Bloß keine Ausweglosigkeit

Ein Essay von Johannes Schneider

Es gibt einen Konsens zwischen Klimaaktivistinnen, Realpolitikern und Leugnern des Klimawandels, die Katastrophe als beherrschbar darzustellen. Aus dem müssen wir raus.

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Der Thüringer Wald ist in diesem Herbst ein kämpferischer Ort, zumindest dort, wo er eigentlich gar kein Wald mehr ist. Schilder hängen an stehen gelassenen Baumstümpfen auf ansonsten leer gefegten Hochplateaus. Die Förster lassen die Wanderinnen nicht allein mit ihrem Schmerz an der Mondlandschaft überall dort, wo Monokulturen, Dürre und milde Winter dem Borkenkäfer leichtes Spiel beschert haben. "Wir Förster und Waldbesitzer geben diesen Wald nicht auf, sondern sorgen dafür, dass hier bald ein neuer klimastabiler Zukunftswald für unsere Enkel und Urenkel entsteht." Das zeigt Wirkung: Schon schlimm alles, furchterregend gar, so gehen die Gespräche zwischen Rennsteig-Wanderern und Einheimischen abends in den Gaststuben. Aber in 20 Jahren, daran hegt niemand Zweifel, wird hier wieder Wald sein. Ein Umbruch, ja. Aber ein Untergang? Das kann doch gar nicht sein.

Damit ist im Kleinen gesagt, was auch im Großen die Aushandlungsebene der Klimakatastrophe ist. Das Pfeifen im toten Wald ist, was Klimabewegte, realpolitische Pragmatikerinnen und auch Klimawandelleugner weltweit eint und damit am ehesten globaler Common Sense ist: Alles (noch) machbar! Die Klimabewegung möchte bloß keine Ausweglosigkeit beschreiben und damit Hoffnungslosigkeit verbreiten, alle anderen wollen bloß nicht die katastrophalen Konsequenzen sogenannter Realpolitik und des "normalen" Lebens eingestehen. Für alle politischen, psychologischen und auch medialen Aushandlungsmodelle ist es essenziell, die schleichende Katastrophe erträglich zu halten, man würde sich ja sonst der Lächerlichkeit des eigenen Tuns und Unterlassens nur allzu schmerzlich bewusst. Wer aus diesem Konsens ausbricht, wird fast schon pathologisiert: "Sie sitzen hier mit

20. Sie müssten optimistisch sein." Diese Sätze, die der Talkmaster Markus Lanz am 9. November im ZDF zur Klimaaktivistin Carla Rochel sagte, haben Potenzial zu überdauern wie ein Gemälde in einem klimatisierten Depot in den Dolomiten.

Apokalyptik hat eben auch in der Apokalypse den Ruch des Unseriösen. Niemand möchte ein manischer Prediger sein, der am Rande des Marktplatzes auf einer Holzkiste steht und "Das Ende ist nah" krakeelt. Ebenso möchte niemand der Sektenführer sein, der am Tag nach dem

vermeintlich prognostizierten Weltuntergang vor die Anhänger treten und den eigenen Irrtum eingestehen muss. Deshalb wird Dringlichkeit wohldosiert: "Jedes Zehntel Grad zählt" lautet mittlerweile das zentrale Wording von Klimabewegung und Klimawissenschaft. Weil mit dem absehbaren Scheitern des 1,5-Grad-Ziels nicht alles vorbei ist, was gleichzeitig nicht bedeutet, dass das Ziel komplett aus der Luft gegriffen ist. Doch ist es eben schwierig, so darüber zu reden, dass nicht alle in Untergangsmüdigkeit einfach abschalten. Bezeichnend dafür war auch die Nachberichterstattung zur Weltklimakonferenz in Ägypten: Das berühmte "geteilte Echo" klang allzu oft nach verzweifelter Selbstvergewisserung. Denn was ist schon ein (zweifellos begrüßenswerter) Klimafolgenfonds, der die Lasten der durch den Klimawandel ausgelösten Katastrophen gerechter verteilen will, wenn diese Lasten weiter aufgetürmt werden, weil die Emissionen nicht sinken? Um bei den gängigen Bildern zu bleiben: Das ist so, als ob man auf dem Weg zur Brandstiftung noch ein Feuerwehrauto sponsert.

Zugleich zeigt sich hier eine Schwerpunktverschiebung der letzten Jahre: Musste sich der amerikanische Romancier Jonathan Franzen im Spätsommer 2019 noch aus der Klimabewegung als Defätist abkanzeln lassen, ist diese Klimabewegung ihm inzwischen mindestens nähergekommen. "Was wäre, wenn wir aufhören würden, uns etwas vorzumachen?", hatte Franzen damals im New Yorker gefragt und konstatiert: "Die Klimaapokalypse kommt. Um uns auf sie vorzubereiten, müssen wir zugeben, dass wir sie nicht verhindern können." Damals zitierte auch Greta Thunberg einen Artikel der Los Angeles Times, der dazu aufforderte, Franzens Wir-sind-verloren-Attitüde zurückzuweisen. Heute passt Franzens Bestandsaufnahme in Teilen nur zu gut zu den sich stetig verschiebenden Horizonten dessen, worum es sich nun und noch zu kämpfen lohnt. Und passt auch nur zu gut zu dem, wohin sich der Diskurs schrittweise verschiebt: Klimafolgen gerechter verteilen. Verhindern, was geht, und herauszögern, was sich nicht verhindern lässt. Dann leben mit dem, was noch da und möglich ist. Auf dem Weg irgendwie anständig bleiben.

