussionen sind häufig kontrovers – aber immer auf Augenhöhe, sagt Reto.
Schon bevor sie Go &Change kennenlernen, haben Roland und seine Familie Erfahrungen mit Gemeinschaften gemacht. Sie haben sich zum Beispiel Tamera in Portugal angeschaut – das ist eine Gruppe, die sich als Friedensforschungszentrum bezeichnet und auf die gleichen Gründer zurückgeht wie das ZEGG in Bad Belzig, über das wir in der letzten Folge schon kurz gesprochen haben. Aber kaum eine der Gemeinschaften, die sie kennenlernen, hinterlässt einen so bleibenden Eindruck bei Roland wie Go&Change.
Reto Giacopuzzi: Er hat immer von diesem Kloster geredet, ich hab gefragt, was das sei und er hat es als eine Gemeinschaft beschrieben, das hieß Go&Change. Das war das erste Mal, dass ich damit in Berührung kam. Aber gefragt habe ich, weil ich gemerkt habe, dass er sich verändert.
Reto sieht die Veränderung in Roland so deutlich, weil sie sich durch ihre Band regelmäßig sehen. Einmal in der Woche proben sie gemeinsam. Und auch wenn Roland in Lülsfeld ist, kommt er zu den Bandproben. 4 Stunden fährt er dafür in die Schweiz und zurück. Aber dadurch bleibt auch der Kontakt mit Reto und den anderen Bandmitgliedern bestehen. Und Roland erzählt: Vom Leben im Kloster, und warum es sich lohnt, so oft die weite Strecke zu fahren.
Reto Giacopuzzi: Er hat davon gesprochen dass die Leute, die dort leben, dort seine Philosophie teilen, aber ganz besonders hat er immer von zwei super Typen erzählt. Quasi diese zwei, die das führten oder leiteten, extrem spannende Typen seien. Ich kann mich an einen Satz erinnern: Die würden morgen schon unter einer Brücke leben, wenn man ihnen das aufbürden würde. Das war eine Symbolik um Klaus und mir klar zu machen mit was für extrem konsequenten Typen er da zu tun hat – so mit Nawalny Typen, die würden alles auf sich nehmen was man ihnen aufbürdet. Die hätten einen übergeordneten Durchblick und eine Lebensphilosophie, die ihm bestens entspricht.
Diese zwei “super Typen” - das sind Kai K. und Felix Krolle. Die Gründer und Anführer der Gemeinschaft. Und so wie Roland erzählt wird klar: Er verehrt diese Männer, sie sind regelrecht Helden für ihn. Menschen, die bereit sind, sich für eine Sache zu opfern. Und er glaubt an ihre Ideen, and ihre “Lebensphilosophie”. Und das so sehr, dass die ganze Familie immer öfter aus Schweiz nach Lülsfeld fährt. Die beiden Töchter ziehen sogar irgendwann ganz dort hin.
Reto Giacopuzzi: Da war ja dann irgendwann die Frage fällig, wer ist dann da alles dabei? Gehst du da mit deiner ganzen Familie hin? Er bejahte das. Worauf hin wir fragten wie geht das mit einer Ausbildung mit Lehre, mit Studium... Und er bestätigte das und sagte, dass das eine Lebensform sei, die alles andere in den Schatten stellt. Hier Dinge abzubrechen, das sei schon fast banal, wenn man das erleben kann.
Als die Familie immer mehr Zeit im Kloster verbringt, bemerkt Reto, dass sich sein Freund verändert. Zum Beispiel beginnt er wieder zu rauchen - und nicht nur ein oder zwei Zigaretten, während sie sich sehen, sondern eine nach der anderen. Teilweise müssen sie sogar die Proben dafür unterbrechen. Warum fängt ein Mann mit 56 Jahren wieder an zu rauchen – das fragt sich auch Reto. Er denkt: Es gibt offensichtlich ein Problem, irgendetwas, das Roland zusetzt, und deswegen hakt er nach.
Reto Giacopuzzi: Er hat dann bald etwas detaillierter erzählt, ja da gäbe es große Probleme mit seiner Frau, das funktioniere nicht mehr und er hätte bemerkt, dass seine Frau ihm überhaupt nicht guttäte. Aber weil ich seine Frau auch lange und gut kannte, hab ich weiter nachgebohrt. Warum sie ihm nicht gut täte. Irgendwann habe ich wieder nachgebohrt. Und weil wir jahrzehntelang Dinge besprochen haben, die man mit den wenigsten bespricht, und so haben wir auch das besprechen können. Er hat gemeint, dass die Typen im Kloster ihm die Augen geöffnet haben und ihm klar gemacht haben, dass seine Frau ihm nicht guttut, weil sie ihn misshandelt. Wir haben dann gelacht und nachgefragt, was meint er denn genau mit misshandeln. Er solle mal Beispiele bringen, wir kennen doch seine Frau, die wäre ja gar nicht fähig, irgendwen zu misshandeln. Schon gar nicht ihren Ehemann. Wir bohrten nach und er sagte, sie misshandle nicht nur ihn, sondern auch die Töchter. Sie manipuliere sie und ziehe sie auf ihre Seite, spiele sie gegen ihn aus. Und hat ziemlich verrücktes Zeug erzählt, woraufhin wir ihn baten Beispiele zu nennen. Da kamen dann so verrückte Beispiele, wie wir wissen ja, dass sein Lieblingsbrot das St. Galler Brot sei, und seine Frau würde im das nie mitbringen. Ob wir verstehen, was er meine.
