Peters Traum

Von Jonathan Stock

Zweimal die Woche Meldepflicht bei der Polizei, laufende Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Überwachung durch den Verfassungsschutz: Wie lebt es sich als Dschihadist in Deutschland?

In ihm gärt es, er ist ein labiles Gemüt: Das sagen Verfassungsschützer, die ihn seit sechs Jahren beobachten. "Gilt als gewalttätig und Betäubungsmittelkonsument", steht in einer Akte des Bundeskriminalamtes. Er hat Schutzgeld eingetrieben, geklaut, geschlagen: Das sagt er selbst. Viermal war er zur erkennungsdienstlichen Behandlung beim LKA Hamburg, dort wird er als "Gefährder" geführt.

Er sagt, in die Hölle zu kommen sei leicht. Man müsse nur seinen Begierden folgen. In den Himmel zu kommen ist schwer. Dafür muss man den Spott ertragen, das Unverständnis, die Versuchung und die Strafen.

Seinen Namen und sein Gesicht will er nicht in der Zeitung sehen. Er hat als Alias "Mr. X" vorgeschlagen, aber sein Vorname klingt so deutsch wie "Peter". Also Peter.

Einer, der Peters Gespräche abhören kann, sagt, solche Leute seien halbgescheiterte Hanswürste, die unendlich viel Blödsinn reden. Irrationaler Kinderkram, meint er, verblasen, anmaßend, zu dusselig, sich 'ne Scheibe Brot abzuschneiden. Aber: "Man hat irgendwann mal den Eindruck, man versteht diesen Typ - so ein rigides, geschlossenes, sehr kleinkariertes Weltbild."

Peter sagt, die schlechten Träume schickt der Teufel, der Schaitan. Erzählen darf man sie nicht, es ist besser über die linke Schulter zu spucken und Zuflucht zu suchen bei Gott. Aber gute Träume, die schickt Allah. "Rein statistisch gesehen ist es so", sagt ein Verfassungsschützer, "Hamburg hat 130 000 Muslime, davon sind nur 2000 Islamisten, weniger als 2 Prozent also. Von diesen 2000 sind wieder nur 200 gewaltbereit. Und 40 gibt es, die ordnen wir als Dschihadisten ein. Die sind unsere Priorität." Es sind Menschen, die den Dschihad unterstützen, den bewaffneten heiligen Krieg. Peter ist einer von ihnen.

Seinem Ziel am nächsten fühlte er sich in einer Zelle in Peschawar, wo die Sonne nicht schien und er die Vögel nur hören konnte. Es war zwischen Morgengrauen und Sonnenaufgang, die Stunde von Fajr, dem Frühgebet, die beste Zeit für Träume. Er lag auf dem Boden eines pakistanischen Gefängnisses, aber im Schlaf fuhr er BMW, 6er-Coupé, tiefergelegt, mit schwarzen Felgen, erzählt er später. Er fährt die Straße entlang, schnell und cool, bis der Asphalt sich wandelt zu stählernen Gleisen. Das Auto rattert, Masten und Stromkästen wachsen aus dem Boden wie Hindernisse in einem Computerspiel. Er reißt das Steuerrad herum, umkurvt alles, die Schiene wird zur Rampe, er rast sie hoch, die Reifen haben keinen Halt mehr. Er fliegt, immer weiter, dem Himmel entgegen. Dann wacht er auf. 

"Jeder muss seine Träume selber deuten", meint Peter. Den Traum mit dem BMW deutet er so: Das Fliegen, dieses Licht, das ihn ausfüllte, ein Gefühl stärker als jeder Orgasmus, das muss der Tod als Märtyrer sein. Das Fahren um Hindernisse aber, dieses mühsame Hin und Her: Das ist das Leben.