Hier klingt Franzen fast wie der heutige Klimaschutz-Mainstream: "Wenn kollektives Handeln nur einen verheerenden Hurrikan verhindern, nur ein paar zusätzliche Jahre relativer Stabilität bedingen würde, wäre das ein Ziel, das sich anzustreben lohnt." Zugleich wäre es natürlich in beide Richtungen ungerecht, den resignierten Naturschützer Franzen und die Klimabewegung kurzzuschließen. Franzen geht es schließlich um die Frage, warum es ein Betrug am eigenen Hoffen ist, auf einen umfassenden Erfolg des Klimaschutzes zu zielen. Dabei beschreibt er die Klimaschützerinnen als Teil einer sich gegenseitig bedingenden Realitätsleugnungsquerfront mit rechten Klimawandelleugnern. Solange es letztere gibt, so geht in etwa der Gedanke, ist es

völlig unmöglich, dass erstere in dieser diffusen Welt der widerstreitenden Interessen und fossilen Abhängigkeiten mit ihrer Forderung nach schmerzvoll vorausschauendem Handeln durchdringen. Die Klimaschützerinnen fragt Franzen: "Wenn Ihre Hoffnung für die Zukunft ein wild optimistisches Szenario voraussetzt, was tun Sie dann in zehn Jahren, wenn das Szenario selbst in der Theorie undurchführbar wird?" Ein Satz, der damals viele empört hat, ist da im Text schon lange gefallen: "Totaler Krieg gegen den Klimawandel ergab nur Sinn, solange er noch zu gewinnen war." Wohlgemerkt in der Vergangenheitsform: "All-out war on climate change made sense only as long as it was winnable."

Man kann natürlich immer fragen, wem mit Pessimismus gedient ist, und zu der einfachen Antwort kommen: dem Pessimisten allein. Zugleich drängt aber auch die Frage, ob dieser Pessimismus nicht eine freundliche Neubewertung verdient, wo der handlungsorientierte Optimismus an seine Grenzen gerät. Und das tut er ganz zweifellos. Polemisch ließe sich sagen: Der einzige Punkt, an dem Franzen irrte, ist der Zeitraum. Die Undurchführbarkeit aller konsensualen Klimaziele seit der Pariser Konferenz 2015 ist schließlich bereits drei Jahre nach Franzens Text höchst absehbar, und zwar nicht nur im katastrophalen gesellschaftlichen Klima der USA, aus dem heraus Franzen damals schrieb, sondern etwa auch in Deutschland: Wo in einer Akutkrise jeder Kubikmeter Gas wichtiger war als ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel, wo sich auch soziale Fragen nur zu leicht gegen Erfordernisse des Klimaschutzes ausspielen ließen, besteht ja eben überhaupt keine Hoffnung auf ernsthaften Klimaschutz in absehbarer Zukunft. Mit jeder hinzukommenden gesellschaftlichen Gegenkraft von rechts, links, oben und unten wird klarer: Dieser Kampf ist nicht zu gewinnen. Und wirklich jeder hat (oft tatsächlich gute) Gründe, ihn nicht zuerst in seiner Zeit und seinem Raum führen zu wollen.

Bis die nächste Akutkrise droht

Immer weiter auf eine irgendwie positive Kommunikation zu setzen, scheint vor diesem Hintergrund zumindest zweifelhaft. Die gewaltigen kommunikativen Erfolge in einzelnen Gesellschaften, auf die so gern verwiesen wird (auch um von Aktivisten demokratische Geduld und Mäßigung einzufordern), sind ja eben nichts wert, solange weltweit (und auch in diesen Gesellschaften) die Emissionen stabil bleiben oder gar steigen. Man stelle sich die üblichen Aushandlungsmuster beim Klima mal in Bezug auf andere Lebensbereiche vor: Bald werden Millionen Menschen ihren Job verlieren, es gäbe Mittel, das wenigstens für ein paar Zehntausend zu verhindern, wenn nicht sogar viele mehr. Doch anstatt ernsthaft alles zu tun, damit möglichst viele Menschen vor der Armut gerettet werden, scheint es erst einmal zu genügen, dass das Thema in Politbarometer und Deutschlandtrend zeitweise hoch gehandelt wird. Zumindest, bis die nächste Akutkrise droht.