Reto sagt, er habe nicht verstanden, was Roland meint. Für ihn hatten die beiden zuvor einen glücklichen Eindruck gemacht. Auch seinem Bruder hat Roland auf gemeinsamen Wanderungen oft gesagt, dass seine Frau die Liebe seines Lebens sei. Sie hätten eine normale Beziehung gehabt, mit Höhen und Tiefen. Doch das ist nun scheinbar vorbei. Für Roland und wohl auch für seine Töchter ist klar: Die Mutter und Ehefrau ist schuld am Trauma der Familie. Sie wird daraufhin aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und darf darauf nicht mehr ins Kloster zurückkommen. Auch aus dem Haus in der Schweiz muss sie ausziehen, erzählen uns Angehörige.
Dass Paare in der Gemeinschaft getrennt werden, ist nichts Neues für meine Kollegin Christine Jeske. Viele Angehörige und Ausgestiegene haben ihr schon davon erzählt.
Christine Jeske: Wenn Paare ins Kloster kamen, wenn sie gemeinsam dorthin gingen, haben sie von einer tollen Anfangszeit erzählt, sie seien total herzlich empfangen worden, mit Liebe überschüttet Love Bombing, wird das genannt.
Love Bombing, das hat uns die Würzburger Psychologin Marion Schowalter in der letzten Folge erklärt, ist eine Manipulationstechnik. Man baut eine starke emotionale Bindung auf und diese Bindung kann dann ausgenutzt werden, um Menschen zu etwas zu bringen, das sie vielleicht sonst nicht getan hätten.
Christine Jeske: Bei Go&Change, hab ich gehört, war es dann immer so, dass dann schnell Kritik geübt wurde an der Beziehung, meistens an den Frauen. Sie wurden getrennt. Sie würden sich nicht guttun. Es wurden sogar neue Partner ausgewählt. Männer sollten mal ihre homosexuelle Seite kennenlernen, hieß es bei einem Paar. Oder es wurde gesagt, die Frau muss gehen, weil sie gewaltvoll sei.
Freie Sexualität ist in vielen sozialutopischen Gemeinschaften ein Ding – und kann ein Grund sein, sich einer Gemeinschaft anzuschließen. Freie Sexualität bedeutet dabei meistens: Es gibt keine monogamen Beziehungen. Der Gedanke dahinter ist, dass die Probleme der Gesellschaft auf den sexuellen Restriktionen und auf Eifersucht fußen. Darum sei der erste Schritt in eine bessere Gesellschaftsform, die Sexualität zu befreien.
Marion Schowalter: Das ist einfach eine andere Haltung Beziehungen gegenüber. Ich kenne das aus anderen Psychogruppen, dass man keine Freundschaften haben darf. Und eine Paarbeziehung ist ja auch eine enge Beziehung zu einer Person. Einfach damit die Gruppe gestärkt wird an sich und nicht die Zweierbeziehung. Da ist natürlich mehr möglich, wenn jemand keine Vertrauenspersonen mehr hat in einer Gruppe.
Das ist die Psychologin Marion Schowalter, ihr kennt sie schon aus der letzten Folge. Sie sagt ”Da ist mehr möglich” - damit ist im weitesten Sinne gemeint, dass man jemanden schneller in die Gruppe integrieren kann. Denn: Neuen Mitgliedern fehlt jemand, mit dem man über das Erlebte vertraulich sprechen kann.
Die Situation könnte folgende sein: Ich bin neu in der Gruppe und nehme eine Aktion als grenzüberschreitend wahr. Aber alle um mich herum suggerieren mir, dass diese Aktion positiv und richtig ist. Wenn ich jetzt niemanden habe, der meine Wahrnehmung teilt, oder dem ich mich mit meinem Zweifel anvertrauen kann, bin ich eher dazu geneigt, meinem eigenen Gefühl nicht zu vertrauen - und den Standpunkt der Gruppe zu übernehmen.
Es fehlt also innerhalb der Gruppe eine Art Korrektiv. Aber auch außerhalb haben die Mitglieder oft kaum noch Kontakt zu Andersdenkenden. Aussteigerinnen und Aussteiger von Go&Change berichten zum Beispiel, dass der Kontakt zu den Eltern, also der sogenannten “Ursprungsfamilie” häufig untersagt wurde.