Zwei Monate war er im Gefängnis. Er hatte viele Träume in seiner Zelle, aber dieser war ihm immer der liebste, der größte Traum seines Lebens, auch jetzt noch, zwei Jahre später in einem kleinen Reihenhaus in Hamburg-Wandsbek mit Stiefmütterchen im Garten und einem gelben Duftbaum im Flur.

Wer Peter heutzutage trifft, der muss sich an der Haustür etwas Zeit lassen, damit Peter seine Zweitfrau ins Schlafzimmer bringen kann. Er hat Margeriten gekauft, weil sie Bauchschmerzen hat. Und dann hat er für seine erste Frau auch Margeriten gekauft. Das befiehlt sein Gesetz, die Scharia: Alle Ehefrauen müssen gleich behandelt werden.

Seine Mutter hat gekocht, sie tischt Borschtsch auf, was Peter sehr liebt. Er nimmt auf dem Sofa Platz, ein ruhiger, 30 Jahre alter Mann mit wachen, grün-grauen Augen und einer kleinen Tochter.

Meldepflicht bei der Polizei: zweimal die Woche, mittwochs und samstags.

Pass eingezogen laut Passgesetz, Paragraph 7 Absatz 1, da Peter "die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland" gefährden könne.

Wanzen, die er vermutet: vier (Telefon, Wohnung, Moschee und Auto). "Aber nur Allah sieht alles", sagt er.

Narben: 1. Eine Stichwunde am linken Oberschenkel. 2. Eine Brandwunde am linken Arm. 3. Etwa 100 Rasierklingenschnitte am Bauch. 4. Eine Schnittwunde am linken Daumen.

Sie erzählen sein Leben.

Die älteste Narbe trägt er am Oberschenkel, die Stichwunde eines Messerkampfes. "Wenn du ein Mann bist, dann kämpfst du", hatte der Russe zu ihm gesagt, also kämpfte er. Das war noch in der Zeit der Unwissenheit, der Dschhiliyya, bevor er Muslim wurde, als er weder den einzigen Gott kannte noch den Propheten oder das Gesetz.

Schutzgeld trieben sie für die Russenmafia ein, 15 000 Kilometer fuhr er im Monat durch Deutschland. Mehrmals saß er im Knast wegen Raubes. Er weiß nicht mehr genau, wie lange. Insgesamt zwei bis drei Jahre, schätzt er. Für den Schutzgeldjob ist er nie angeklagt worden. Sie hätten, sagt er, immer sehr sauber gearbeitet.

Reeperbahn, Frauen, Klamotten, Uhren, Autos, Alkohol, Kiffen, Kokain. "Das war mein Leben, verstehst du? Nur Spaß. Niemals habe ich mir etwas sagen lassen." Gefeiert hätten sie, wie in einer Familie, das Geld geteilt, sich Brüder genannt.

Manche kommen mit so einem Leben ganz gut klar. Andere nehmen Drogen, wenn sie ins Grübeln kommen. Peter schien trotz der Drogen etwas zu fehlen, auch wenn er lange nicht sagen konnte, was.

Bei einer Tour fragte er seinen Kumpel Hermann: "Gibt es eigentlich etwas, wofür du sterben würdest?" Es muss doch etwas geben, überlegte Peter, für das man alles geben würde, sogar sein eigenes Leben. Etwas, was man seinen Kindern beibringen könnte. Denn so, wie er gerade lebte: Das mochte er seinen Kindern nicht wünschen. "Also ist das falsch, oder?"

Was Hermann antwortete, weiß Peter nicht mehr genau, aber viel später kam er noch einmal zu ihm, da war Peter schon Muslim. "Dein Dach ist weg. Du bist im Knast verrückt geworden", meinte er nur. Es war ihr letztes Gespräch.

Die zweitälteste Narbe trägt Peter am linken Arm. Da schlängeln sich die Reste eines Tribal-Tatoos in großen, blauen Rauten die Schulter empor. "Es ist haram", sagt Peter, verboten. Tatoos sind Veränderungen des Körpers, den Allah erschaffen hat. Der Schaitan verführt Menschen, die Schöpfung zu ändern. "Also habe ich es mir herausgebrannt", sagt Peter.

