Aus Jux und Bolzerei

Von Kristin van Bentem

Man darf sie – mit Verlaub – als das schlechteste Fußball-Team weit und breit bezeichnen. Null Punkte und 2:275 Tore weist die Tabelle nach 16 Saisonspielen für die Frauen der Spielvereinigung Dolberg auf. Doch minimalen Erfolg macht das unangefochtene Schlusslicht der Kreisliga Beckum/Soest mit maximalem Spaß wett. Authentischer als die 19 sympathischen Mädels und ihr Trainer kann man das olympische Motto „Dabeisein ist alles“ nicht verkörpern. Andere mögen besser sein – die Dolbergerinnen sind lustiger.

Wehe, wenn die Kreisliga-Fußballerinnen der Spielvereinigung Dolberg im Strafraum mal so frei zum Schuss kommen wie Antonia Mumme bei dieser Flanke im Spiel gegen den SV Welver. Eiskalt vollstreckt sie ins Tor. Doof nur, dass der Schuss im wahrsten Sinne des Wortes nach hinten losgegangen ist – zum 0:4 nach wenigen Minuten. Was am Ende den Braten beim 0:24 aber nicht mehr wirklich fett macht. Was soll´s! 16 haushohe Niederlagen in 16 Spielen, 2:275 Tore. Humor ist, wenn man trotzdem kickt. Und das tun sie Woche für Woche voller Leidenschaft. Wenn´s sein muss, wie gegen Welver, mal wieder in Unterzahl.

Ihre Auftritte bestehen aus Jux und Bolzerei. Sie mögen die gegnerische Hälfte nur aus der Ferne sehen, nahezu jeden Zweikampf verlieren und erst recht jedes Spiel, aber nie Humor und Selbstironie. „Äh, Leute, da drüben steht das richtige Tor“, unkt Trainer Dieter Noeske nach dem Eigentor. Aber „Toni“ ist ja in bester Gesellschaft. Die Spielerinnen, die in ihrer ersten Saison noch nicht die eigene Keeperin Swenja Ossenbrink überlistet haben, lassen sich locker an einer Hand abzählen. Was „Toni“ erst ein entsetztes „Neiiiin!“, dann aber ein Schmunzeln entlockt, löst bei ihren Mitspielerinnen ausgelassene Heiterkeit aus. „Passiert eben im Eifer des Gefechts. Aber wir lassen uns die Laune nicht verderben, und kein Gegner freut sich über unsere Eigentore so sehr wie wir“, feixt Steffi Thumb, Kapitän der hoffnungslos unterlegenen Lach- und Schieß-Gesellschaft aus dem Ahlener Ortsteil Dolberg.

„Manchmal muss der Gegner nur böse gucken, und sie geben freiwillig den Ball ab“, ist Noeske zuweilen der Verzweiflung nahe, wenn die Abwehr nur Spalier steht. Wild gestikuliert er, als mal wieder ein ganzes Rudel ausschwärmt, um die ballführende Gegnerin zu stellen. „Nur eine drauf, nicht alle!“

„Aber wir lernen ja noch“, meint der Coach, der vor einem Jahr die Mission Impossible übernommen hat, diesen bunt zusammengewürfelten Haufen Frauen im Alter von 19 bis Mitte 30, die noch nie gegen einen Ball getreten hatten, flugs auf ligatauglich zu trimmen. „Die sind wie Minikicker, die von der Ballannahme bis zum einfachsten Schuss alles von der Pike auf lernen müssen.“ Von den Regeln mal ganz zu schweigen. Das böse Klischee, dass Frauen eher die Relativitätstheorie als die Abseitsregel verstehen... „Am Anfang traf das schon zu“, räumt Cordula Ramadani ohne jede Scham ein.