Marion Schowalter: Das eine ist, dass sich Gruppen immer in einer gewissen Weise abheben oder abgrenzen, sonst wäre es keine Gruppe, aber wie durchlässig dann die Grenze ist, ist unterschiedlich. Und so wie sie es schildern, war Go&Change eine Gruppe, die sich sehr nach außen abgegrenzt hat. Und je mehr diese Abgrenzung stattfindet bzw. auch die Mauer nach außen, desto mehr ist innen möglich jetzt auch an Dingen, die ganz anders sind als was wir kennen.
Man ist also eher geneigt, das Weltbild der Gemeinschaft zu akzeptieren, wenn es um einen herum wenige Personen oder niemanden gibt, der dieses Weltbild in Frage stellt. Man akzeptiert dann vielleicht auch leichter, dass man sich von seinem Partner oder seiner Partnerin trennen soll. Man möchte ja auch etwas Neues ausprobieren und über seine Grenzen gehen. Zumindest ein Stück weit.
Freie Sexualität ist in vielen solcher Gemeinschaften also zentraler Bestandteil der Gruppeneigenen Philosophie. Nur ist bei Go&Change die Sexualität streng genommen nicht wirklich frei, sondern zumindest zum Teil fremdbestimmt. Weil die Führungsebene der Gemeinschaft bestimmt, wer mit wem eine Beziehung eingehen sollte. Klar, zwingen kann man die Leute nicht, aber von Ausgestiegenen heißt es, dass man sich in der Regel dem gefügt habe, was Kai gesagt hat. Und wenn er der Meinung war, dass man sich besser trennen sollte, dann hat man das gemacht. Marion Schowalter sagt dazu:
Marion Schowalter: Ich kann mir gut vorstellen, dass man mit guten Motiven in so eine Entwicklung reingegangen ist, dass man alte Grenzen auflösen wollte und Neues entdecken. Und dann manches aus dem Ruder gelaufen ist, weil die Strukturen dann doch zu mächtig geworden sind und bestimmt wurde, wo andere dann nicht mehr Nein sagen konnten.
Alle, die sich Go&Change angeschlossen haben, taten das erstmal aus den besten Absichten heraus – oder vielmehr aus einem Bedürfnis heraus, etwas verändern zu wollen – oder auch sich verändern zu wollen. Das hat uns der Psychologe Dieter Rohmann in der letzten Folge erklärt. Menschen, die sich einer Gemeinschaft anschließen, sind erstmal offen für alles, was da auf sie zukommt. Sie wollen ihr Leben anders leben als außerhalb der Gemeinschaft – womöglich auch, was Partnerschaften angeht.
Vielleicht ist es auch der Ehefrau von Roland so gegangen – zumindest in der Anfangszeit. Denn für sie hat sich der Traum vom Gemeinschaftsleben schnell in einen Alptraum verwandelt. Denn Sie wird von ihrer Familie getrennt. Roland hat Reto im Gespräch erzählt, dass man jetzt erkannt habe, was seine Frau für eine schlimme Person sei. Und er und seine Töchter fänden es gut, dass sie aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werde.
Reto Giacopuzzi: Und da bohrst du dann nach und kannst die Welt nicht mehr verstehen. Und er erklärte dann, dass man das einfach erkannt hat und dass er so naiv und dumm war, dass er über all diese Zeit nicht erkannt hat, dass er an der Seite einer so bösen Frau lebte. Die ihn physisch und psychisch misshandelt und schlimme Dinge mit ihm machte. Und gleichzeitig fing er auch an frauenfeindliche Dinge zu erzählen, was auch extrem untypisch für ihn war. Im Gegenteil: Er war sozialkompetent, er hat die Leute immer mit Namen genannt, ihm ist fast nichts entgangen, er war vorbildlich in alle diesen sozialen Dingen.
Rolands Bandkollegen gefällt die Veränderung ihres langjährigen Freundes gar nicht. Was ihre Freundschaft auszeichnete, war, dass sie über viele Dinge offen diskutieren konnten – auch wenn sie verschiedener Meinungen waren. Das wird jetzt immer schwieriger. Denn Roland ist zu 100 Prozent überzeugt, von den Erkenntnissen, die er aus der Gemeinschaft mitbringt. Auf Gegenargumente geht er fast gar nicht mehr ein. Und während seine Freunde diese Entwicklung kritisch sehen, scheint es ihm sehr gut zu gefallen bei Go&Change.
Die Philosophie, nach der dort gelebt wird, sagt Roland zu und durch die Gespräche mit ihm bekommt auch Reto eine Idee von dieser Lebenswelt und den Überzeugungen, die die Gemeinschaftsmitglieder teilen.
Dabei wird recht schnell klar, dass ein Großteil dessen, was Roland am Gemeinschaftsleben schätzt mit Sexualität zu tun hat.
Reto Giacopuzzi: Irgendwann kam er dann zu der Aussage, dass ja eigentlich eh fast alles um Sex ginge. Das sei quasi das Problem überhaupt. So wie jetzt in Deutschland viele sagen: Die Mutter aller Probleme sei die Migration – hat er gefunden, die Mutter aller Probleme ist der Sex zwischen Eheleuten und überhaupt.