Er hat seine Vergangenheit herausgebrannt mit einer Chemikalie, die er Marganzowka nennt, einer Lösung aus Kaliumpermanganat mit Glycerin. Sieben Minuten lang hat sie sich durch seine Haut gefressen. Eine große, rote Brandkruste blieb übrig.

Haram: verboten. Halal: erlaubt. Peter lernt den Unterschied bei seinem letzten Gefängnisaufenthalt in Deutschland. Er sitzt, weil er gegen die Bewährungsauflage verstoßen hat. Er will keine Drogen mehr nehmen. Er ist 25, er liest das Tao, die Bibel, den Koran.

Die Bibel gefällt ihm, er trägt ein Kreuz um den Hals, aber eines versteht er nicht. "Wenn meine rechte Wange geschlagen wird, warum soll ich dann die linke hinhalten? Was ist das für eine Religion?" Er redet mit dem Pastor, der will ihn vor seinen Mitgefangenen taufen, Peter will lieber nicht. Dann sieht er eine Reportage über den Islam im Fernsehen. "Vielleicht sollte ich Muslim werden", sagt er sich.

Und dann weiß er nicht, was er machen soll. Er betet einfach. "Gott, Allah, gib mir, was du willst, gib mir das, was das Beste ist. Ich weiß nicht, was richtig ist." Ein Mithäftling ist Muslim, er erklärt ihm den Koran, es ist dunkel, er liest den Thronvers. Manche Muslime weinen, wenn der Iman ihn rezitiert. "Es füllt sein Thron / Die Weite Himmels und der Erde, /Und ihn beschwert nicht die Behütung beider, / Er ist der Hohe, Große." Und in diesem Moment, sagt Peter, bekommt er eine Gänsehaut, sein ganzer Rücken kribbelt. Er meint, es war ein Malaika, ein Engel, der ihn umarmt, ihn umhüllt wie eine Decke. Da wusste er: Das ist es. Er fastet, fängt an zu laufen, er geht im Winter mit kurzen Hosen raus und reibt sich mit Schnee ab, schwimmt, macht Sport. "Ich habe damals schon angefangen zu trainieren, ohne zu wissen, dass das richtig ist." Trainieren für den Dschihad. Denn das, was er mache, sagt Peter, mache er immer zu hundert Prozent, und Dschihad sei auf jeden Fall hundert Prozent.

Als er aus dem Gefängnis kommt, 2005, beobachtet ihn bald der Verfassungsschutz. Sie wissen von seiner Konvertierung. Es sei nicht ungewöhnlich, dass einer so versuche, von den Drogen wegzukommen. Seine Glaubensbrüder aber sagen nicht, dass er konvertiert sei. Sie sagen, dass Peter zu Allah zurückgekehrt sei. Alle sind von Geburt an Muslime. Es wisse nur nicht jeder.

Hundert Prozent, das ist für Peter auch die Al-Quds-Moschee, die Moschee, in der auch die Attentäter des 11. September beteten. Weltbekannt unter Islamisten, ein historischer Ort für Sympathisanten. Viele ihrer Mitglieder sahen sie als einzig wahre Moschee Hamburgs. Dort lernt er 2008 Rami Makanesi kennen, der im Mai 2011 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurde. Damals wollten er und andere in ein Ausbildungslager nach Wasiristan, das Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan.

Wenn man Peter nach Gründen dafür fragt, dann erzählt er von Videos und Berichten aus Tschetschenien und Afghanistan, von den Untaten der Ungläubigen: Frauen die Brüste abschneiden. Das Kind im Leib der Mutter töten. Soldaten, die in langen Schlangen vor der Vergewaltigung anstehen, und Offiziere, die darauf achten, dass jeder drankommt. Und dass Frauen die Zähne ausgeschlagen werden, damit sie Männer besser oral befriedigen können.

