Herr Schröder will es allen zeigen

Von Britta Stuff

Er liebt die Macht. Doch seit sechs Jahren ist Gerhard Schröder nicht mehr Bundeskanzler, sondern Rechtsanwalt, Berater und Redner. Schlagzeilen sind ihm trotzdem noch wichtig. Unsere Reporterin hat den Getriebenen begleitet.

Frage: Wenn Sie mit Ihrem Rücktritt gedroht haben, haben Sie es so gemeint?Schröder: Nein. Es war ein Instrument.

Er trägt einen Mantel, es ist kühl. Er ist es auch. Ohne ein Lächeln, umrahmt von zwei Sicherheitsleuten, läuft er den Bahnsteig entlang, streckt noch in Bewegung die Hand aus, kurz vorm Abbremsen: "Schröder". Er nimmt eine Hand entgegen - "Guten Tag". Dann dreht er sich weg. Bis der Zug eintrifft, ein paar Minuten später: Rücken. Gespräch mit seiner Büroleiterin, haste dieses gelesen, haste jenes gehört. Von hinten wirkt er überraschend klein."Na, dann schaun wir mal, was der Alfons heute so für mich gekocht hat", sagt er im Bordrestaurant. Es gibt bei der Bahn in diesen Wochen Klassiker der deutschen Küche nach Rezepten von Alfons Schuhbeck, das ist einer der vielen Fernsehköche und für Schröder "der Alfons". "Suchen Sie sich was aus, ich lad' Sie ein, das dürfen Sie ruhig annehmen." Er nimmt Leberkäse de luxe.

"Nun sagen Sie mal, was Sie von mir wollen."Schröder sieht aus wie Schröder, nur noch schröderiger. Das muss an den Karikaturen von früher liegen, in die er irgendwie hineingealtert ist. Seine Daten sind die gleichen: 1,74 Meter, Augenfarbe Blau, geboren am 7. April 1944.

Der Zug fährt von Hannover nach Mannheim, von dort aus geht es weiter mit dem Auto, in Heidelberg wird Gerhard Schröder heute das Deutsche Krebsforschungszentrum besuchen. Grund: Jahresempfang des Vorstandes, Schröder ist Beirats-Mitglied.

Wir fahren an Göttingen vorbei - "Da habe ich studiert. Das wissen Sie, oder?" -, essen auf, gehen ins Abteil. Wir halten in Kassel-Wilhelmshöhe und lesen Zeitung. Gerhard Schröder schläft ein, fast unmerklich, ohne nur ein winziges bisschen Körperspannung zu verlieren. Ich sehe ihn mir an. Er war sieben Jahre und 27 Tage Kanzler - auf Plakaten, im Fernsehen, in Zeitungen. Und rund um die Uhr konnte man sehen: Er war es richtig gerne. Zuvor war er auch schon gerne Kanzlerkandidat, Ministerpräsident, Juso-Vorsitzender, er war der, der am Zaun des Kanzleramts rüttelte und brüllte: "Ich will hier rein!" Er hatte gerne die Macht, über Deutschland, nicht mal halb so lange wie Helmut Kohl, aber vielleicht doppelt so laut. Er war ein sehr guter Kämpfer, ein guter Gewinner. Und ein wirklich schlechter Verlierer. Und jetzt?

Heute ist er ein viel beschäftigter Veteran. Schröder hat ein Büro mit fünf Mitarbeitern in Berlin und eine Rechtsanwaltspraxis in Hannover. Er ist Berater des Schweizer Verlagshauses Ringier und Vorsitzender des Aktionärsausschusses der europäisch-russischen Gesellschaft Nord Stream AG, deren Mehrheitseigentümer der russische Gasexportmonopolist Gazprom ist. Er wird bei einer New Yorker Redneragentur geführt. Der Altkanzler ist jetzt angeblich Millionär.