Er sei so froh, dass ihm die Typen da die Augen geöffnet haben und dass er das ganz neu erfahren dürfe und das sei wie göttlich, was er da mitnehmen darf. Und er kam immer wieder auf die sexuelle Komponente, aber nicht nur, aber das war so wie ein Hauptthema.
Sex und Sexualität, das wird deutlich, auch wenn man mit Ausgestiegenen spricht, spielt eine zentrale Rolle in der Gemeinschaft. Es fängt damit an, dass Paare, wie Roland und seine Frau getrennt und mit anderen neu zusammengesetzt werden. Einige Männer werden teilweise dazu angehalten, ihre homosexuelle Seite zu entdecken – und für viele Frauen, für die gibt es bald nur noch einen favorisierten Partner: Kai K.
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Christine hat in den Gesprächen mit Ehemaligen erfahren, dass Sex auch im Heilungs- oder Entwicklungskontext eine große Rolle spielt. Es gibt wohl sogenannte sexuelle Kontexte, in denen häufig Kai K. mit mehreren Frauen Sex hatte, um ihnen in ihrer Entwicklung zu helfen. Er selbst hat sich offenbar als eine Art sexueller Heiler gesehen. Oft sei der Sex dabei auch gewaltvoll gewesen.
Christine Jeske:Es hieß von ehemaligen Go&Change-Mitgliedern, sie sollten ihre Eifersucht und sexuellen Blockaden überwinden. Dies geschehe durch Sex, auch durch gewaltvollen Sex, mit wechselnden Partnern. Oder durch verschiedene Sexualpraktiken. Eifersucht wird als dunkler Punkt angesehen. Sie würde nur zu Unfrieden führen. Dazu gehöre auch das Leben in einer Gemeinschaft, nicht in der traditionellen Zweierbeziehung in einer Kleinfamilie. Allgemein wird die sexuelle Befreiung als Möglichkeit angesehen, die Welt friedvoller zu machen. Sie löse Ängste und eben innere Blockaden.
Auch bei der sogenannten Innenarbeit und auf den Partys, die regelmäßig in der Kapelle stattfinden ist Sex ein wesentlicher Bestandteil. Mal ist es Kai K. selbst, der mit den Frauen schläft, mal erteilt er Aufträge an andere Männer - auch an Roland.
Reto Giacopuzzi: Der Hauptpunkt war immer, dass Kai ihm Aufträge erteilte, wo er zu Roland gesagt hat, das wäre eine junge Dame um knapp 30, die unbedingt mal wieder flachgelegt werden müsse. Er würde ihm diesen Auftrag geben, das zu erledigen. Und er ist 56 und das ist eine junge Dame. Und Klaus und ich haben dann gefragt, aber wie geht das? Hat die da Mitspracherecht und spinnst du? Und natürlich war das spannend da zuzuhören, weil er keine Scham empfand. Er hat das ganz sachlich erzählt, wie man ihn das vorgeschlagen hat, man dann kurz gefragt hat, ob sie einverstanden wäre, das war dann ja legitim und sie dann nach 10 Minuten zur Sache gekommen sind.
Es gab mehrere solcher Jobs. Wenn sie ohne zu tanzen in einem Raum lagen und wieder irgendwie ein Vorschlag kam von diesen beiden Typen, es gäbe da ja noch diese oder diese und man hätte bemerkt, dass man ein bisschen flirten würde ob man nicht gleich zur Sachen kommen wollte.
Wichtig ist: Der Sex in diesem Fall ist einvernehmlich. Roland habe auch berichtet, dass die Frauen Nein sagen können und dass das respektiert werde, sagt Reto. Aber: Ein bitterer Beigeschmack bleibt: Männer, die im Auftrag eines anderen Mannes mit Frauen schlafen, weil die es mal wieder nötig hätten? Für mich klingt das nach Erniedrigung. Vor allem, eben weil wir von Ausgestiegenen wissen, dass auch der Sex oft erniedrigend ist.
Roland scheint sich während seiner Zeit bei Go&Change einmal auf links zu drehen. Früher war er ein Familienmensch, nicht immer ganz konform, wie Reto es ausdrückt, aber im Grunde bodenständig. jetzt trennt er sich plötzlich von seiner Frau. Er beginnt wieder zu rauchen, er hat Sex mit Frauen, die seine Töchter sein könnten, und er beginnt, auch Dinge zu sagen, die Reto als frauenfeindlich bezeichnet.
Frauen scheinen generell in dem Weltbild von Kai K. und Felix Krolle keinen guten Stand zu haben. Wie Reto bemerken nämlich auch andere Angehörige, dass Mitglieder von Go&Change sich frauenfeindlich äußern. Zum Teil komplett entgegen ihrer ursprünglichen Einstellung.