"Wir können doch nicht nur Tee trinken und warten", sagt er, "wir müssen etwas machen." Der Dschihad ist für ihn ein Befreiungskampf gegen die Besatzer, sein Kampf ein Kampf für seine Glaubensbrüder. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes war der Entschluss und die Planung eine Sache von wenigen Wochen. Seiner Frau und seiner Mutter sagte Peter nicht Bescheid. "Sie weiß, dass ich oft weg bin", meint er.

Am 11. März 2009 um halb neun morgens hatte er am Flughafen von Wien-Schwechat für den Flug QR-94 sein Gepäck eingecheckt, als die österreichische Polizei ihn fragte, wohin er denn wolle. - Nach Pakistan, Teppiche kaufen. Und zu einer Hochzeit. - Sie müssen ihn weiterfliegen lassen. Die pakistanische Polizei hat weniger Bedenken, stülpt ihm einen Sack über den Kopf und sperrt ihn ein. Über seine Mithäftlinge in Pakistan, langbärtige Krieger aus den Bergen, sagt er: "Das waren die besten Männer." In Deutschland hat er im Knast nur Verbrecher getroffen. Zwei Monate später wird er nach Deutschland abgeschoben.

Die dritte Narbe hat er am Bauch über der Leber, 2010. Er hat sich selbst geschröpft. Hijama heißt die arabische Heilmethode, die schon der Prophet angewandt haben soll. Er ritzt sich seine Haut mit einer Rasierklinge viele Dutzend Male ein. Dann dreht er Papier zu kleinen Rollen, zündet die an und wirft sie in ein großes Glas. Das drückt er auf die Haut. Der Unterdruck im Glas zieht das Blut heraus. Das schlechte Blut, meint er. Rauch, Asche und Blut bilden ein trübes, schwarzes Gemisch.

Peter schneidet sich die Haut auf, weil er so leben will wie Mohammed. Deshalb isst er auch seinen Teller leer, denn das ist Sunna, so hat es auch der Prophet gemacht. Er benutzt keine Zahnbürste, denn in Zahnpasta ist Rattengift der Ungläubigen. Er benutzt Salz oder den Miswak, ein Wurzelstück des Zahnbürstenbaumes, wie der Prophet. Er schläft auf dem Fußboden, wie der Prophet.

Wer auf seinem Blümchensofa Platz nimmt, bekommt die Welt erklärt: Die Aldi-Brüder seien Juden, und die Besitzer von Lidl und Netto und Burger King. Auch Arnold Schwarzenegger. Hollywood-Schauspieler, Ex-Gouverneur, Ehemann einer Kennedytochter: Wie könne der kein Jude sein? Der Vater von Präsident Obama sei Jude. Angela Merkel? "Mich würde es nicht wundern."

Die Schaitane, die kleinen Brüder des Teufels, leben im Schmutz unter den Fingernägeln, deshalb muss man sie kurz schneiden. Wenn man gähnt, muss man die Hand vor den Mund halten, sonst kommt der Teufel hinein. Er ist geschickt, benutzt alles als Tor in den Körper. Die Teufel versuchen auch, in den Himmel zu kommen, um die Gespräche der Engel zu belauschen. Deshalb werfen die Engel mit Steinen nach ihnen, das sind die Sternschnuppen. Der Kampf gegen die Teufel ist anstrengend, aber wer ihn erfolgreich führt, dem wird das Größte geschenkt: das Paradies.

Am letzten Tag der Al-Quds-Moschee, im August 2010, bevor der Hamburger Innensenator sie schließen ließ, erzählt Peter bei einem Glas Tee vom Paradies. Er sieht müde aus, er hat wieder Blut geschröpft, diesmal am Kopf. Manchmal streift sein Blick einen Glaubensbruder, der Geschirr abwäscht, am nächsten Tag hält der den Polizisten, die das Schloss der Moschee aufbohren lassen, den Mittelfinger entgegen.

