Wolfgang Kubicki: Der Scharfschütze

Von Stefan Willeke

Wer Wolfgang Kubickis politischen Kampf verstehen will, muss sich mit ihm eine Nacht vor seinen Fernseher setzen. Bei Kriegsfilmen entspannt er sich.

Als Wolfgang Kubicki beschließt, die Welt zu befreien, ist er schon sehr müde. Er hat jetzt nicht mehr die Kraft, einen seiner Parteikollegen zu beleidigen oder einen politischen Gegner zu verspotten. Seine Augen haben sich zu Sehschlitzen verengt. Kubicki steht an der Bar eines kleinen Hotels in Strande, einem Dorf an der Ostseeküste in der Nähe von Kiel, wo er seit vielen Jahren lebt. Er bestellt ein Glas Weißwein, und draußen versinkt das Meer in der hereinbrechenden Nacht. Bald, am 6. Mai, wird gewählt in Schleswig-Holstein, der Rechtsanwalt Wolfgang Kubicki ist der Spitzenkandidat der FDP, und er sagt, dass der Auftrag eines Kriegshelden darin bestehe, das Schlimmste zu verhindern. Aus einer verschwindend kleinen Partei darf nicht eine kleine verschwindende Partei werden, das ist der Auftrag. »Okay«, sagt Kubicki und leert sein Glas in einem Schluck, »also los.«

Er könnte mühelos nach Hause laufen, er müsste bloß das kurze Stück Uferpromenade hinter sich lassen, aber er geht zum Parkplatz des Hotels, steigt in seine schwere BMW-Limousine, startet den Motor und sagt: »Heute bin ich echt fertig.« Heute, sagt er, sei ihm nach Band of Brothers zumute, Wir waren wie Brüder aus dem Jahr 2001, zehn Folgen, 724 Minuten. »Je nachdem, wie ich mich fühle, suche ich die Filme aus. Heute geht bei mir nur noch eines: Identifikation mit einem Helden.«

Politiker haben unterschiedliche Methoden, sich zu entspannen. Horst Seehofer, der CSU-Chef, spielt mit seiner Modelleisenbahn. Peter Ramsauer, der Bundesminister für Verkehr, geht angeln. Wolfgang Kubicki schaut sich Kriegsfilme an. »Ich gucke mir die nicht an«, sagt er und manövriert sein Auto aus der Parklücke, »ich spiele da mit.« Am Ende, sagt er, werde er schweißnass vor dem Fernseher sitzen.

Kubicki parkt den Wagen vor einem weiß getünchten Eckhaus, steigt aus, öffnet die Gartenpforte, dann die Tür seines Hauses und ruft hinein: »Vaddi, wo steckst du?« Es brennt Licht, irgendwo muss Vaddi sein. Vaddi gehört zu den drei Menschen, die Kubicki seine besten Freunde nennt. Vaddi ist nur ein Spitzname, eigentlich heißt er Hans-Jürgen Nehm und führt einen Weinladen im Kieler Hafen. Als Kubicki ins Wohnzimmer kommt, hat Vaddi gerade eine Flasche Roten entkorkt. Vaddi ist auch Schatzmeister der FDP im Ort, 1.500 Einwohner, 34 FDP-Mitglieder. Eine gigantische Quote. Vaddi ist Wolfgang Kubickis Bastion.

Kubicki eilt ins Schlafzimmer, und als er zurückkehrt, trägt er keinen Anzug mehr und keine Krawatte, sondern ein rotes Polohemd und eine bequeme Hose. In Socken sitzt er in seinem Fernsehsessel, die Nacht des Krieges könnte jetzt beginnen, aber Kubicki flucht leise vor sich hin. »War das Annette?«, fragt er gereizt, »hat Annette den Fernseher verstellt?« Annette ist Kubickis Frau, eine Rechtsanwältin, die ein paar Tage verreist ist und ihn mit dem Fernseher allein gelassen hat. Annette mag die Filme nicht, für die sich ihr Mann begeistert. Legt er einen dieser Streifen ein, verschwindet sie nach wenigen Minuten in der oberen Etage und schaut sich was anderes an. An Fernsehern mangelt es nicht in diesem Haus. Manchmal bringt Annette ihm noch eine Tafel Vollmilchschokolade mit Nüssen, dazu ein Glas Milch. Wenn dann die Filmmusik erklingt und die Schokolade in Kubickis Mund langsam schmilzt, fühlt er sich wie neu geboren.