Das Beispiel zeigt nun einerseits, dass eine nicht optimistische Haltung unbedingt nicht zu verwechseln ist mit der Skrupellosigkeit des "Eh schon alles egal" und "Wir in Deutschland werden uns schon anpassen". Es zählt ja wirklich jedes Zehntel Grad, wenn man das mit der unantastbaren Menschenwürde ernst nimmt. Zugleich gibt es keine Handlungsoption, zu der ausreichend viele Menschen sagen: Ja, das ergibt Sinn, wenn wir das hier und jetzt tun. Und das Bewusstsein für das Fehlen dieser realistischen Handlungsoption wächst in der Bevölkerung im Zweifel schneller als der Wille, einem moralischen Imperativ folgend alles in der eigenen Macht Stehende zu tun, allein weil es richtig ist. Wer in diesem Kontext glaubte, die Greifbarkeit der Katastrophe könnte ein Gamechanger sein, mag mal im Ahrtal oder eben im Thüringer Wald vorbeischauen. Dort wurde der Klimawandel längst als schicksalhafte Heimsuchung eingepreist, gegen die man sich individuell wappnen muss, psychisch und physisch, gegen die "wir als kleines Deutschland" aber eh nichts auszurichten vermögen.

Es wäre nun komplett falsch, wenn dieser Text ein irgendwie gutes Ende hätte. Wohl aber kann es etwas offener sein. Das wäre die erweiterte Franzen-Frage: Wenn die eigene Hoffnung an ihre Grenzen stößt, was macht man dann mit der Hoffnung der anderen? Zerstört man sie auch? Oder verstummt man nur selbst?

Falsch ist es gewiss nicht, die vielen falschen kleinen Hoffnungen zu nehmen, die sich zu einer großen zusammenwachsen. Dass es einen stabilen Wald für die kommenden instabilen Wetter geben kann, dass Deutschland sich kraft seiner Privilegien insgesamt halbwegs schmerzfrei durchwurschteln wird, dass Wachstumslogik, Klima- und Artenschutz absehbar in Einklang zu bringen sind: Bullshit bleibt Bullshit, auch wenn er konstitutiv für die Selbstwirksamkeitsillusion ganzer politischer Systeme und Öffentlichkeiten ist. Allein wächst aus der Zerstörung falscher Hoffnungen noch lange keine richtige.

Und doch ist das so was wie die letzte Hoffnung: dass es die falschen sind, die immer noch fälschlicherweise beruhigen. Die Welt ist nicht zu retten durch ein paar wackere Förster und grüne Start-ups, durch Wasserkraft und E-Fuels und weiß der Kuckuck noch alles, was erst groß beschworen und dann kleinlaut in Nischen verklappt wird. Und sich für jedes gescheiterte Ziel ein neues suchen, wodurch irgendwann das Zielehaben an sich völlig fadenscheinig wird, kann nicht endlos gut gehen. Oder genauer: Es geht schon längst immer schlechter.

Wer seine Ziele immer weiter anpasst, negiert die Bedeutung der alten und sät Zweifel an der Durchführbarkeit der neuen. Der signalisiert auch, dass Anpassung immer möglich ist. Zunächst der Ziele. Dann der Folgen. Dabei nicht mitzumachen, ist nicht zuletzt eine Kernaufgabe von Journalismus. "Sagen, was ist" bedeutet in diesem Fall: sich nicht an der allgemeinen Illusion von Aktivistinnen, Leugnern und Realpolitik beteiligen. Zentral wäre stattdessen, wie bei anderen Themen, der stets größte Zweifel auch an den besten Absichten, wodurch man natürlich in eine eher undankbare Chronistenrolle kommt: Nein, es reicht alles nicht, nicht ansatzweise, solange Zukunftstechnologien nur die zusätzlichen Bedürfnisse einer wachsenden Weltwirtschaft decken (und noch nicht einmal das).

Was ist die Alternative?

Aufmerksamkeitsökonomisch ist das ein Spiel mit dem Feuer. Das ist, grob zusammengefasst, die große Warnung der konstruktiven Klimakommunikation: Nimm den Menschen Hoffnung und Ziele, und es bleibt der kurzsichtige Egoismus, es wächst auch die Verdrängung, überhaupt "deaktiviert" man die Menschen damit. Im schlimmsten Fall nehmen sie das Thema dann gar nicht mehr wahr, lesen und leben darüber hinweg und drum herum. Anzeichen gibt es längst.

Doch was ist die Alternative, die wir gerade erleben? Was, wenn das ständige Beschwören des Auswegs nur immer tiefer in die Ausweglosigkeit führt? Wer ein Problem immer nur mit einer vermeintlich passenden Lösung beschreibt, nährt zugleich den Glauben an sie. Er nährt auch den Glauben daran, dass sich jemand darum kümmert, in Politik, Forschung, Gesellschaft, auch Medien. Einem falschen Anschein aber gilt es grundsätzlich zu widersprechen, ganz abgesehen davon, dass auch wohlfeiler Optimismus – offensichtlich – deaktivieren kann.