Eigentlich weiß man ja, dass das Paradies eine große Sache für Dschihadisten ist, aber wenn man Peter reden hört, denkt man, es vorher wohl doch nicht gewusst zu haben. Peter spricht ernsthaft und sehr konkret darüber. Für ihn ist das Paradies keine Ahnung in den Wolken, sondern Wirklichkeit. Wein gibt es dort, der bei jedem Schluck besser schmeckt, und Frauen, so schön, dass man danach die schönste Frau dieser Welt zum Kotzen findet. Siebzig Jahre würde man allein bei der ersten Umarmung verbringen. Sein Glaubensbruder ruft: "Alles, was hier verboten ist, gibt es da. Da gibt es Parties, ich will dahin mit Lichtgeschwindigkeit."

600 Meter südwestlich wirbt ein Pornoladen mit Spielcasino mit der Aufschrift: "Hier spielt das Leben". Nebenan glänzt die Alster in der schönsten Abendsonne, Jugendliche grillen eine Wiese weiter und lassen bei einem Bier die Beine ins Wasser baumeln. Peter könnte hingehen, den Rausch sofort haben. Aber das will er nicht.

Warum nicht?

Im Mai 2011 fährt Peter mit einem Volkswagen an einem Park in Wandsbek entlang. Er hat es satt, den Verfassungsschutz, den fehlenden Pass, die Wanze in seinem Wagen, die Meldepflicht zweimal die Woche, das Gefühl, verfolgt zu werden. Dann sagt er: "Was ist das alles hier?"

Hier, das ist eine Wiese im Frühlingslicht, das Bellen eines Hundes, Lindenduft und eine Frau mit blondem Haar.

Für Peter ist es das nicht. "Guck mal", sagt er, "Was ist das für ein Leben? Die Frau geht mit dem Hund spazieren und dann muss sie zur Arbeit, sie freut sich auf Weihnachten, und dann ist Weihnachten vorbei. Stell dir vor, man lebt 10 000 Jahre, aber diese 10 000 Jahre werden trotzdem vergehen." Das Paradies jedoch nehme kein Ende.

Das erklärt vielleicht manche Missverständnisse, wie der Abend, als Peter zum V-Mann gemacht werden sollte. Er war zurück aus Pakistan, 2009, zwei Monate hatte der Gefängnisaufenthalt gedauert. Vorwerfen konnte man ihm nicht wirklich etwas, er behauptete ja, dass er zu einer Hochzeit und mit Teppichen handeln wollte.

Ein paar Wochen später klingelte es an der Tür und ein kleiner Mann stand davor, Mitte 30, vermutet Peter. Ob der Mann vom LKA kommt oder vom Verfassungsschutz, kann Peter später nicht sagen. Das LKA will sich dazu nicht äußern, ein Verfassungsschützer sagt, er schließe "bei diesen Leuten" gar nichts aus.

Der Mann fragt höflich, ob er hereinkommen könne, es gebe da ein Angebot. Als sie in Peters Zimmer sitzen, erzählt er von einem Haus und Geld und einem neuen Reisepass. "Aber", sagt der Mann, "es ist ein Geben und Nehmen." Er müsse als V-Mann arbeiten. "Nein", sagt Peter. Er müsse sich ja nicht sofort entscheiden, sagt der Mann, er solle in Ruhe darüber nachdenken. "Ich bin Muslim", sagt Peter. "Ich will ins Paradies. Was kannst du mir geben?" Der Mann sagt: "Spitzel hat es immer gegeben." Peter erwidert: "Und es wird sie immer geben, bis zum Jüngsten Gericht."

Wer Spitzel ist, der ist ein Heuchler, ein Munafiq. Und die Munafiqun sind für Peter schlimmer als die schlimmsten Feinde des Islam, schlimmer als die Ungläubigen. Im untersten Grund des Höllenfeuers brennen sie, so steht es im Koran, in der vierten Sure, im 145. Vers. Dort wo aus der Wurzel des Feuerbrandes heraus der Baum Zakum wächst, dessen Früchte wie die Köpfe des Teufels sind, Früchte, die im Magen der Heuchler deren Eingeweide kauen.