Christine Jeske: Das Thema Frauenfeindlichkeit wurde immer wieder thematisiert von Aussteigerinnen. Bei Go&change waren meistens die Frauen in der Kritik. Von Sophies Mutter habe ich gehört, dass auch ihre Tochter plötzlich erzählt habe, nicht die Frauen seien die Opfer von Männern, sondern umgekehrt: Die Männer seien die Opfer von Frauengewalt. Und sie war, bevor sie zu Go&Change ging, eigentlich sehr feministisch eingestellt. Hat ein ganz anderes Frauenbild vertreten. Hätte aber dieses Frauenbild angenommen und auch formuliert. Dass Männer eigentlich die Opfer seien.
Eine andere Aussteigerin hat mir erzählt, dass z.b. auch keine Rücksicht genommen wurde. Frauen seien die Arbeitstiere in der Gemeinschaft und als sie schwanger war, musste sie eigentlich bis zum Tag der Geburt arbeiten. Konnte sich nicht zurückziehen, nicht ausruhen und musste bis zum Schluss zb Toiletten putzen, das war ihr Job damals.
Auch Dr. Jürgen Lohmayer, der Weltanschauungsbeauftragte des Bistums Würzburg, hat mit vielen Angehörigen gesprochen. Und auch er meint zu erkennen, dass vor allem Mütter einen schlechten Stand in der Gemeinschaft haben.
Jürgen Lohmayer: Wenn man sich mit Angehörigen unterhält, bekommt man oft die gleichen Geschichten erzählt und die ähneln sich oftmals bis in den Wortlaut hinein.
Es ist fast schon ein Muster, dass immer eher die Frauen die Bösen sind. Also die Mütter. Die Väter kommen immer besser weg.
Die Bösen - das heißt diejenigen die vermeintlich Schuld sind an den eigenen Problemen. Wie in Rolands Familie, wo eben auch der Mutter und Ehefrau die Schuld zugewiesen wird. Nicht nur von ihren Töchtern, sondern auch von ihrem Ehemann. Roland hat sich in dieser Zeit nicht nur von seiner Ehefrau getrennt, sondern auch zu seiner eigenen Mutter den Kontakt abgebrochen. Ganz ähnlich klingt auch die Geschichte von Sophies Mutter, die wir in der letzten Folge gehört haben. Auch ihre Tochter hat ihr seit dem Einzug ins Kloster immer wieder Vorwürfe gemacht.
Christine Jeske: Auffallend ist: Mütter werden immer als die gewaltvolleren Menschen beschrieben. An ihnen wird häufig kein gutes Haar gelassen. Mütter sagten mir, ihnen seien zum Teil heftige Vorwürfe gemacht worden. Sie seien schuld an den traumatischen Erfahrungen ihres Sohnes oder ihrer Tochter in deren Kindheit. Diese müssten sie jetzt in der Gemeinschaft und mit Hilfe von Kai K. verarbeiten. Auch Kai sei von seiner Mutter schlecht behandelt worden. Das kam jetzt im Prozess in Schweinfurt zur Sprache.
Geht die Frauenfeindlichkeit in der Gemeinschaft also möglicherweise von Kai K. aus? Dass er wohl kein gutes Verhältnis zu seiner Mutter hat, das wissen wir durch eine Zeugenaussage im späteren Prozess. Demnach wurde er mehrmals von seiner Mutter gedemütigt. Sie habe auch Gewalt gegen ihn ausgeübt und sein Spielzeug zerschlagen, als er klein war, sagte eine Zeugin.
Nachdem er lange geschwiegen hatte, hat sich Kai K auch selbst vor Gericht zu seiner Kindheit geäußert. Allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Richterin hat entschieden, dass in diesem Fall der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Angeklagten gegenüber dem öffentlichen Interesse überwiegt. In dieser nichtöffentlichen Aussage hat Kai wohl auch über traumatische sexuelle Erfahrungen in der Kindheit berichtet.
Gibt es vielleicht einen Zusammenhang zwischen diesen Erlebnissen und dem Frauenbild, das sich in der Gemeinschaft etabliert hat? Das ist durchaus denkbar. Klar ist, dass vor allem für Kai K. Frauen mehr schlechte Seiten oder Schatten haben als Männer. Das ist auch dem Münchner Weltanschauungsbeauftragten Matthias Pöhlmann aufgefallen, der den Prozessbeginn gegen Kai K. verfolgte. Für ihn...
Matthias Pöhlmann: ...ist deutlich geworden und das zeigt der Prozess, wie häufig es zu sexuellen Übergriffen zu Erniedrigungen kam, gerade Frauen gegenüber. Und das zeigt in erschreckender Art und Weise, welches verheerende Frauenbild der Anführer dieser Gruppe offensichtlich hat, wenn er davon ausgeht, dass Frauen von einem Dämon besessen sind, die ihn bedrohen oder vom rechten Weg abbringen wollen. Darin offenbart sich im Grunde ein höchst problematisches Frauenbild.