Kubicki wühlt in der obersten Schublade einer Kommode, in der seine Schätze liegen. Die Brücke am Kwai . Sniper – Der Scharfschütze. Men of Honor. Tora! Tora! Tora! Klassiker wie Der Soldat James Ryan hat er, ganze Sammlungen wie »Kriegsfilme XXL«. Seit der Party im März dieses Jahres, als er mit 280 Gästen seinen 60. Geburtstag feierte, sind wieder ein paar Filme hinzugekommen, in dieser Hinsicht kann er sich auf die FDP verlassen.

»Ich werde noch wahnsinnig«, zischt Kubicki, als im Fernseher die Aufzeichnung eines Basketballspiels erscheint, danach eine Folge von Gute Zeiten, schlechte Zeiten . Es ist doch alles vorhanden, was er zum Glück braucht. Da hängt ein großer Flachbildschirm, da stehen zwei DVD-Player, da liegen vier Fernbedienungen, da lagern 80 verschiedene Kriegsfilme, aber es ist wie in seiner Partei: Kubicki glaubt, er habe alles richtig gemacht, doch der Apparat wehrt sich.

Vaddi schaut gar nicht mehr hin. »Mach mal leiser«, sagt er zu Kubicki und hält einen kleinen Vortrag über seinen Amarone della Valpolicella aus dem Jahr 2007, einen Wein aus getrockneten Trauben. Vaddi ist auf durstige Norweger spezialisiert, die im Hafen aus Fähren steigen und sich für ihre Deutschlandreise vier Stunden Zeit nehmen, bevor das Schiff sie nach Oslo zurückbringt. Sein Weinladen liegt genau dort, wo die Norweger das Schiff verlassen. Vaddi lebt vom richtigen Augenblick am richtigen Ort. Das kann eine entscheidende Kombination sein für einen Mann, der darauf aus ist, seine Partei vor der Bedeutungslosigkeit zu retten. Vaddi wohnt in derselben Straße wie Kubicki, nur ein paar Häuser entfernt. Über Vaddi sagt Kubicki, dass der ihn in einem Boot bei jedem noch so grausamen Wetter über die Ostsee bringen würde, falls jemand mal nach Kubickis Leben trachten sollte. Kubicki liebt es, sich in Situationen hineinzusteigern, die es nicht gibt. Er hat auch schon davon gesprochen, die FDP werde in Schleswig-Holstein mindestens 7,5 Prozent der Stimmen holen.

Endlich erscheint ein Datum auf dem Bildschirm, das Kubicki beruhigt. 6. Juni 1944, D-Day, Tag der Entscheidung, die Landung der Alliierten in der Normandie, die Befreiung. Der Film Band of Brothers beginnt. »Wie schön«, sagt Kubicki, lässt sich in den Sessel sinken und greift nach dem Weinglas, das Vaddi ihm reicht. Vaddi rückt seinen Sessel neben Kubickis Sessel. Kubicki hat die ersten beiden Teile der Serie weggelassen, bis zum Tag der Entscheidung soll nicht viel Zeit vergehen. Amerikanische Fallschirmspringer schweben über der Normandie, wie Quallen im Meer treiben sie scheinbar ziellos dahin, und die Deutschen führen bald einen verzweifelten Krieg gegen den Untergang. Die Geschichte der Easy Company wird erzählt, einer amerikanischen Kompanie, die nie im mittleren Feld kämpfte, sondern fast immer an einer Flanke oder einer Front. »Es werden nur wenige übrig bleiben«, sagt Kubicki, »meist Verwundete.«