Dass es ein sportliches Himmelfahrtskommando werden musste, als sie im Sommer 2011 darauf drängten, kaum sechs Monate nach den ersten Gehversuchen endlich in die Meisterschaftsschlacht zu ziehen, darüber haben sich die Fußball-Greenhorns keine Illusionen gemacht. „Wir wussten, dass wir immer voll die Klatsche bekommen“, so Ramadani. Nur zweimal mussten sie seither kein Lehrgeld in zweistelliger Höhe zahlen (0:8, 0:9), ansonsten hat die Ausbildungskasse bis zu 33-mal pro Spiel geklingelt.

Nicht schlecht, dass es gegen Welver sechs Minuten dauert, ehe das Runde erstmals im Eckigen einschlägt. Im Durchschnitt rappelt es nämlich alle fünf Minuten im Karton. Doch selbst Swenja Ossenbrink, die oft von der Nachtschicht im Altenheim direkt ins Tor wechselt, lässt sich nicht den Spaß aus den Backen ballern. Frust? Pustekuchen! Wer nach dem Pausenstand (0:11) fragt, erntet Achselzucken. „Ich zähle nie mit.“ Don´t worry, be happy! „Nicht die Köpfe hängen lassen“, macht auch Noeske seiner Truppe immer wieder Mut. Wo andere Trainer einen Tobsuchtsanfall kriegen würden, lobt er unaufhörlich die wenigen gelungenen Aktionen („Toll gemacht! Super! Weiter so!“) und verabreicht Kritik nur in homöopathischen Dosen. „Wir sind hinten ein wenig zu offen“, untertreibt er maßlos, als das Dutzend Gegentore voll ist.

Es sind klitzekleine Erfolgserlebnisse, an denen sie sich herzerfrischend erfreuen können. Die mehr oder weniger so gewollte Ballstafette über mehr als zwei Stationen, das „Solo“, das zumindest bis in die Nähe des Fernziels gegnerischer Strafraum führt. Oft wird mehr gekichert als gekickt. Über den Ball, der durch die Beine ins Tor kullert, den Stolperer über die eigenen Haxen.

Doofe Sprüche des Gegners? „Wir lassen uns nicht ärgern“, betont Steffi Thumb. „Meistens gibt es sogar viel Anerkennung für unsere Fairness“, berichtet Abwehrchefin Natascha Noeske. Die Blutgrätsche kennen sie nur vom Hörensagen. „Wir möchten ja niemandem wehtun“, versichert Cordula Ramadani, dass sie nur spielen wollen. Erst eine gelbe Karte gab´s – für Handspiel.

Schlusspfiff gegen Welver – 0:24. „Und die haben immer noch Spaß“, staunt ein Gäste-Fan. Doch so sehr sie ihr Underdog-Dasein auch zelebrieren, auf immer und ewig die Schießbude der Nation bleiben wollen sie nicht. Mal für allen Enthusiasmus belohnt werden: Das wär´s. „Eines Tages ist es so weit“, glaubt Bianca Marszalek. „Tief in uns schlummert Talent“, droht „Toni“ Mumme grinsend. Wehe, wenn es erwacht!

Die Torjägerin: Laura Deklerski

Was haben Laura Deklerski und ihre Lieblingsspieler Klaas-Jan Huntelaar gemeinsam? Beide sind die Top-Torjäger ihres Teams. Doch während der Schalker Goalgetter schon 19-mal traf, muss sich die Dolbergerin bislang (wie Mitspielerin Julia Jürgens) mit einem einzigen Treffer begnügen – erzielt beim 1:33 gegen Enniger. „Das hat richtig für Gänsehaut gesorgt“, erinnert sich Deklerski, der die Sekunden alleine Richtung Tor wie eine Ewigkeit vorkamen. Angefeuert von „Lauf, Laura, lauuuuf!“-Rufen ihrer hoffenden und bangenden Kameradinnen hat sie vollstreckt. „Das eine oder andere Tor“ soll noch folgen. Es müssen ja gar nicht so viele wie bei Klaas-Jan Huntelaar sein ...