Flutprotokolle

von Christine Badke, Veit Ellerbrock, Marco Führer, Ulla Jürgensonn, Horst Komuth, Elena Pintus, Jennifer Seidel, Tom Steinicke, Sarah Uerlichs, Moritz Wüst

Die Flut kam, stieg – und zerstörte unzählige Häuser und Wohnungen, Straßen, Kindergärten, Seniorenheime und Schulen im Verbreitungsgebiet des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und der „Kölnischen Rundschau“. Besonders im Kreis Euskirchen und im Rhein-Erft-Kreis war das Ausmaß verheerend. Nichts war nach dem 14. und 15. Juli 2021 mehr wie vorher, weder für die Anwohnerinnen und Anwohner noch für uns Lokaljournalisten. Wo sollte man bei der Berichterstattung anfangen? Welche Schicksale erzählt man zuerst? Und wer soll das alles machen? Auch eigene Kolleginnen und Kollegen hatten Hab und Gut verloren und Redaktionen standen zeitweise meterhoch unter Wasser.

Nachdem die ersten Wochen ins Land gezogen waren, in denen die Lage zunächst noch sehr unübersichtlich war, kam die Idee auf, die Betroffenen selbst von ihren Schicksalen erzählen zu lassen. Es waren so viele, die ihre Existenzen verloren hatten, so viele verschiedene Rettungsgeschichten zu erzählen hatten und Frust und Kritik am Krisenmanagement und der Wiederaufbauhilfe loswerden wollten.

Durch die Videos konnte man den Protagonistinnen und Protagonisten dabei in die Augen schauen, man hörte oder las nicht nur ihr Schicksal, man sah es auch. In ihren Gesichtern und in ihrem Zuhause, wo wir sie in der Regel besuchten. Wir fingen also damit an, in die zerstörten Dörfer zu fahren und dort etwa fünf Betroffene zu besuchen und erzählen zu lassen: Wie haben sie die Flut erlebt? Wie geht es nun weiter? Welche Hilfe brauchen sie? Allen wurden dieselben Fragen gestellt. Auch Helfer und Politiker vor Ort kamen zu Wort.

Ausgestattet waren wir in der Regel mit Handy und Mikrofon, manchmal begleitete uns ein Video-Redakteur – dass wir im Lokalen jetzt auch Videos machen, war für uns alle zu diesem Zeitpunkt neu und schweißte auch die Kolleginnen und Kollegen zusammen. Wie gut das Video filmisch aufgenommen und bearbeitet wurde, stand nicht im Vordergrund. Die Bilder und die Geschichten wollten wir transportieren. Egal wie. In der Zeitung verschriftlichten wir einige der Schicksale und teaserten damit die Videos an, die die Leserinnen und Leser über den gedruckten Link schnell im Internet finden konnten.

Bei vielen Betroffenen merkte man vor Ort, dass es ihnen gut tut, über das Geschehene zu sprechen und dabei auch ihre Forderungen an die Rathäuser, das Land und die Politik loszuwerden. Die Protagonisten wurden durch vorhandene Kontakte in die Kommunen oder auch auf der Straße ganz klassisch durch Ansprechen gefunden. Diejenigen, die nicht vor der Kamera erzählen wollten, mochten das Format und die Nähe zu den Betroffenen trotzdem. Sie schlugen ihre Nachbarn vor, weil bei ihnen das Trauma selbst noch zu tief saß, um darüber sprechen zu können.

Ein zerstörtes in Erftstadt auf der B265
Margret Klose

Susanne Dunkel wohnt seit 47 Jahren in Erftstadt-Blessem: „Wenn wir bei der Flut nicht aus dem Fenster geklettert wären, wären wir nicht mehr aus dem Haus gekommen. Nun muss noch viel gemacht werden. Das Warten und Trocknen der Räume ist hier das Schlimmste daran. Der Matsch ist raus, ich hatte ja viele Helfer gehabt. Am meisten wünsche ich mir für die Zukunft, dass wir noch etwas Geld kriegen, vor allen Dingen, weil wir nichts mehr haben. Hier fahren so viele Schaulustige herum. Am Sonntag waren die sogar mit dem Bus hier gewesen. Ich dachte, ich falle vom Hocker. Wir haben ja keine Gardinen im Erdgeschoss, jetzt haben wir Rollos. Die Leute bleiben nämlich einfach stehen und gucken rein.“ (Von Horst Komuth)