Das mit den Dämonen müssen wir an dieser Stelle vielleicht kurz erklären. Im Prozess kommt zur Sprache, dass Kai K. davon überzeugt gewesen sein soll, dass bestimmte Frauen von Dämonen besessen seien. Diese Dämonen seinen darauf aus gewesen sein, ihn zu vernichten. Eine Zeugin sagte aus, je näher die Frauen ihm standen, desto böser, oder besessener waren sie in seinen Augen.
Außerdem soll er mindestens zwei Frauen zu absurden Geständnissen gezwungen haben. Einmal musste eine von ihnen zum Beispiel zugeben, Kindern die Finger abgebissen zu haben.
Kai K.s Aufgabe in diesem Szenario war dann - mindestens in einem Fall - den Dämon auszutreiben – und das machte er indem er mit der Frau Sex hatte und sie schlug. Laut der Betroffenen Frau war der Sex in diesem Fall nicht einvernehmlich, was darauf folgte, war eine Anzeige wegen Vergewaltigung. Kai K. bestreitet den Vorwurf der Vergewaltigung. Aber darauf werden wir in der vierten Folge dieses Podcasts noch genauer eingehen.
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Rolands Veränderung, seit er sich der Gemeinschaft Go&Change angeschlossen hat, fällt auch seinem Bruder Stefan auf. Zwei Sachen sind für ihn besonders prägnant. Zum einen kennt er Roland eigentlich als einen kritischen Geist, als jemanden, der viel hinterfragt. Nur in Bezug auf Go&Change scheint das nicht so zu sein.
Stefan: Er war absolut begeistert vom Klosterleben und von dem geistigen Führer, der schien offenbar alles zu wissen und nichts, was aus dessen Mund kam, schien hinterfragt zu werden. Selbst bei Dingen, die aus meiner Sicht von Selbstüberschätzung und unglaublicher Arroganz nur so trieften. Dass das auch von Roland nicht hinterfragt wurde, das war neu. Da hat er sich geändert. Dass er sein Schicksal und das, was er zu denken habe, in fremde Hände gibt, war untypisch für ihn. Er plapperte Glaubenssätze nach. Es kam mir so vor, als ob alles, was der Guru sagt, für ihn Gesetz sei.
Die zweite große Veränderung betrifft eben auch seinen Blick auf Frauen.
Stefan: Einer dieser Glaubenssätze betraf das Frauenbild. Offenbar, und das hat Roland auch unterstützt, sind es vor allem die Frauen, die an sich arbeiten sollen oder die an ihren Schatten arbeiten müssen. Mein Bruder unterstützte diese Gesinnung auch im Bezug auf seine Partnerin oder unsere betagte Mutter. Dieser Glaubenssatz hat meinen Bruder verändert. Ich konnte das wirklich kaum glauben, dass er dieser chauvinistischen und für mich lächerlichen Geisteshaltung Folge leistet. Umso weniger, dass seine beiden Töchter auch in diesem Kloster wohnen und diesem Matcho-esken System ausgeliefert sind.
Wie auch immer es für Außenstehende aussehen mag - Für Roland scheint das Kloster ein guter Ort zu sein und auch seine heute erwachsenen Zwillingstöchter, fühlen sich in Lülsfeld scheinbar wohl, denn sie wohnen zum Teil immer noch dort. Und klar, es gibt auch viele gute Dinge in der Gemeinschaft. Es gibt Geborgenheit, Verständnis, Gemeinschaftssinn und Menschen, die sich vielleicht mehr nach Familie anfühlen als die Familie, die man zurückgelassen hat. Gäbe es diese Dinge nicht, würde niemand in der Gemeinschaft bleiben wollen.
Aber, nach dem was wir hier gehört haben, gibt es scheinbar auch krasse Beeinflussung. Das sieht man nicht zuletzt daran, wie Roland sich verändert. Er entwickelt nicht nur eine Ablehnung gegenüber seiner Frau, sondern ändert auch politisch seine Meinung. Von sehr links nach sehr weit rechts – und er beginnt Drogen zu nehmen.
Reto Giacopuzzi: Wir haben dann immer mal nachgefragt, was da die Philosophie bei Go&Change wäre. Er hat gesagt, es geht grundsätzlich um Innenarbeit und Außenarbeit und hat gesagt, dass man da hauptsächlich Party mache, aber nicht so wie wir Bananenmenschen das verstehen sondern ein sich mit sich auseinandersetzen. Man schlafe nicht mehr, man tanze zu Musik nächtelang, man nehme Substanzen, die einem das Bewusstsein erweitern. Also Drogen? Das hat er dann runtergespielt. Nein, das sind keine Drogen. Er hätte sowieso lange gemeint, dass Drogen was per se Schlechtes sind aber mittlerweile wisse er auch durch diese Typen dort, dass Drogen auch viel mehr gute Seite haben und einem das Bewusstsein erweitern und einem diese über Jahre aufgebauten Schutzschilder endlich runterfallen lassen. Und man so die Dinge wirklich erkennt.