Pilot habe er werden wollen, als er jung war, Pilot bei der Bundeswehr, sagt er. Aber als die Aufnahmeprüfungen für die Offiziersausbildung in Bayern begannen, verliebte sich Kubicki in Renate, eine Studentin aus Kiel, und es folgte einer dieser Momente, über die er jetzt sagt: »Du ergreifst deine Chance im richtigen Augenblick, oder du ergreifst sie nie.« Er bestand damals die Prüfungen, aber er sehnte sich nach einem gemeinsamen Leben mit dieser Frau. Weil er bei der Bundeswehr nicht als Verweigerer gelten wollte, dachte er sich einen Trick aus. Über einen befreundeten Apotheker beschaffte sich Kubicki ein Medikament, das bei ihm Herzrhythmusstörungen auslöste. Die Bundeswehrärzte fielen darauf herein, musterten ihn aus, und Kubicki heiratete die Studentin. Die Ehe hielt ein paar Jahre. In Erinnerung, sagt Kubicki zu Vaddi, sei ihm noch immer, dass in Renates Studentenwohnung ein Poster des Schauspielers Sylvester Stallone hing, des späteren Kriegsfilmhelden Rambo. Man sah von ihm nur den trapezförmigen Rücken. »Wölfi, früher hattest du auch so ein Kreuz«, sagt Vaddi in die Stille einer Feuerpause hinein, und Wolfgang Kubicki schaut ihn nachdenklich an.

Er war schon in Afghanistan, in Kambodscha, in Kolumbien, in Vietnam. Er kennt all diese Gegenden aus seinen Filmen. Er weiß, dass im dritten Teil der Rambo-Kollektion ein gefangen genommener, amerikanischer Offizier prophezeit: »Rambo wird kommen, und er wird mich hier rausholen.« Der russische Wächter antwortet: »Wer, glaubt dieser Mann, wer er ist? Gott?« – »Nein«, erwidert der Amerikaner, »Gott kennt Gnade, er nicht.«

Auch Kubicki würde den Bogen gerne einmal überspannen. Er würde im Kieler Landtag über die Globalisierung sprechen, das Versagen der Banken in der Weltfinanzkrise, die ganz großen Knaller, er versteht was von Finanzpolitik, aber er hat sich um die holsteinische Küstenschutzabgabe zu kümmern. Er saß für wenige Jahre im Bundestag, wollte aber heim in sein Dorf an der Ostsee. Er ist schlagfertig, intelligent und in politischen Schlachten erfahren, hat sich aber freiwillig zurückversetzt. Er sagt, er bereue das nicht. Es gibt ganz sicher Tage, an denen er es bereut, aber das würde er niemals zugeben. »Da, sehen Sie«, sagt er und zeigt durch die offene Küchentür auf das Fenster und auf die Lichter der Schiffe am Horizont. »Bei gutem Wetter kann ich am Frühstückstisch bis Laboe blicken.« Dann ruft er: »Panzer!«

Auf dem Bildschirm tauchen amerikanische Panzer auf, rundlich und gedrungen. »Wenn es viele sind, reicht ihre Feuerkraft aus«, sagt Kubicki, »Sherman-Panzer. Die sind so gebaut, dass der Beschuss ihnen wenig ausmacht. Nur der Tiger, der Panzer der Deutschen, konnte einen Sherman knacken.« Das alles weiß er allein aus den Filmen. Band of Brothers hat er schon fünfmal gesehen, alle zehn Teile. Kubicki besitzt keine Waffen, hat dafür nichts übrig, war nie in einem Schützenverein. Im Bundestag stimmte er gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr. »Wer Soldaten nach Afghanistan schicken will, der sollte sich diese Filme ansehen«, sagt Kubicki, »die Helden sterben zuerst.«

Wenige Stunden ist es her, da saß er noch in einer evangelischen Kirche in Kiel und nahm mit hochrangigen Politikern der anderen Parteien an einer Podiumsdiskussion teil. Die Politiker standen im Altarraum, über ihnen hing ein gewaltig großer Jesus, und das beherrschende Thema lautete, ob Politik noch sozial sei. Es wurde viel guter Wille geheuchelt, viel sozialer Kahlschlag betrauert, viel Gerechtigkeit versprochen. Kubicki hörte sich das lange schweigend an und schüttelte den Kopf. Als Erstes fragte er: »Gibt es hier eigentlich auch was zu trinken?« Der Mann von der SPD reichte ihm eine Flasche Wasser. »Die oberen 20 Prozent der Bevölkerung zahlen 80 Prozent der Steuern«, erwähnte Kubicki spitz. Die anderen sagten oft »Hilfe«, Kubicki sagte oft »Leistung«. Man kann sich kaum etwas Absurderes vorstellen, als Wolfgang Kubicki unter dem Allmächtigen über soziale Taten sprechen zu lassen, aber er nahm den Auftrag an. Es wäre verführerisch einfach gewesen, sich dem mitleidigen Ton der anderen anzupassen, aber Kubicki fragte: »Wo soll denn das Geld herkommen, das Sie verteilen wollen? Unser Land ist hoch verschuldet.« Er fragte: »Glauben Sie, uns macht es Spaß, ausgerechnet beim Blindengeld zu kürzen?« Als einer der Politiker erklärte, allein der Mensch müsse im Mittelpunkt stehen, blaffte ihn Kubicki an: »Was sind denn das für Sätze? Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Stand er das bisher nicht? Ist das jetzt neu?« Als ihm langweilig wurde, zählte er still die Zuhörer auf den Kirchenbänken. 120. Schwaches Bild.