Wolfgang Bieberstein ist 81 Jahre alt und wohnt seit 1953 in Erftstadt-Bliesheim: „Nach der Flut ist es mir sehr schlecht gegangen. Ich bin froh, dass es Leute gibt, die einem weiterhelfen. Ich bin nach der Flut so gut versorgt worden. Ich hatte ja gar nichts mehr. Aber ich habe mir den Lebensmut bewahrt. Ich will hoffen, dass es wieder besser wird. Ich brauche Handwerker, bin aber in meiner Bewegung körperlich stark eingeschränkt. Es geht auf den Winter zu und ich habe keine Heizung mehr. Bin mal gespannt, wie das alles weitergeht. Eine Familie aus Gymnich hilft mir sehr, sogar beim Tapezieren. Die haben sich einfach als Helfer angeboten. Ist das nicht einfach einmalig?“ (Von Horst Komuth)

Sabine und Uwe Laubner aus Erftstadt-Friesheim wollten ihre Hunde nicht zurücklassen: „Wir waren gerade fertig mit dem Renovieren des alten Hauses, da kam das Hochwasser. Wir haben noch versucht, die Türen abzudichten, sind aber mit den Hunden nach oben geflüchtet. Die Hilfskräfte haben uns gefragt, ob wir evakuiert werden möchten, aber das wäre nur ohne unsere Tiere gegangen. Danach war die Hilfsbereitschaft extrem groß, aber jetzt fühlen wir uns doch sehr allein. Wir stehen aktuelle in einem Abrisshaus, es gibt keine Unterbringung für uns, wir wissen nicht, wo wir hinsollen.“ (Von Ulla Jürgensonn)

Texte aus den Flutprotokollen im Kreis Euskirchen

Flutprotokoll Weilerswist: Heike und Jörgen Carstensen – Landhotel zum Schwan

Als wir das Wasser bemerkten, war unser erster Impuls: „Wir müssen die Gäste retten.“ Wir hatten zu der Zeit viele Monteure hier und haben ihnen gesagt, sie sollen alles, was noch zu retten ist, zusammenpacken und hoch mit in unser Wohnzimmer kommen. Als das Wasser dann zurückging, haben die hier auch mit angepackt, ausgeräumt und saubergemacht. Das war wahnsinniges Glück, dass diese Menschen zu der Zeit bei uns waren. Wir haben aber auch direkt erkannt, dass hier Not am Mann war und viele schlimmer dran waren als wir, dass es Obdachlose, Helfer und Lkw-Fahrer gab, die sich irgendwo ausruhen müssen. Die haben dann kostenfrei bei uns gewohnt. Es war fantastisch, wie auf einmal die Dorfgemeinschaft zusammengewachsen ist. Wir hoffen, dass diese Solidarität so bleibt. Und dass die Menschen beim nächsten Mal besser vorbereitet sind, zum Beispiel, dass   an die Sirenensignale auch versteht, aber auch, dass Flächen zur Verfügung gestellt werden, um das Wasser abzufangen. Wir haben nun dafür gesorgt, dass wir uns selbst mit Strom versorgen können, wenn das Netz ausfällt.

Flutprotokoll Bad Münstereifel: Peter Lethert – Galerist

Das Wasser lief über die Wertherstraße – das habe ich noch nie erlebt. Zwei Fußgänger haben versucht, sich durch die kniehohen Wellen zu kämpfen und wären dabei fast ertrunken, wenn ein Nachbar ihnen nicht geholfen hätte. Das Wasser lief vor meinem Haus entlang, was ich auch noch nie erlebt hatte. Ich konnte noch eine kleine Skulptur retten, die in der Galeriestand, und habe sie nach oben getragen und merkte dann, dass das Wasser so schnell stieg, dass ich nur noch die Flucht ins Obergeschoss antreten konnte. Ich hatte keine Todesangst oder so etwas in der Art. Ich war vielmehr fassungslos, wie so was hier passieren kann. Heute geht es mir gut, ich bin gesund und habe das überlebt. Hin und wieder, wenn ich aus anderen Städten komme und sehe, wie da das Alltagsleben läuft, die Leute im Café sitzen und es eine bestehende Infrastruktur gibt, stimmt mich das nachdenklich und betrübt mich ein bisschen. Aber ich bin ein positiv denkender Mensch und packe die Sache an, schaue seit den ersten Tagen nach vorne. Mit ganz viel Aktionismus, wie viele andere auch. Jetzt übe ich mich in Geduld und warte darauf, dass die Räume unten trocknen, damit ich nächstes Jahr anfangen kann, alles wieder aufzubauen.