Drogen nehmen, um das Bewusstsein zu erweitern – das ist keine Erfindung von Go&Change. Schon in den 1970er Jahren experimentierten Psychogruppen zum Beispiel mit LSD. Roland erwähnt Reto gegenüber auch die Droge LSD und außerdem Kokain. Welche Drogen genau in der Gemeinschaft konsumiert werden, ist nicht klar.
Im späteren Prozess ist die Rede von Speed, MDMA, Kokain, LSD, Ketamin und halluzinogenen Pilzen. Ein Zeuge sagt aus, dass der Drogenkonsum in der Gemeinschaft zu Anfang eher zurückhaltend war, aber später fast in eine Art Wettstreit ausgeartet sei. Dabei ging es darum, wer am meisten LSD nehmen könne und trotzdem noch klar bleibe. Doch der starke Drogenkonsum macht sich bemerkbar. Denn die Vorstellung, dass jeder Mensch Schatten in sich trage, reicht irgendwann nicht mehr aus. Aus den Schatten wird die Matrix, dann Parasiten, dann Dämonen. Die Vorstellungen werden immer wahnhafter und sie werden befeuert durch die Drogen – so beschreibt es zumindest ein Aussteiger.
Als Roland stirbt, wird in seinem Blut der Ecstasy-Wirkstoff MDMA und das Narkosemittel Ketamin gefunden wird. Eine Kombination die häufig als Partydroge missbraucht wird. Wer MDMA nimmt, fühlt sich glücklich und euphorisch. Man will sich bewegen, will tanzen, man liebt jeden um sich herum und hat das starke Bedürfnis nach Körperkontakt. Die Wirkung der Droge kann bis zu 6 Stunden anhalten und Bedürfnisse wie essen, trinken und schlafen werden währenddessen verdrängt.
Ketamin dagegen löst laut dem Ärzteblatt Halluzinationen aus. Eine höhere Dosierung kann dazu führen, dass man sich fühlt, als würde man seinen Körper verlassen. Und einige Konsumenten beschreiben, dass die Wirkung einer Nahtod-Erfahrung ähnlich sei. Man gehe wie durch einen Tunnel und trete in das Licht. Generell haben diese Drogen starke Nebenwirkungen und machen abhängig.
Im Bericht der Gerichtsmedizin wird das Ketamin für Rolands Tod verantwortlich gemacht – in Kombination mit einer verminderten Belastbarkeit des Körpers. Das heißt, allein das Ketamin hat Roland nicht umgebracht. Aber wer Vorerkrankungen hat wie zum Beispiel hohen Blutdruck, ein vorgeschädigtes Herz oder Asthma für den kann die Kombination aus Ketamin und MDMA sehr gefährlich sein. Das sagte uns der aus Würzburg stammende Professor für Anästhesie und Schmerzmedizin, Hans Georg Kress. Von Reto und Rolands Bruder Stefan wissen wir, dass auf Roland letzteres zutraf er hatte leichtes Asthma.
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Der regelmäßige Drogenkonsum innerhalb der Gemeinschaft ist auch im Prozess gegen Kai K. ein Thema. Ein psychiatrischer Gutachter sagt, dass Kai im Tatzeitraum unter einem Wahn gelitten habe. Laut der Diagnose leide er an einer drogeninduzierte Psychose und einer sogenannten Substanz-Konsum-Störung. Das heißt: Kai K. ist oder war damals abhängig von bestimmten Substanzen und sein starker Konsum hat eine Psychose ausgelöst. Ob diese Psychose dafür verantwortlich war, dass er sich von Dämonen und Satanisten bedroht fühlte, lässt sich nur mutmaßen.
Obwohl die Gerichtsmedizin nach Rolands Tod zu einem eindeutigen Ergebnis kommt, heißt es von Go&Change, man glaube nicht, dass er an Drogen gestorben sei. Es gibt keine Stellungnahme zu seinem Tod.
Rolands Frau erfährt durch eine ihrer Töchter von Tod ihres Mannes. Stefan erzählt, dass sie mit einer Familienangehörigen sofort von der Schweiz nach Lülsfeld fährt. Aber dort sind die beiden wohl nicht willkommen. Kai K. will, dass sie das Kloster wieder verlassen.
Stefan: da habe es ein Gespräch mit Kai gegeben und der habe lapidar in einem Nebensatz gesagt, das sei jetzt halt scheiße gelaufen mit Roland. Das scheint ihn nicht wahnsinnig berührt zu haben.
Die Frauen fahren am nächsten Tag wieder in die Schweiz und die Töchter sollen nachkommen. Das machen sie aber nicht. Sie bleiben in Lülsfeld. Die Zwillinge sind zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig und Kai will, dass sie bleiben, erzählt Stefan.
