Thomas Wochnik

Kurzbiographie des Nominierten in der Kategorie Meinung 2022

Thomas Wochnik, Jahrgang 1980, schreibt seit 2018 für den Tagesspiegel und Tagesspiegel Checkpoint. Sein Schwerpunkt liegt auf kulturellen Themen. Gelegentlich ist er in der Radio1-Sendung „Soundcheck“ als Musikkritiker zu hören. Zuvor arbeitete er an einer Dissertation in Medienphilosophie, die er für den Journalismus auf Eis legte, übte diverse künstlerische wie kuratorische Jobs in der Kunst- und Musikwelt aus, war Ghostwriter, Barkeeper und Gitarrenbauer.

Thomas Wochnik
Jana Weiss

Im Interview

Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?

Eine vage Idee trug ich schon lange mit mir herum. Mir stießen allzu simple, also nur ökonomisch oder nur individualpsychologisch gedachte Darstellungen klassistischer Themen auf. Eine Freundin und Kollegin aus dem Lokalressort wusste das und regte an, es zu konkretisieren. Die Recherche bestand, neben einigen Gesprächen mit  Betroffenen, überwiegend aus Archivarbeit. Das Thema Klassismus mag erst langsam im öffentlichen Diskurs ankommen, ist aber in der Forschung nichts Neues. Entsprechend lässt sich viel dazu finden.

Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei?

Die Herausforderung bestand darin, einen von mir ausgehenden Text zu schreiben, der nicht bei mir stehen bleiben, sondern möglichst weit über meine Person hinaus verweisen würde. Eine Gefahr von Ich-Texten ist ja, dass sie leicht zu bloß subjektiven Rants werden. Redaktionen fördern diese Stoßrichtung auch gerne: „Mach es ganz persönlich, bleibe ganz nah bei dir selbst“. Das wird als dramaturgisch besonders stark wahrgenommen. Klassismus ist allerdings weder eine Individualerfahrung noch eine Meinungsfrage, sondern eben Gegenstand weltweiter Forschung, Literatur und Thema zahlreicher Initiativen – eigentlich viel zu groß für so einen Artikel. Ohne die Auseinandersetzung mit diesem Diskurs wüsste ich gar nicht, dass meine Erfahrungen in einem größeren Kontext stehen – das wollte ich nicht unterschlagen. Ein Fenster in diesen Diskurs zu öffnen und weitere Auseinandersetzung anzuregen war dann das Ziel des Textes.

Wie wurden Sie dabei unterstützt?

Freundin und Kollegin Jana Weiss gab den Anstoß. Anna Sauerbrey, damals noch im Meinungsressort beim Tagesspiegel, bestärkte mich in meinem Ansatz und redigierte sehr besonnen. Ich erinnere mich an Spaziergänge und Gespräche mit Hannes Soltau und Julia Prosinger, in denen es grob um das Thema ging. Geschrieben habe ich dann im Frühlingslockdown 2021 sehr zurückgezogen.

Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?

Guter Journalismus vermittelt. Das klingt so selbstverständlich – „Medium“ bedeutet schließlich nichts anderes. Das Problem ist, dass echte Vermittlung eine Kenntnis beider Seiten voraussetzt, der zu vermittelnden und der Leserschaft. Mitunter treffen vollkommen fremde Lebenswelten durch einen Artikel aufeinander. Vermittlung funktioniert also nur, wenn wir Journalistinnen und Journalisten Mittel, Zeit und ein Interesse haben, der Weite und Tiefe unserer Themen gerecht zu werden. Ich habe allerdings den Eindruck, dass viele Redaktionen ihrer Leserschaft immer weniger Neugier zutrauen und deshalb immer kürzere und simplere Texte fordern, mit einer an Nuancen immer ärmeren Sprache. Und entsprechend immer weniger Zeit für Recherche und Produktion einräumen. Texte, wie die hier nominierten, entstehen nicht dank, sondern trotz dieser Entwicklung. Guter Journalismus ist in meinen Augen also einer, der vor allem seinem Thema gerecht wird und nicht nur dem schlimmstmöglichen Beispiel einer Leserschaft, die mutmaßlich alles immer möglichst schnell und simpel braucht. Klar müssen wir verständlich schreiben. Viele Zusammenhänge werden ab einem gewissen Grad der Reduktion aber nicht mehr einfacher, sondern schlicht falsch.

Was braucht ein herausragender Artikel?

Das ist sehr subjektiv, aber: Mich faszinieren Texte, an denen etwas ist, das eigentlich gar nicht funktionieren dürfte, die aber aus unerfindlichen Gründen dennoch wirken. Weil sie zeigen: Auch so kann man es machen. Das ist nicht nur eine Frage von Textschönheit. Ich glaube, es sind vielmehr Texte, deren Autorinnen und Autoren sich Gedanken über den Zusammenhang von Inhalt und Form gemacht haben und dadurch mit den Konventionen ihrer Darstellungsformen brechen. Sie sind also riskant. Wenn das passiert, entwickle ich Lesefreude.

Was erwarten Sie von der Preisverleihung?

Gute Gespräche, schmackhafte Speisen und Getränke – so in etwa hat es ein Freund zusammengefasst, der schon mal dabei war.

Im Video Kategorie Meinung

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