Seine Hobbys sind: Ehrenvorsitzender des Nah- und Mittelostvereins, Ehrenvorsitzender der Emiratisch-Deutschen Freundschaftsgesellschaft, Schirmherr der Stiftung Jugendfußball, Mitglied des Beirats des Chinesisch-Deutschen Zentrums für Energie und Umweltschutz im Bergbau, Mitglied des Board of Trustees der Tongji-Universität, Vorsitzender des Kuratoriums Freundschaftsbrücke Deutschland e.V. Um nur einige zu nennen.

Vor Frankfurt wacht er auf, keine Sekunde lang irritiert, dass er eingeschlafen war. Es gibt nun Politik als Hauptgericht ("Die Frauenquote halte ich für unerlässlich") und Parolen als Beilage (Angela Merkels Auftritt in einem dekolletierten Abendkleid: "Man soll tun können, was man will. Ich denke aber: Einen Minirock sollte man auch nur tragen, wenn man schöne Beine hat.").

Jemand ruft an, einer der Männer vom Sicherheitskommando reicht das Handy: "Ihre Frau". Irgendwas ist mit dem Hund.Ab und an kommt jemand am Abteil vorbei, geht weiter, kommt wieder zurück, "ist er das?", kommt mit Begleitung wieder, "ich hab' dir ja gesagt, das ist er". Manche klopfen und öffnen die Glastür, ohne auf Antwort zu warten:

"Herr Schröder, kann ich ein Foto machen?"

"Ja, komm, wir machen schnell eins.

""Der Cousin meiner Frau hat mit Ihnen studiert."

"Ah ja?"

"In Göttingen, ich müsste noch mal fragen, welche Vorlesung genau."

"Na, dann grüßen Sie mal schön."

Er schafft es, auf den Handyfotos immer auszusehen, als würde er neben dem Sultan von Brunei posieren.

In Heidelberg geistert er durch die Flure, umringt von Mitläufern, und lässt sich die Radiologie zeigen. Er spricht mit Nachwuchswissenschaftlern über Hirntumore, Chemotherapien und Wissenschafts-Stipendien, hält zwischen zwei Harfenstücken, "Tango" und "Esmeralda", eine Rede zum Thema "Perspektiven und Herausforderungen für Deutschland und die Europäische Union im 21. Jahrhundert". Der Bundeskanzler a. D. möchte Herr Schröder genannt werden, und nicht Herr Bundeskanzler, wie es ihm eigentlich protokollarisch zusteht. Wenn er kommt, sind zumindest ein paar Journalisten da. Auch wenn Herr Schröder eigentlich nichts tun kann für das Krebsforschungszentrum Heidelberg.

Die Wochen danach

Am 15. Februar sagt Ehefrau Doris Schröder-Köpf bei "Beckmann", dass für ihren Mann die erste Zeit nach dem Ende der Kanzlerschaft und mit zwei kleinen Kindern "ein harter, teilweise bitterer Lernprozess" gewesen sei. Die "Zeit" schreibt, dass Schröders Politik nur noch vage in Erinnerung geblieben sei. Olaf Scholz, Schröders Ziehsohn, wird am 7. März Erster Bürgermeister von Hamburg, Schröder hatte ihn im Wahlkampf mit einer kleinen Rede unterstützt - "Mein Freund Olaf". Der umstrittene Unternehmer und Gründer des Finanzdienstleisters AWD, Carsten Maschmeyer, hat laut "Spiegel" eine Million Euro an Schröder für dessen Memoiren gezahlt - und Gewinn gemacht. Fukushima geschieht, die Bundesregierung beschließt kurz darauf den Ausstieg aus der Atomkraft. Die Energiewende ist da. Schröder lobt Merkels Lernfähigkeit in Sachen Atompolitik.

29. März, Lübeck

Frage: Sind Sie Nostalgiker? Schröder: Ach, nicht in dem Sinne, dass ich in der Vergangenheit lebe oder leben wollte. Aber ich finde, ich hab' schon was gemacht aus meinem Leben.