Die Familie schaltet letztendlich die Schweizer Kinderschutzbehörde ein und die beiden jungen Frauen gehen zwangsweise zurück in die Schweiz. Doch das Verhältnis zur Mutter ist weiterhin schlecht. In der Nacht zu ihrem 18. Geburtstag werden sie laut Stefan von Go&Change nach Lülsfeld geholt. Sie sollen und wollen im Kloster leben – an dem Ort, an dem ihr Vater am glücklichsten gewesen ist, so drücken sie es aus.
Zu ihrer Familie in der Schweiz haben die beiden danach kaum noch Kontakt.
Stefan: Die letzte Begegnung war vergangene Weihnachten, da waren sie in der Schweiz. Da hatten wir einen schönen Abend wie fast immer. Da gab es nur eine Sequenz, wo sie über ihr Leben im Kloster gesprochen haben, was dann allerdings ziemlich schräg rüberkam. Von Matrix und Außerirdische spielten da auch noch eine Rolle, das war recht befremdlich das zu hören und auch zu sehen, dass das nicht irgendeine Geschichte ist, die sie erzählen, sondern dass das jetzt ihr Leben ist. Und sie glauben daran.
Ich muss gestehen, dass ich dann raus gegangen bin zu einem Zeitpunkt, weil mich das, wie soll ich das sagen, mich hat das befremdet und geängstigt, aber es macht mich auch wütend. Es war so offensichtlich, dass hier eine Narrativ geschaffen wird, eine Geschichte, eine Phantasiegeschichte konstruiert wird, die offenbar den Mitgliedern eingehämmert wird, solange bis man selbst daran glaubt. Ich denke sie verstehen sich als auserwählte Gemeinschaft, die weiß, was die Realität wirklich ist, und alle anderen wissen eben nicht. Das ist irgendwie schrecklich mit anzuhören.
Rolands Bruder macht sich aus nachvollziehbaren Gründen Sorgen, dass seine Nichten in Lülsfeld nicht gut aufgehoben sind. Aber die Zwillinge sind dort scheinbar glücklich - trotz allem, was wir in den letzten beiden Folgen über das Leben im Kloster erfahren haben.
Und trotzdem ihr Vater dort gestorben ist. Stefan macht Kai K. für den Tod seines Bruders mitverantwortlich. Aber Schuldeingeständnisse? Die gibt es auch nach diesem weiteren Todesfall in Lülsfeld nicht. Die Gemeinschaft macht weiter wie bisher.
Bei uns in der Redaktion, bei den Weltanschauungsbeauftragten Lohmayer und Pöhlmann, bei dem Psychologen Dieter Rohmann – dort überall melden sich Personen, die sich als Geschädigte von Go&Change sehen. Aber strafrechtliche Konsequenzen? Die gibt es weiterhin nicht.
Was diesen Fall so schwierig macht, ist, dass nichts von den Dingen die einigen Menschen bei Go&Change passiert sind, offensichtlich strafbar ist. Es ist keine Körperverletzung, wenn ich psychisch unter Druck gesetzt werde. Es ist keine Nötigung, wenn ich nicht körperlich gezwungen werde, etwas zu tun und es ist keine Freiheitsberaubung, wenn das, was mich am Gehen hindert, nur in meinem Kopf existiert.
Wenige Monate nach Rolands Tod werden die Ermittlungen der Polizei eingestellt. Man schließt ein Fremdverschulden aus. Den Drogenmix, an dem Roland gestorben ist, hat er freiwillig genommen. Wer bestimmt, welche und wie viele Drogen genommen werden, das lässt sich nicht nachvollziehen. Aber Fakt ist auch, und das sagt auch Stefan, dass Roland ein selbstständig denkender Mensch war. Letztendlich war es seine Entscheidung zu Go&Change zu gehen und von dem, was wir gehört haben, wirkt es nicht, als hätte er seine Entscheidung bereut. Für die Familie bleibt dennoch ein bitterer Gedanke
Stefan: Ich bin mir sicher, dass mein Bruder noch leben würde, wenn er nicht in Fänge dieser Sekte gelangt wäre. Und da denk ich natürlich mit Wehmut dran, weil wir könnten noch viele lange Wanderungen miteinander machen. Das ist jetzt nicht mehr möglich.
Nachdem sich die Wogen rund um das ehemalige Kloster in Lülsfeld wieder geglättet haben, bleibt eine Frage: Wie lange wird es dauern, bis im Umfeld der Gemeinschaft wieder etwas passiert – und wird das der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt?
Antworten auf diese Fragen gibt es tatsächlich recht schnell: Denn nur sechs Monate später gibt es wieder einen Polizeieinsatz im ehemaligen Kloster: Und diesmal wird Kai K. festgenommen. Der Vorwurf lautet: mehrfache Vergewaltigung und gefährliche Körperverletzung.
Kai K. wird angeklagt und tritt vor Gericht das erste Mal öffentlich auf. Im Prozess sagen etliche Zeugen aus und geben einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt der Gemeinschaft. Darüber sprechen wir in der vierten Folge dieser Podcast-Serie.