Flutprotokoll Kall: Jumna und Ramzia Al Merei – aus Syrien geflüchtet

Wir sind seit fünf Jahren in Kall, Ende 2015 sind wir aus Syrien geflüchtet. Das Hochwasser war sehr schlimm. Wir haben zuvor fünf Jahre Krieg erlebt. Und als das Hochwasser kam, wurden wir an alles erinnert, was wir auch damals erlebt haben. Es kamen viele Menschen, die uns geholfen haben, auch die Bundeswehr und das Rote Kreuz. Ohne die wären wir nicht rausgekommen und gestorben. Wir waren unten und haben erst gar nicht mitbekommen, was überhaupt los war. Im Moment ist es ein bisschen schwierig. Wir sind acht Kinder, mit meiner Mutter neun Menschen. Wir haben einen Raum, schlafen auf dem Boden auf Matratzen. Wir haben das Haus mit all unseren Sachen verloren, dürfen da auch nicht drin wohnen aktuell. Wir wussten nicht, dass wir eine Versicherung für unsere Sachen hätten abschließen können. Jetzt wird aber renoviert und wir hoffen, dass das wieder in Ordnung kommt. Wir möchten auch wieder zurück. Ohne meine Mutter hätten wir das alles nicht geschafft.  Sie gibt nie auf und wir verlieren die Hoffnung nicht. Hauptsache, wir leben.

Flutprotokoll Arloff/Kirspenich: Karl-Hubert Bonz - Löschgruppenführer

Ich wohne seit meiner Geburt in Arloff und engagiere mich seit 37 Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr. Seit 16 Uhr war ich am Tag der Flut im Einsatz. Um 19 Uhr war das Wasser so hochgestiegen, dass mein Teil der Löschgruppe ihre Arbeit bis zur Nacht einstellen musste, weil wir aus dem Gerätehaus nicht mehr rauskamen. Die ersten Tage habe ich nur funktioniert. Nach drei Tagen haben meine Kameraden übernommen, mein Haus war bis zum Erdgeschoss auch voll Wasser. Im Moment geht es mir so: geht so. Mein Arbeitgeber hatte mich bis Ende Juli freigestellt. Im August war ich wieder arbeiten und als ich danach Urlaub hatte, kam bei mir das Erlebte erst so richtig raus. Aber es geht aufwärts, weil man sieht, dass sich zu Hause etwas tut. Der einzige Wunsch, den ich für die Zukunft habe, ist, dass sowas nicht noch mal passiert. Sowas hat es hier noch nie gegeben. Hoffnung hat mir die große Spendenbereitschaft aus ganz Deutschland gegeben, auch die Hilfe im Dorf und der Zusammenhalt.

Flutprotokoll Schleiden: Franz Lennartz – Anwohner

Immer mal wieder, wenn ich an diesem Haus bin, habe ich wirklich zu kämpfen. Da steckt so viel Arbeit drin, so viel Leidenschaft und so viel Liebe. Was dann quasi in einer Nacht zerstört worden ist. Das ist schon sehr schwer. Also, ich bin lieber in der Distanz. Wenn ich hier bin, dann tut es schon weh. Sonst geht es uns eigentlich ganz gut, wir haben eine gute Unterkunft gefunden. Wir wohnen bei meinem Schwager und können da erstmal bleiben. Wenn das Land Nordrhein- Westfalen uns hilft, über einen Förderantrag, möchten wir lieber neu bauen. Ansonsten würden wir uns eine andere Alternative suchen. Wir hoffen aber, dass es klappt. Wir haben schon Vorbereitungen gemacht, ein Grundstück ausgesucht. Es könnte losgehen, wenn NRW uns Bescheid gibt. Wir haben eigentlich immer einen Weihnachtsbaum gehabt, aber dieses Jahr wollen wir keinen. Wir wollen eigentlich ziemlich neutral Weihnachten feiern. Wir werden sicherlich Heiligabend bei unseren Enkeln und mit der Familie zusammen sein, aber das ist dann auch genug an Weihnachten.