Der Freiherr als Staubsaugervertreter

Von Georg Seeßlen

Berlusconismus Guttenberg geht für den Moment, aber er wird wiederkommen. Vorläufiger Nachruf auf einen künftigen Politikertypus.

Jedes europäische Land auf dem Weg in die Postdemokratie bekommt denBerlusconismus und seine Vertreter, die es verdient. In ihrer äußeren Erscheinung und in ihrer back story mögen sie unterschiedlich sein, die Postdemokraten in Italien, Frankreich, Russland, Polen oder nun eben Deutschland; das Grundmodell ihrer Macht dagegen ähnelt einander verblüffend.

Karl-Theodor zu Guttenberg begründete seinen Rücktritt als Verteidigungsminister mit der veränderten Wahrnehmung seiner Person durch die Medien. Das war keineswegs überraschend: Der berlusconistische Politiker erhält seine Macht nicht so sehr durch die parlamentarisch-demokratischen Institutionen und nicht durch die Hierarchien und Allianzen der Parteien, sondern vor allem durch die Medien. Nicht Wahl oder Diskurs entschieden über seine Macht, sondern seine mediale Präsenz – möglichst überraschend, möglichst „unpolitisch“.

Dementsprechend definiert er sich als meta-parteilich, als unabhängig und solitär. So wird er zur direkten Antwort auf die „Politikverdrossenheit“, die nicht zuletzt eine Parteienverdrossenheit ist: Berlusconismus ist, unter vielem anderen, Politik für Leute, die mit Politik nichts im Sinne haben, sowohl unpolitische Politik als auch politische Un-Politik.

Damit hängt zusammen, dass der berlusconistische Politiker sich nach den Gesetzen der Unterhaltungsindustrie inszeniert. So wie er selber als gecasteter Typus in einer politischen Seifenoper erscheint, verbindet er sich auf einer zweiten Ebene mit dem Entertainment: Der eine heiratet eine Schlagersängerin, der andere lässt sich von Quiz-Kasperles hoffieren, jener unterdrückt und dieser kauft die Zeitungen, die er braucht. Der unsere lässt seine Frau als Pädophilenjägerin im Privatfernsehen auftreten und ist mit eingebetteten Schreibern und Bildermachern unterwegs.

Zur Inszenierung gehört weiter, dass der berlusconistische Politiker Wert auf sein Erscheinungsbild legt, was durchaus karikaturistische Drastik beinhalten kann: Von „Burlesquonis“ Lifting zu Guttenbergs Haargel – stets erscheint eine Art bizarrer, etwas vulgärer Eitelkeit, ein polyvalentes sexuell-ökonomisches Bild. Nicht schön, aber laut.

Für den berlusconistischen Politiker gibt es keinen Unterschied zwischen Politik und Privatleben: Berlusconi behandelt den italienischen Staat als Privateigentum, Guttenberg positioniert sich als so wichtig für den deutschen Staat, dass für ihn allgemeine Rechte und Regeln nicht zu gelten scheinen und er sich selbst im Abgang noch fürs „Vaterland“ opfert: „Ich war immer bereit, zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht“. Affären, so oder so, werden Teil serieller Dramaturgien („So leidet Guttenberg“, wie die Bild am Sonntag titelte). Immer muss man ihn zugleich bewundern und in Schutz nehmen; alles, was an ihm kritisiert werden kann, ist eine Gemeinheit seiner linken, intellektuellen Kritiker, die die Einzigartigkeit unseres Stars nicht ertragen. Der Politiker dieses Typs wird zu einer Popcorn-Variante des faschistischen „Führers“.

Er erhält seine Zustimmung, wie medial diese auch immer manipuliert sein mag, nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Verstöße gegen Gesetz und die fundamentalen Regeln von Stil und Anstand. Er ist ein Volksheld auch in dem Sinne, dass er sich scheinbar ehrlich – „Blödsinn“ – zu seinem Verhalten bekennt: Ohne bescheißen kommt man zu nichts. Wesenszug dieses Populismus ist der Anti-Intellektualismus. Insofern geht es in der Zustimmung zum Bescheißen nicht nur ums Akzeptieren unehrenhaften Verhaltens, sondern auch um die Abwertung der akademischen Institutionen.

Letztes Aufbäumen

Paradoxerweise wird in dieser Hinsicht ein Guttenberg durch den Betrug erst richtig glaubwürdig, genau so, wie er als Freiherr erst richtig glaubwürdig wird, weil er diese Rolle wie in einer schlechten Vorabendserie des deutschen Fernsehens spielt. Er vereint die akademischen und aristokratischen Distinktionen mit der Präsenz eines Parvenü: Der Freiherr als Staubsaugervertreter oder umgekehrt.

Die Unterwerfung unter den Berlusconismus ist einerseits ein Bekenntnis zu einer anti-demokratischen und mafiösen Organisation der Interessen, sie ist andererseits aber auch nicht frei von Masochismus. Wir wissen ja, was Schau ist, die Beschissenen sind die anderen. Berlusconistische Politiker versäumen es nicht, die Schadenfreude zu bedienen.

In der Postdemokratie ist ein solcher Politiker unendlich anschlussfähig. So wie bei Berlusconi selber die Netze vom Neofaschismus bis zum organisierten Verbrechen, vom Showbusiness bis in den Sport reichen, so ist auch Guttenberg nur zu denken in zumindest medialen Verbindungen mit anderen anti-demokratischen, anti-rechtsstaatlichen, populistischen Impulsen. Träumt man nicht, wenigstens als Bild-Leser, von dem Dream-Team Guttenberg/Sarrazin?