Gerhard Schröder steht neben Günter Grass im Günter-Grass-Haus kerzengerade, als wolle er sich gleich noch auf die Zehenspitzen stellen und Hosenträger spannen. Es ist schwer zu sagen, wer nun stolzer ist: Schröder, weil er neben Günter Grass steht, oder Grass, weil er neben Gerhard Schröder steht.

Es gibt Menschen, bei denen es leicht ist, das Kind von früher zu erahnen. Merkel gehört nicht dazu, man denkt, sie müsse erwachsen geboren worden sein, Angela Merkel sah auch schon als Kohls "Mädchen" nie wirklich nach Mädchen aus, man kann sich gut vorstellen, dass sie schon als Dreijährige zu ihren Eltern sagte: "Meine Damen und Herren, ich möchte ein Schokoladeneis. Das ist alternativlos." Schröder hingegen sieht man den kleinen Jungen mit aufgeschlagenen Knien an, der es geschafft hat. Seine Geschichte, tausendfach von ihm und anderen erzählt, findet man auch in seiner Autobiografie "Entscheidungen. Mein Leben in der Politik", die angeblich mal "Ein ganzer Kerl" heißen sollte, wie der Roman von Tom Wolfe über einen Immobilienhai. Er war ein Kind, das ohne Vater aufwuchs, die Mutter war Putzfrau. Schröder hat sein Abitur nach der Lehre im zweiten Bildungsweg gemacht, hat sein Jurastudium auf dem Bau verdient. Hat immer das Kleinere gegen etwas Größeres getauscht, der umgekehrte Hans im Glück.

Er sagt, manchmal habe er schon für einen kurzen Moment die intellektuell irrationale Angst, alles, was er sich erarbeitet hat, könnte weg sein.In Lübeck stehen um Grass und Schröder im Halbkreis Lokalpolitiker, zwei Kamerateams, ein paar Reporter mit Blöcken und Fotografen. Es geht heute um Grass' "Vorlass", also den Nachlass zu Lebzeiten, der - das ist ihm sehr wichtig - auf gar keinen Fall verloren gehen darf. Undenkbar grausam, was mit dem Werk Heinrich Bölls geschah, als in Köln das Archiv einstürzte, nein, die Nachwelt und auch die Wissenschaft müssen auf das grasssche Werk jederzeit zugreifen können. Es geht heute um einen etwa 30 Quadratmeter großen Raum, der gebaut wurde dank einer Spende Schröders im "mittleren fünfstelligen Bereich". Schröder hatte irgendwo eine Rede gehalten und dann darum gebeten, das Geld doch dem Grass-Haus zu überweisen, und nun ist da dieser Raum, in dem der Vorlass bis zum Weltuntergang sicher gelagert werden kann.Nachdem alle Fotos gemacht wurden, löst sich die Runde langsam auf, beide, Grass und Schröder sprechen noch in die Mikrofone, dass sie seit Langem wussten, dass Atomkraftwerke abgeschaltet gehören.

Oben, unter dem Dach in Grass' Büro, sitzen dann alle, die etwas wichtiger sind, noch mal zusammen, um zu plaudern. Grass hustet, er hat gerade eine Grippe überstanden, Schröder sitzt dicht bei ihm, Grass ist schwerhörig. Alle anderen tun unbeteiligt, als sei es nichts Besonderes, dabei zu sein, aber alle haben ein aufgeregtes Gesicht und eine etwas zu schrille Stimme.

Schröder: "Die absolute Beobachtung des Privaten in allen Bereichen wird dazu führen, dass man immer weniger politischen Nachwuchs findet, weil die Leute sagen, der Preis ist mir zu hoch. Am Anfang, um bekannt zu werden, reichst du die Hand, klar. Aber dann merkst du, dass dir der Arm ausgerissen wird."

Grass: "Man sagt ja immer so: Früher war alles besser, aber es gibt schon ein paar Belege dafür."