Das wusste der kleine Mann nicht.

Die jüngste Narbe hat Peter am linken Daumen, eine Schnittwunde, etwa einen halben Zentimeter tief. Das Klappmesser trägt er immer am Gürtel. Es ist kein Schwert, wie der Prophet es hatte. Aber wir leben in Deutschland, wir müssen uns integrieren, meint Peter. Die Wunde kommt vom Messerkampf-Training.

Peter kann nicht in Pakistan üben, weil ihm sein Pass abgenommen wurde, also trainiert er in Hamburg-Lohbrügge, gegenüber von Netto. Andere Muslime trainieren mit ihm. Die Kopfhaut des Trainers sieht aus, als hätte jemand versucht, einen Haufen Tischtennisbälle darunter zu verstecken. Er hat für die Bundeswehr ausgebildet. Der Fernmeldezug des Feldjägerbataillons 151 aus Neubrandenburg kennt ihn. "Mit Dank und Erinnerung" steht an der Wand des kleinen Trainingsraums.

Er lässt Peter und die anderen auf Fäusten Liegestütze machen, drei Minuten lang, manchmal länger, dann geht er herum und tritt ihnen in den Bauch, den Oberschenkel oder die Brust. Keiner beklagt sich. Danach läuft er ihnen über den Bauch, bevor sich die Schüler die Nerven an den Unterarmen kaputtschlagen. Dann Messerkampf, Faustkampf, einer gegen zwei, einer gegen drei.

Die gleichen Schüler umarmen sich später, scherzen, lachen sich kaputt.

An der Wand ist ein Gladiator aus rotem Nebel gemalt, daneben König Leonidas aus dem Film "300" mit einem Schwert in der Hand und einem Pfeil, der durch die rechte Brustwarze eintritt und durch die linke wieder raus.

Wenn Peter kämpft, dann grinst er. Wenn er Schläge eingesteckt hat oder austeilt, schaut er nach unten, und seine Augen werden größer. Er trainiert länger und härter als alle anderen. Nachdem alle schon gegangen sind, macht er noch 70 Liegestütze und 30 Klimmzüge.

Er sagt: "Disziplin ist alles, ob beim Lernen oder beim Training. Man muss Disziplin haben. Man braucht einen Plan."

Seine Religion hält alles zusammen. Wenn er Hijama macht, das Blutschröpfen, seien das Wichtigste die "grundlegenden Hygieneregeln". Nach dem Gebet geht er herum und macht das Licht aus. Dass in der Al-Quds-Moschee ein Schild stand: "Bitte keine Fahrräder abstellen, sonst werden ebendiese entfernt - der Vorstand", fand er richtig. Er sagt: "Scheiße sagt man nicht."

Am Eingang ihres Trainingsraums haben Peter und seine Glaubensbrüder 27 Zeitungsartikel an die Wand geklebt, mit Klebegummi, so dass die Tapete nicht kaputtgeht: Amokläufe, Brunner-Mord, das Todesprotokoll der Loveparade. "Es reicht!" steht dort, "Endlich Knast für 20-Cent-Killer", "Das ist der Vergewaltiger von Melanie", "Tatort Neustadt: Schon wieder eine Nacht der Gewalt". 27 Artikel über eine kaputte Welt. Peter steht davor, liest sich die Sachen durch und schüttelt den Kopf. "Das ist, damit die Menschen wissen, was draußen passiert, weißt du? Das sind alles Originalfälle", sagt er.

Wenn die Stadt das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft feiert, geht Peter in die Moschee. Während die anderen glauben, dass Peter in der falschen Welt lebt, glaubt er das Gegenteil. Während die anderen glauben, Peter sei verloren, fühlt er sich errettet, endlich.