Am Schluss der Debatte musste jeder der Politiker spontan sagen, was ihm zu einem bestimmten Begriff in den Sinn am, ein Spielchen des Moderators, wie in der Quizsendung Dalli Dalli in den siebziger Jahren, gedacht als harmloser Ausklang. Als letzter Kandidat kam Kubicki an die Reihe. Der Moderator fragte: »Herr Kubicki, woran denken Sie bei dem Wort... Bischof? Dalli Dalli!« Kubicki zögerte kurz, dann fiel ihm ein: »Besserwisser!« Das war der Moment, in dem seine Pressesprecherin die Augen verdrehte. Als sich Kubicki später von ihr verabschiedete, hauchte er einen Kuss auf ihre Hand und sagte: »Bald geht’s weiter. Bis morgen.«

Die Easy Company wehrt sich gegen den Beschuss der Deutschen aus dem Café de Normandie, später müssen die Amerikaner das niederländische Eindhoven befreien. Sie lassen sich von jubelnden Holländerinnen umarmen, sie sterben auf offenem Feld neben Windmühlen, sie tippen Tagesberichte auf alten Schreibmaschinen, sie machen Gefangene. Sie kämpfen in den Ardennen gegen eine SS-Panzerdivision, verbringen ihren Fronturlaub in Paris. Wolfgang Kubicki sitzt schon seit Stunden vor dem Fernseher, auch Vaddi ist tief im Krieg versunken.

Hin und wieder, an Wochenenden, treffen sich Kubicki und Vaddi im Keller des Hauses und suchen sich einen Film aus, zwischen zwei Saunagängen. Dann liegen sie unter ihren Badetüchern, und auf dem Bildschirm explodiert die Welt. Mit jedem Granateneinschlag wird Kubicki ruhiger und ruhiger, seine Augenlider senken sich. Wenn er Glück hat, schläft er eher ein als Vaddi und entkommt dessen Schnarchen. Mit seinem Freund Vaddi, sagt Kubicki, verbinde ihn eine tiefe Überzeugung: »Hauptsache, bunt.« Warum sollten Menschen abends ihre Wohnung verlassen und eine politische Veranstaltung besuchen, wenn dort nichts Überraschendes geboten würde?

Zum Fraktionschef der Grünen im Kieler Landtag sagte er: »Auch wenn mich nicht alle mögen: Mich mögen mehr Menschen, als dich überhaupt kennen.« Einer grünen Abgeordneten, die in Kneipen nicht von Rauchern belästigt werden will, entgegnete er: »Ich möchte in der Kneipe nicht von Ihnen belästigt werden, dagegen gibt es ja auch kein Verbot.« Einem Mann vom Landesamt für Natur, der die neue Bepflanzung in Kubickis Garten überprüfen wollte, drohte er: »Sollten Sie ohne richterlichen Beschluss mein Grundstück betreten, strecke ich Sie nieder.« Journalisten, die ihm erzählen, er werde bald an der 5-Prozent-Hürde scheitern, antwortet er: »Nennen Sie mir ein stichhaltiges Argument, warum mich das, was Sie sagen, interessieren sollte.« Seine Parteikollegin Birgit Homburger hat Kubicki mit »Müll« gleichgesetzt, sich danach bei ihr zu entschuldigen versucht, ihr einen Blumenstrauß schicken wollen, den sie ablehnte, und ihr danach ein Versöhnungsessen angeboten. Er habe, beteuerte er ihr gegenüber, sie gar nicht persönlich gemeint, sondern ihre geräuschlose Art, die Fraktion im Bundestag zu führen. Nur im Kampf entstehe politisches Profil.

