Heba Alkadri

Kurzbiographie der Nominierten in der Kategorie Meinung 2025

Heba Alkadri, geboren 1995, kam im September 2016 nach Deutschland. In Syrien hatte sie Islamwissenschaften studiert und unter Pseudonym journalistisch gearbeitet. Auch in Deutschland schrieb sie zunächst unter verschiedenen Pseudonymen weiter über Syrien - unter anderem für Aljumhuriya.net. Sie studierte Medienwirtschaft und Journalismus in Wilhelmshaven und volontiert seit Februar 2024 bei der Funke Mediengruppe. Parallel dazu absolviert sie ein berufsbegleitendes Studium in Digital Journalism an der Hamburg Media School. Ihr besonderes Interesse gilt dem Datenjournalismus.

Heba Alkadri
Funke Fotoservices / Kerstin Kokoska

Im Interview

Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?

Am 8. Dezember 2025, einem Sonntag, war ich auf einer Demonstration – direkt gegenüber vom Funke-Gebäude. Es war der Tag, an dem das Assad-Regime fiel. Und ich war nicht als Reporterin dort, sondern als Syrerin, mitten unter etwa 13.000 Demonstrierenden. Ich wollte diesen Moment miterleben, fühlen – nicht nur beobachten. Zu dieser Zeit war ich Volontärin in der Mantelredaktion. Am Montag, dem 9. Dezember, ging es in der Morgenkonferenz genau um dieses Thema: Syrien, der Sturz Assads. Ich schwieg. Es war zu nah, zu roh, zu emotional. Die ganze Nacht hatte ich nicht geschlafen. Während die Redakteurinnen und Redakteuren diskutierten, drehte sich Chefredakteur Andreas Tyrock zu mir und sagte: „Heba, du bist Syrerin – wie erlebst du das?“ Ich erzählte ihm von meinen Eltern in Syrien, dass ich mit ihnen telefoniert hatte und sie mir sagten, sie hätten gerade Brot geholt. „Assad und seine Familie regieren Syrien seit über 50 Jahren“, sagte ich. Und mein Schwiegervater hatte mir gesagt: „Seit ich ein Kind war, habe ich auf diesen Moment gewartet.“ Da schlug Andreas vor, dass ich ein persönliches Stück darüber schreiben könnte. Ich zögerte. „Ich weiß nicht, ob ich das kann. Es ist zu viel, zu emotional. Ich brauche Zeit.“ Er gab mir die Zeit, den Raum und – vor allem – die Freiheit, es in meinem eigenen Tempo zu tun.

Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei?

Am Anfang war ich überfordert. Noch nie hatte ich unter meinem eigenen Namen über Syrien geschrieben. Da stand ich nun – vor einem weißen Blatt Papier. Und vor einem Gedächtnis, das überquoll: mit Schmerz, mit Traumata, mit den Stimmen und Gesichtern von Freundinnen und Freunden, die nicht mehr da sind. Ich wusste, dass ich tief in mich eintauchen musste, wenn ich schreiben wollte. Doch was würde ich dort finden? Was würde ans Licht kommen? Die Angst war da. Angst vor meiner eigenen Geschichte. Angst davor, mich wirklich zu zeigen. Es war der Moment der Entscheidung: Schweigen oder sprechen.

Ich zitterte. Und doch begann ich zu schreiben.


Wie wurden Sie unterstützt?

Die Redaktion hat mich getragen – und gestärkt.

Chefredakteur Andreas Tyrock sagte klar: „Wenn du am Ende nicht zufrieden bist, veröffentlichen wir nichts. Aber wir interessieren uns. Wir wollen deine Stimme hören.“

Diese Haltung hat mir den Mut gegeben, mich zu öffnen. Ich habe geschrieben – mit Schmerz, mit Freude, mit radikaler Ehrlichkeit.

Eine Seite habe ich vollgeschrieben.

Dann ging der Text an Oliver Hollenstein. Ich schickte ihm meinen ersten Entwurf. Sein Feedback kam nach fast jedem Absatz: „Schreib mehr. Erklär mir das. Zeig mir, wie es war. Hab mehr Mut.“

Aus einer Seite wurde eine Doppelseite.

Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?

Guter Journalismus ist für mich der, der sein Publikum versteht, der die Menschen dort abholt, wo sie sind, und sie bewegt – sowohl emotional als auch intellektuell. Er dient den Menschen, informiert sie nicht nur, sondern befähigt sie auch. Es geht darum, eine Verbindung zu schaffen und eine Reaktion zu wecken. Im digitalen Zeitalter ist guter Journalismus flexibel – er nimmt Veränderungen an, ist bereit zu experimentieren und arbeitet in einem kollaborativen, interaktiven Umfeld. Er hört genauso zu wie er spricht, er bezieht die Menschen in einen Dialog ein, statt nur zu senden. Guter Journalismus erzählt Geschichten, die wirklich zählen – die uns fühlen lassen, die uns zum Nachdenken anregen und uns die Welt aus neuen Perspektiven zeigen. Er berichtet nicht nur über Ereignisse, sondern macht sie greifbar und verbindet sie mit der menschlichen Erfahrung.

Was braucht ein herausragender Artikel?

Für mich ist ein herausragender Artikel einer, der Menschen bewegt. Der nicht nur informiert, sondern etwas auslöst – ein Gefühl, einen Gedanken, eine neue Perspektive.

Ein Text, der Herz und Verstand erreicht.

Guter Journalismus braucht Mut. Den Mut, hinzuschauen. Den Mut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Und den Mut, sich – manchmal – auch selbst als Autor zu zeigen.

Was erwarten Sie von der Preisverleihung?

Ich erwarte einen Abend, der den Journalismus feiert – nicht als Selbstzweck, sondern als Dienst an der Gesellschaft. Ich freue mich auf Begegnungen mit Kolleginnen und Kollegen, deren Arbeiten zeigen, was Journalismus heute sein kann: mutig, präzise, menschlich. Die Preisverleihung ist für mich auch ein Moment des Innehaltens – eine Gelegenheit, zurückzublicken, aber auch weiterzudenken. Und vielleicht ist es auch einfach ein Moment der Dankbarkeit: für das Vertrauen der Menschen, die uns ihre Geschichten anvertrauen. Und für Redaktionen, die diesen Raum möglich machen.

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