Grass sagt auch: "Freund, du bist zu früh gegangen."

Man spricht weiter über: den tapferen Kurt Beck und darüber, wie manche Politiker völlig in der Versenkung verschwinden. Ernst Albrecht, Schröders Vorgänger als niedersächsischer Ministerpräsident, zum Beispiel, den kennt doch heute niemand mehr.

Gespräch mit Günter Grass

"An welche literarische Figur erinnert Sie Gerhard Schröder?"

"Er hat was von den drei Musketieren."

"Welcher von denen?"

"Das kann ich Ihnen nicht sagen."

"Sie sind Freunde?"

"Ja, das kann man so formulieren."

"Was bedeutet das? Würden Sie ihn anrufen, wenn Sie Liebeskummer hätten?"

Schweigen.

Schweigen.

Pfeife stopfen."

Das ist eine absurde Idee."

Grass sieht unzufrieden aus.

"Was bedeutet es dann?"

"Damals, als ich nach der Veröffentlichung meines Buchs 'Beim Häuten der Zwiebel' so hart angegriffen wurde, hat mich das sehr verletzt."

Grass hatte dort erstmals zugegeben, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein.Er sagt: "Schröder stand von Anfang an auf meiner Seite. Er sagte: 'Ich weiß, wie das ist, wenn die Medien einen durchs Dorf treiben. Glaub mir, das geht vorbei'."

Die Wochen danach

Helmut Schmidt lobt im "Zeit-Magazin", dass Schröder jemand war, der die Sprache der Bürger gesprochen habe. Schon wieder Carsten Maschmeyer: Er weist am 1. Mai Berichte zurück, er habe Schröder 1998 in seinem wichtigsten Wahlkampf mit einer möglicherweise illegalen anonymen Parteispende unterstützt. Der "Stern" beklagt erneut Schröders schnelle Vergoldung seines Adressbuchs: Hatte Schröder, Duzfreund Wladimir Putins, nicht, kurz bevor er die Kanzlerschaft verlor, das Gasprojekt Russlands forciert, das den Bau einer Pipeline zwischen Russland und Deutschland vorsieht? Und wurde er nicht dann innerhalb weniger Monate Aufsichtsratschef ebendieses Projekts?

5. Mai, Hannover-Düsseldorf

Frage: Ronald Pofalla hat mal gesagt, Schröder gehe es nicht ums Gas, es gehe ihm um die Kohle. Ist das so? Schröder: Ich finde das kleinkariert.

Er wird heute eine Rede halten, bei der 67. Bankwirtschaftlichen Tagung des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken in Düsseldorf.

"Na, dann schaun wir mal, was der Alfons heute so für mich gekocht hat."Die Bedienung im Bordrestaurant kichert. Schröder lacht, Kopf leicht nach oben, das typische Schröder-Lachen. Müsste man eine Unterhaltung mit Schröder wie "Peter und der Wolf" vertonen, Schröder wäre die Pauke.

1999 hatte Bodo Hombach als Chef des Bundeskanzleramts aufgehört, heute ist er Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe. Hombach sagt, ein echter Schröder-Klassiker sei Folgendes: Irgendwann, an einem sonnigen Tag, ging er, Hombach, in Berlin Unter den Linden entlang. Da hörte er auf einmal: "Hallo, Dicker, komm mal." Schröder saß mit Sigmar Gabriel im Café und hatte ihn gerufen. Er schrieb gerade an seinen Memoiren. Er sagte: "Du, ich hab' grade für mein Buch das Schröder-Blair-Papier gelesen, das ist ja unglaublich, das ist ja doll, kannst du mir dazu nicht mal was aufschreiben?"