Die Bombennächte mit Vaddi haben Kubicki so sehr geprägt, dass manche Filme ewig weiterlaufen. Vor Jahren, als der Anwalt Kubicki in den VW-Korruptionsverfahren den Hurenbeschaffer Klaus-Joachim Gebauer verteidigte, sagte er eines Tages zu seinem Mandanten: »Gebauer, stellen Sie sich vor: 1945.« Aus »Herrn Gebauer« wurde »Gebauer«, sobald etwas Aufregendes passiert war. »Gebauer«, sagte der Anwalt, »die Russen kommen. Wir befinden uns im Führerhauptquartier. Und gerade hat sich der Führer umgebracht.« Kubicki glaubte, sich besonders klar ausgedrückt zu haben, aber sein Mandant musste sich alles mühevoll erschließen. Der Führer? Gebauer verstand zuerst gar nicht, wen Kubicki meinte: Gebauers früherer Chef, VW-Vorstand Peter Hartz, hatte seine Taten gestanden.

Wolfgang Kubickis Vater flog während des Zweiten Weltkrieges einen Nachtjäger. Als er vor zwei Jahren starb, stieß der Sohn im Nachlass auf alte Fotos und das Logbuch. Er sah sich alles genau an. Das dramatische Potenzial des Krieges zog ihn an, die Taktik, die List. Die Barbarei des Krieges ließ ihn zugleich schaudern. Der Krieg war lange vorbei, aber irgendwie hat Wolfgang Kubicki ihn immer wieder aufflackern lassen. Die Deutschlehrerin in der Schule hielt ihn für eine Kriegswaise. Das stimmte zwar nicht, aber Kubicki ließ sich die Verwechslung gerne gefallen. Denn die Lehrerin sorgte sich von nun an um ihn, beschützte und verteidigte ihn, als zum Beispiel darüber gesprochen wurde, ob er wegen einer Schlägerei die Schule verlassen müsse. Schließlich erschien doch noch der Vater in der Schule, zur Abiturfeier, und die Lehrerin war fassungslos. Hatte Wolfgang Kubicki sie hereingelegt? Er hatte sie an ein Missverständnis glauben lassen, ihr eigenes Missverständnis, dafür konnte ihn niemand belangen.

Der sechste Teil des Films startet, es ist schon weit nach Mitternacht. Der Chef der Easy Company hat gewechselt, es ist Winter, es hat geschneit, verletzte Soldaten nehmen Morphium gegen den Wundschmerz. Vaddi hat schon lange nichts mehr gesagt, da schreckt er plötzlich hoch. Mörsergranaten. Kubicki ist hellwach, und Vaddi sagt zu ihm: »Wölfi, wenn du das bei der Wahl schaffen würdest, rein menschlich wär das der Hammer. Das ist doch deine Schlacht.«

Kubicki hat sich schon ausgemalt, wie der Tag der Entscheidung verlaufen wird. Früh am Morgen, um acht, wird er ins Wahllokal gehen. Später wird er eine Runde Golf spielen. Am Abend, wenn die ersten Hochrechnungen ausgestrahlt werden, wird er nach Kiel fahren und im Fernsehen Kommentare abgeben. Danach wird er nach Strande zurückkehren, er wird feiern, er wird gegen 3.30 Uhr zu Hause sein und ins Bett fallen. Und schlafen. Am Morgen danach wird einer seiner Vertreter zur FDP nach Berlin aufbrechen und sich vom Parteichef einen Blumenstrauß überreichen lassen. Auf der anschließenden Pressekonferenz wird ein Journalist fragen: »Wo ist Kubicki?« Und Kubickis Abgesandter wird antworten: »Der schläft seinen Rausch aus.« Wolfgang Kubicki hat schon mehrere Journalisten gebeten, bloß diese eine, weitreichende Frage zu stellen: Wo ist Kubicki?

Er könnte jetzt den siebten Teil der Befreiung anlaufen lassen, aber Kubicki will ins Bett. Er tippt auf den Fernbedienungen herum und erhebt sich. Der Krieg war wie immer, und doch muss etwas Entscheidendes schiefgegangen sein, man sieht es an seinem Hemd. Er hat sich nicht richtig angestrengt. Er hat nicht geschwitzt.