Später, unten im Trainingskeller, stimmt einer der Brüder die Sure Al-Fatiha an. Hell und klar klingt es zwischen den Reckstangen und Hanteln. Peter betet so, wie er kämpft: wie ein Soldat, mit genauen Bewegungen. Schulter an Schulter, die Füße berühren die Füße der Nachbarn, alle Zehen in einer Linie, damit der Schaitan nicht durchkommt. Peter lässt sich zuerst auf die Knie fallen, dann erst folgen die Hände, so ist es gottgefälliger.

"Ich müsste eigentlich schon lange weg sein", meint er danach, in der U-Bahn. "Weg" ist Pakistan. Der Dschihad, sagt Peter, sei seine Lebensversicherung, für ihn und für seine Familie, tausendmal würde es ihm im Paradies zurückbezahlt. Er will zurück, sobald er seinen Pass wieder hat.

Eric Breininger, ein Dschihadist, der in Wasiristan starb, hatte ein Lächeln auf den Lippen, als er erschossen wurde, erzählt Peter. Sie hätten seine Leiche mit Säure übergossen, weil sie nicht wollten, dass er andere mit seinem Lächeln anstifte, doch die Leiche verweste nicht, roch nach Moschus zwei Wochen lang. Er hatte einen Ständer und einen Samenerguss. Die Huris, die Engel aus dem Paradies, sind ihm begegnet.

"Die Reise", sagt Peter, "beginnt sofort.

"Kann man Peter aufhalten? Wie nimmt man einem Mann das Paradies? Welche Worte setzt man dem Gott in seinem Kopf entgegen?

Wenn die Behörden Moscheen schließen, entstehen woanders neue, in Pinneberg oder in Harburg. Die neuste, die der Verfassungsschutz noch nicht erwähnen will, in Borgfelde. Von außen erkennt man sie manchmal nicht, selbst die Nachbarn wissen es oft nicht. Es ist eine Welt der Hinterhöfe. Drückt man das Ohr auf den Teppichboden in der Assalam-Moschee, in der er manchmal betet, hört man das leise Murmeln der Betenden und die Autos in der Tiefgarage darunter.

Wenn Peter Wichtiges zu erzählen hat, wie Reiserouten oder Finanzierung, lässt er sein Handy zu Hause und geht an der Alster spazieren. Er legt den Finger auf den Mund und nimmt für Unausgesprochenes Gesten. Die Bewegung, mit der er eine Kalaschnikow hält, ist das Zeichen für den Dschihad.

Seit Peter zum Islam konvertierte, ist seine Mutter, eine herzliche, gastfreundliche Frau, sehr zufrieden mit ihm. Es klingt merkwürdig, aber in den letzten Jahren hat es Peter vorangebracht in seinem Leben. Der Glaube hat ihn ruhiger gemacht. Seine Mutter sagt: "Allah hat mir einen neuen Sohn geschenkt, Alhamdullilah, er war nicht immer so wie jetzt."

Wer ihn nachts anruft und um einen Schlafplatz bittet, den lässt er ein. Wer arbeitslos geworden ist, dem verschafft er einen neuen Job. Wenn die Briefträgerin ihren Wagen auf dem Gehweg schiebt, macht Peter Platz. "Danke", sagt sie. "Bitte", sagt er. Er kauft Überraschungseier für die Kinder von Freunden, weil die sich so freuen, und er lacht mit ihnen. Er empfiehlt Hohes C und Granini, wegen der guten Qualität. Er hat den Hauptschulabschluss nachgemacht. Drogen hat er nicht mehr genommen, aber Arbeit gefunden im Großmarkt Hamburg, Abteilung Obst und Gemüse.

Er wischt den Tisch ab, nachdem er gegessen hat. "Wenn die Mutter nicht zufrieden mit einem ist, kommt man nicht ins Paradies", meint er.