Schröder spricht gern über früher. Zum Beispiel, dass die beste Zeit seines politischen Lebens der Sommer 2000 gewesen sei, ein Sommer, der völlig entspannt gewesen sei, die wirtschaftlichen Daten seien gut gewesen, in den Zeitungen seien Artikel erschienen, die hießen "Gerd im Glück". Oder er erzählt, dass er nie wieder ein Wort mit Oskar Lafontaine gesprochen habe, nachdem der alles hingeschmissen hatte - oder von Schröder rausgemobbt wurde, je nachdem, aus wessen Perspektive man das betrachtet. Lafontaine und Schröder, eines der großen gescheiterten Projekte, Geschäftsbeziehungen wie Freundschaften aussehen zu lassen. Man sieht Schröder an, dass ihm das nicht vollkommen egal ist. Als Lafontaine 2009 an Krebs erkrankte, sagt Schröder, habe er daran gedacht, sich bei ihm zu melden. Aber Freunde aus der Partei haben ihm abgeraten. Und dann hat er es nicht getan.Wenn man mit Schröder spricht, gibt es zwei Gesichtsausdrücke: einen ernsten, der ankündigt, dass gleich eine Floskel kommen wird, oder etwas, das ihm wirklich wichtig ist. Und das Schröder-Lächeln, das sagt: Hören Sie doch auf zu wühlen, da ist nichts.

Den ernsten bekommt man bei Fragen zur Politik. Wie kam diese Entscheidung zustande, wie jene? Wie war das mit der Agenda 2010? Hat Maschmeyer nun gespendet? Wie ist das mit den Menschenrechten in Russland? Man kann ihn eigentlich alles fragen, er wird nie böse oder ungehalten. Was man erfährt: alles, was man schon wusste. Oder: nichts.Man weiß vielleicht nicht genau, was in Schröder drinsteckt, aber was aus ihm rauskommt, weiß man seit Jahren.

Gesichtsausdruck zwei, den spöttischen, bekommt man bei Fragen zum Innenleben. Fragen Sie doch? Schauen Sie, ich halt' Ihnen die Wange hin. Schlagen Sie doch genau dahin. Soll ich noch ein Kreuz machen?

Einschmeicheln?

Bringt nichts.

Womit soll man jemanden locken, der schon alles hatte, was er wollte, um es dann wieder zu verlieren?

Gespräch über das Erinnern.

Ich: "Mein Vater hat früher die Geschichte erzählt, dass er als Schüler in der Nachkriegszeit nur eine Hose besaß."

Schröder: "Ich kenne Ihren Vater nicht. Aber vielleicht war die Zeit, in der er nur eine Hose hatte, weniger lange, oder er hatte noch eine zweite, hat sich aber für die andere geschämt. Er braucht die Geschichte vielleicht, um diese Zeit anderen verständlich zu machen. Das finde ich auch legitim."

"Und Ihre Geschichte mit dem Fensterkitt, die in Ihrer Biografie steht. Dass Sie ihn vor lauter Hunger gegessen haben?""Auch das ist ein Bild, das etwas verdeutlicht und jeder leicht versteht. Es meint das Gleiche wie die Hose Ihres Vaters."

Es gibt diese Momente mit Schröder, in denen man sich ihm ganz nah fühlt, als könne man ihn auch zu seinem eigenen Geburtstag einladen. Und als würde er auch kommen.Es war ein langer Tag in Düsseldorf für die "700 genossenschaftlichen Primärbanker und Vertreter der genossenschaftlichen FinanzGruppe": Schon um neun Uhr morgens wurde über "Bankwirtschaftliche Zukunftsfragen" gesprochen, am Tag zuvor wurden bereits "Aktuelle Entwicklungen an den Geld- und Kapitalmärkten" diskutiert, um nur die absoluten Höhepunkte zu nennen. Nun also Schröder, der nicht über Geld spricht, sondern über: "Erfolgsfaktor Führung in Politik und Wirtschaft".

Er wird dann vorgestellt als jemand, der gar nicht vorgestellt werden muss.Schröder hält eine Rede, wie er immer Reden gehalten hat: eine Hand in der Tasche, die andere gestikuliert. Brille aufsetzen, Brille absetzen. "Ich weiß sehr genau, worüber ich rede in dem Zusammenhang."