Die Herrschaft jenes Politikers ist in einem nicht unerheblichen Maße virtuell. Er geriert sich als ein „leichter“ Fall von Diktatur, er bricht Gesetze und erlässt welche nach Belieben, alles scheint an ihm neu und anders. In Wahrheit aber geht es bei ihm darum, Hemmungen und Gewichte für die freie Entfaltung der Marktführer aus dem Weg zu räumen und ansonsten alles beim Alten zu lassen. Seine diktatorische und pop-industrielle Anmaßung maskiert den Umstand, dass die selbst von den gemäßigten Befürwortern des freien Martes als dringend notwendig erachteten Reformen des Kapitalismus unterbleiben. So ist absehbar, dass jede Art von Berlusconismus – und wir können nur ahnen, wie bewusst es ihren Befürwortern ist – am Ende ein Kapitel der Selbstdestruktion von Staaten und Gesellschaften bedeutet.

Seine Grundfunktion ist, den gesellschaftlichen Stillstand und den Verlust von Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität in einem Land zu hysterisieren und zu medialisieren. Jenseits dessen bedient er jeden Impuls aus seinem Volk, der ihm dient. Von Berlusconi wurde gesagt, er würde von heute auf morgen eine militant antisemitische Politik verfolgen, wenn ihm seine Marktforscher versichern würden, die Mehrheit des italienischen Volkes wäre dafür. Da sich dieser Politikertypus, in seiner Verknüpfung von privaten Interessen und politischer Funktion, rasch in eine Maschine verwandelt, deren einziges Produkt die Erhaltung der eigenen Macht ist, leistet er sich keine moralische Zimperlichkeit. Spätestens gegen Ende seiner Karriere wird er zu einer lebenden Bombe: Zur Machterhaltung gehört es zwingend, das System von Demokratie, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit abzuschalten. Eine solche Politik benötigt Geld. Viel Geld. Und sie macht Geld. Noch mehr Geld.

Unser Freiherr zu Guttenberg scheint eine Idealbesetzung für einen deutschen Politiker dieser Art zu sein. Dabei ist es vergleichsweise unerheblich, dass sich das „alte System“ noch einmal gegen den konzertierten Angriff von Guttenberg und Bild- Zeitung zur Wehr setzen konnte und ein vorläufiger Rücktritt erfolgt ist.

Die klassischen demokratischen Institutionen und ihre Vertreter haben sich bereits, ebenso wie die Kanzlerin, in die berlusconistischen Fallen manövrieren lassen, sie versuchen dem Pfad in die Postdemokratie ein bisschen zu folgen und ein bisschen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Wenn die deutschen Universitäten ihre akademische Würde verteidigen, dann um einen gewaltigen Preis: Am Ende steht nicht allein die Aberkennung der Doktorwürde für einen einzelnen karrieristischen Politiker, sondern der Vorgang führt zu einer schmerzhaften Selbstaufklärung der deutschen Universitäten, die bei der „Drittmitteleinwerbung“ schon längst jede Würde und Freiheit verloren haben.

Guttenberg ist nicht, wie man vermuten könnte, eine Art Berlusconi light; schließlich, sagt man, lässt er sich nicht von Medien machen, die er selbst in Besitz hat. Vielleicht ist damit aber die nächste Phase erreicht: Im klassischen Berlusconismus wie in den Postdemokratien Osteuropas halten sich Politiker ihre Zeitungen. Im Deutschland auf dem Weg in die Postdemokratie hält sich eine Zeitung einen Politiker! Und indem sich das „alte System“ gegen diesen Angriff der Unterhaltungsindustrie auf die Politik wehrt, muss Frau Merkel etwas tun, was schon der Ex-Kanzler Helmut Schmidt als unmöglich erachtet hat – gegen die Bild- Zeitung regieren. Egal, wer verliert, Bild gewinnt immer.

Ende einer Geschichte

Die Verbindung von Bild, Fernsehen und der Karrierefamilie Guttenberg erweist sich deshalb für diese als Segen und Fluch zugleich. Guttenbergs konnten in einer Geschwindigkeit aufsteigen, wie es in der parlamentarischen Demokratie und in der intrigant-pfründischen Struktur der Parteien nicht möglich gewesen wäre. Dafür ist das Guttenberg-Paar nun auf Gedeih und Verderb diesen Medien ausgeliefert. Das kennen wir aus Mafia-Filmen: Wenn die gefütterten Freunde der Freunde nicht mehr nützlich sind, der Bild-Zeitung oder auch, sagen wir einmal, den Markführern, die Interessen an berlusconistischer Politik haben, dann werden sie bedenkenlos geopfert.

Berlusconistische Politik ist für die Konzern-Medien nicht nur ein guter Stoff und ein guter Deal – auch wenn es nicht immer so schamlos zugeht wie beim Anzeigengeschäft für die Soldatenwerbung. Sie ist auch Voraussetzung für das weitere Wachstum dieses Marktes – haben wir eigentlich schon erwähnt, dass es ein Kernpunkt der berlusconistischen Politik ist, alle unabhängige Kultur abzuschaffen? Berlusconismus ist nicht allein die Herrschaft von postdemokratischen Leicht-Diktatoren mit Hilfe der Medien, sondern auch die Herrschaft der Unterhaltungsindustrie über Regierung und Staat. Ob der berlusconistische Politiker dann die „Marionette“ von Kapital und Entertainment ist oder ein Subjekt der neuen Herrschaftsform, ist kaum noch von Bedeutung. Ob Guttenberg durch Bild oder Bild durch Guttenberg herrscht, ob Guttenberg eine Vorahnung oder schon die Idealbesetzung ist – fest zu stehen scheint: Die Geschichte der zweiten deutschen Republik, ihrer Institutionen, Werte und ihres, nun ja, Geistes geht zu Ende. Guttenberg wird wiederkommen.

der Freitag, 3. März 2011