Gerade über das Projekt seines Lebens. Zur Zeit der Agenda 2010 seien die vielen positiven Folgen eben noch nicht eingetreten, sagt er dort auf der Bühne, aber die Schmerzen, die seien da gewesen - und die wurden eben abgestraft. Aber die Agenda sei eben jetzt mitverantwortlich, dass wir, also Deutschland, so gut dastünden in der Finanzkrise.Es gibt ein Bild, Schröders Freund, der inzwischen gestorbene Jörg Immendorff, hat es gemalt. Es hängt in der Ahnengalerie des Kanzleramts: Neben Kohl, der auf seinem Bild eine etwas schmutzig wirkende blaue Jacke trägt, glänzt Schröders Gesicht ganz in Gold. Viel Interpretationsspielraum gibt es da nicht.Die Sensation, dass der Altbundeskanzler spricht, hält heute in Düsseldorf etwa fünf Minuten an. Dann muss der Erste zur Toilette.

Die Wochen danach

Am 18. Mai sagt Schröder, dass Peer Steinbrück sein Kanzlerkandidat der Wahl sei, es sei aber natürlich Sache von Gabriel, den Bewerber vorzuschlagen, den er für richtig halte. Im Kirch-Prozess will Schröder die Aussage verweigern. Er sollte helfen, eine mögliche Mitverantwortung der Deutschen Bank an der Pleite des Medienimperiums aufzuklären. Schröder wird als mögliches Aufsichtsratsmitglied bei Gazprom gehandelt. In Washington wird er am 11. Mai zu den Menschenrechten in Russland befragt, und sagt: "Wollen wir warten, bis Russland eine Demokratie geworden ist, oder wollen wir vorher auf sie zugehen?" Paul Kirchhof legt erneut, wie schon 2005, ein einfaches Steuerkonzept vor. Fast alle Zeitungen nennen ihn den "Professor aus Heidelberg", wie Schröder ihn im Wahlkampf getauft hatte.

Berlin, Schröders Büro

Frage: Was tut man, wenn man nicht weinen will?Schröder: Brille aufsetzen.

Gerhard Schröder hat angenehme Hände. Seine Rechte ist wie gemacht, um die Hand eines anderen zu drücken, als sei sie von dem millionenfachen Schütteln in die ideale Schüttel-Form gepresst worden. Im Aschenbecher des Berliner Büros, das jedem Altkanzler zusteht, glimmt eine Zigarre vor sich hin, mit der er sich seit Jahren nicht mehr dort zeigt, wo man ihn damit filmen oder fotografieren könnte. Brioni-Anzüge trägt er auch keine mehr.Er war 61 Jahre alt, als seine Zeit als Kanzler endete. Irgendwie zu jung, um Elder Statesman zu sein, zu sehr Schröder, um erst mal gar nichts zu sein. Er hatte doch nie mehr als eine Grippe gehabt, sein ganzes Berufsleben lang. Kann man da schon müde sein?Vielleicht muss man, um das neue Leben Gerhard Schröders verstehen zu können, seinen letzten wirklich großen Auftritt des alten Lebens ansehen. Er hat ihn in seiner Biografie ausgespart und auch sonst nicht darüber geredet, denn es ist einer dieser Momente, der Millionen Zuschauer bei "Big Brother" dazu bringt, "Big Brother" zu sehen: der Moment, in dem sich endlich mal jemand entblößt.Man muss ihn überreden, damit er sich das ansieht.

Am 18. September 2005, nachdem Schröder Neuwahlen herbeigeführt hatte, nachdem die Mehrheit im Bundesrat verloren gegangen war, verlor die SPD knapp die Bundestagswahl - obwohl sie in den Wochen und Monaten zuvor sensationell aufgeholt hatte.Und dann, im Fernsehen, die Elefantenrunde, die Sendung, in der die Spitzenkandidaten der Parteien entweder versuchen, den Schaden zu begrenzen, oder aber ihren Sieg feiern. Gerhard Schröder betrat den Raum wie der Herrscher in "Des Kaisers neue Kleider", und alle sahen ihn an, als hätte er gar nichts an: die verdatterte Angela Merkel, der empörte Guido Westerwelle, der nur zum Abendessen wollende Joschka Fischer, die Moderatoren Hartmann von der Tann und Nikolaus Brender.Schröder und ich sehen den inzwischen legendären YouTube-Clip.

Brender: "Herr Bundeskanzler ..."Schröder: (fällt ihm ins Wort) "Ist ja schön, dass Sie mich noch Kanzler nennen."

Schröder sitzt in seinem Sessel, nach vorn gebeugt, die Unterarme liegen auf den Knien. Das Laptop liegt vor ihm, auf dem Tisch. Er spricht mit, tonlos.

Ich frage, ob ihm das peinlich sei.

Keine Antwort.

Merkels verdattertes Gesicht ist im Bild.

Schröder lacht.

Westerwelle sagt im Clip: "Ich bin zwar jünger als Sie, Herr Bundeskanzler, aber nicht blöder."

Schröder lacht noch lauter.

Und am lautesten lacht er, als er sich selbst sagen hört: "Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, indem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden. Also, ich meine, wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen."

Das war der Moment, in dem Schröders Lebens als Staatsmann endete.

Er sagt: "Ist doch irgendwie auch 'ne Kultsendung, oder?"

Er sagt, dass es so gewesen sei: Es sei falsch, dass er die Information gehabt habe, es hätte noch einen Swing geben können zugunsten der SPD. Er sagt, er habe im Prinzip gewusst: Das isses gewesen. Die hatten ein Prozent mehr, das war klar, dass sie es nutzen würden. Er sagt auch, er sei ungeheuer erleichtert gewesen, dass das Wahlergebnis noch so gut war für seine Partei, nach allem, was war.

Er sagt, er wollte eigentlich nicht in die Sendung gehen, ging aber dann doch, denn Müntefering wollte auch nicht und Clement war nicht erreichbar.

Dann saß er doch da. Und dachte: "Jetzt ist es aus mit der Diplomatie, jetzt wollen wir doch mal sehen, was hier los ist."

Viele spekulierten damals, er habe getrunken.

Ich: "Sie wollten quasi den Stinkefinger zeigen?"

Schröder: "So würde ich selbst es nicht sagen. Ich hatte gekämpft gegen die ganze Truppe da. Und gerade diese beiden, der Brender und der Tann, fingen die ganze Zeit an von Niederlagen zu reden. Das fand ich unverschämt und hab' dann entsprechend geantwortet.""Und was hätte man taktisch machen müssen?"

"Man hätte eigentlich sagen müssen: Wissen Sie, wir haben ein Ergebnis erreicht, mit dem keiner mehr gerechnet hatte, und Frau Merkel hat etwas mehr Stimmen und nun muss sie sehen, wie sie eine Regierung bilden kann. Ein bescheidenerer Auftritt wäre besser gewesen. Aber den wollte ich damals nicht."

"Ohne an die Konsequenzen zu denken?"

"Immer in dem Bewusstsein: Das kannst du dir jetzt auch leisten. Das ist die letzte Schlacht."

Gerhard Schröder ist niemand, der ein Schachspiel lustlos bis zum Ende durchzieht, wenn er weiß, dass er in vier Zügen matt ist. Er fegt einfach alles vom Brett. Und will gleich noch mal spielen.

Er hat jetzt einen neuen Terminkalender, mit meist freien Wochenenden, aber immer noch mit Reden, Besprechungen, Konferenzen, Telefonaten, Reisen zu Staatschefs oder Kongressen, Kranzniederlegungen, SPD-Jubiläen. Er hat erst seine Memoiren geschrieben und auch Englischunterricht genommen, schließlich würde im neuen Leben nicht immer ein Dolmetscher dabei sein. Danach hat er sich neu aufgestellt, mit den Jobs. Den Deal mit Ringier hat er angeblich schon in der Wahlnacht besprochen. Nur ein paar Monate später hat ihn Putin angerufen, am Vorabend eines Kongresses, den Schröder besuchen wollte, und auf dem Merkel schon als neue Kanzlerin sprach.

Schröder sagt, Putin habe ihn gefragt, nachdem er das Angebot schon abgelehnt hatte. Putin fragte: Hast du auch schon Angst, mit uns zu arbeiten? Und Schröder sagte: Nein, habe ich nicht.

Man kann sich ungefähr vorstellen, was Putin dachte, als er den Hörer auflegte: Wir haben ein goldenes Türschild in Deutschland. Einen Altkanzler, der dafür sorgt, dass das Gas strömt.

Schröder sagt, Geld sei auch eine Form von Anerkennung.

Andere sagen, er habe sich kaufen lassen.

Damals nachdem er den Pipeline-Job angenommen hatte, sagt Schröder, da hätten sich plötzlich alle zu Wort gemeldet, hätten gesagt, das gehöre sich nicht, Westerwelle und andere. Das stand ja in allen Zeitungen damals. Doch die Attacken, sagt Schröder, die haben letztendlich nur geholfen; geholfen, dass er nicht in ein Loch fällt - "Da wird ja wieder Adrenalin produziert."

Zu Pipeline-Terminen nimmt er mich natürlich nicht mit.

Schröder traf Irans Präsident Ahmadinedschad und weigerte sich danach, Genaueres zum Inhalt der Unterredung zu sagen. In China sagte er, dass ihn die Politik der Bundesregierung "nicht glücklich" mache. Dass Merkel den Dalai Lama empfangen hat, sei ein Fehler gewesen.

Wie soll man, wenn man sich sein Leben lang für ein Raubtier hielt, plötzlich Rentner sein?Ich: "Sie sehen am glücklichsten aus, wenn Sie eine Rede halten."Schröder: "Ich finde, ich sehe sonst auch nicht unglücklich aus.""Das meine ich nicht."

"Sie meinen, ich bin wie der berühmte Zirkusgaul. Wenn der die Trompete hört, fängt der an zu traben."

Später

Am Abend ist er Redner bei einem SPD-Empfang. Ein Raum voller Journalisten, für die Partei nützliche Leute und Genossen. Schröder, der einst die Partei etwas mehr in Richtung Mitte geschoben hatte, als vielen lieb war, ist hier wahrscheinlich genauso unbeliebt wie beliebt. Wahrscheinlich denkt die eine Hälfte im Raum, dass er die Partei geschwächt hat - und die andere, dass ohne ihn immer noch Kohl regieren würde. Helmut Schmidt lieben inzwischen alle. Schröder liebt, wer schon immer Schröder geliebt hat.

Heute ist er der Redner, nach dem dann das Buffet drankommt, das heißt, er muss gut sein und sich kurzfassen. Schon wieder hat man an diesem Abend den Eindruck, dass alles in der Politik Kreisläufen folgt: Man muss nur lange genug warten, um wieder recht zu haben. War der Ausstieg aus der Atomenergie nicht eine rot-grüne Idee, fragt er den Saal, und ist es nicht nett, dass die aktuelle Regierung nun einsieht, dass sie auch umgesetzt werden muss? Verhaltenes Gelächter. "Und daher, meine Damen und Herren, sage ich Ihnen, es gibt nur eine Lösung für die Energiefragen der Zukunft - und die heißt: Gas!"

Riesenlacher! Er macht eine Pause.

Und sagt leise: "Das sage ich Ihnen natürlich ohne jeden Hintergedanken."

Riesenlacher! Riesenlacher! Riesenlacher!

Schröder lacht nicht, das tun schon die anderen.

Er lächelt.