Rache ist bitter

Von Thomas Steinmann

Mit der Rettung der Banken gewinnt die Politik die Oberhand über die Wirtschaft zurück. Zugleich begibt sich der Staat jedoch in neue Abhängigkeiten –  gegenüber den Bürgern

Allein schon der Name ist für die Herren der Hochfinanz eine Demütigung: Finanzmarktstabilisierungsanstalt hat die Bundesregierung die neue Behörde genannt, die die Milliarden aus dem Rettungsfonds für die Finanzbranche verwalten soll. Der Name klingt, als hätten ihn seine Erfinder so bürokratisch formuliert wie nur irgend möglich, um eine für die Finanzmanager erniedrigende Tatsache zu unterstreichen: Ohne Staat, ohne Bürokratie, ohne Anstalt gibt es in diesen Tagen keine Stabilität auf den internationalen Finanzmärkten.

Doch es ist nicht allein dieser Begriff, der sich wie die Rache des Staates an den einst übermächtigen Herren des Geldes anhört. Auch die Vehemenz, mit der viele seiner Vertreter jetzt über den Deutsche-Bank-Chef herfallen, lässt sich nur mit dem Motiv Rache erklären. Kaum ein Politiker bemüht sich derzeit zu verbergen, mit welcher Genugtuung er den Kniefall des Turbokapitalismus vor dem Staat beobachtet – einem Staat, den die Finanzjongleure nur noch als schwächlichen Sparringspartner belächelten, während es im Wettkampf gegen ganz andere Kaliber ging.

Minister, Abgeordnete, hohe Ministerialbeamte und Bundesbanker, sie alle erwecken den Eindruck, dass der Staat plötzlich vor Kraft kaum laufen kann. So menschlich diese Reaktion der staatlichen Akteure ist, für den Staat selbst ist die Rehabilitierung gegenüber der mächtigen Finanzindustrie ein bitterer Sieg. Zwar führen die lebensrettenden Maßnahmen der Politik für die Banken zu einer Emanzipation von der Wirtschaft. Zugleich aber begibt sich der Staat mit den sagenhaften Milliardenbeträgen in neue Abhängigkeiten, die seine Handlungsspielräume begrenzen – und zwar gegenüber den Bürgern.

Die Rettungsschirme aus Steuermilliarden für die Finanzbranche haben für die Politik einen unangenehmen Nebeneffekt: Sie sind eine Steilvorlage für Populisten. Sicherlich bemüht sich Kanzlerin Angela Merkel nach Kräften zu erklären, der Zweck der Rettungsoperation sei nicht der Schutz von Bankinteressen. Weit konkreter und daher für viele plausibler klingt dagegen die Sichtweise von Klaus Franz. Der Gesamtbetriebsratschef von General Motors Europe erntet in Talkshows den Applaus des Publikums mit der Klage, die Politik werfe die Milliarden den Bankern "in den Rachen" – und lasse die Arbeitnehmer allein, wenn sie für eine gerechte Lohnsteigerung von acht Prozent kämpfen.

Die Politik steht vor der zentralen Aufgabe, dem Gefühl entgegenzutreten, dass Opel-Arbeiter und andere Arbeitnehmer die Zeche für gierige Bankmanager zahlen müssen. Scheitert sie dabei, droht sich die Finanzkrise zu einer Krise des politischen Systems auszuwachsen. Das Problem ist nur: Das Gefühl, dass es bei der Bankenrettung im weitesten Sinne gerecht zugeht, lässt sich nicht erzeugen, indem der Staat die Gehälter von Bankmanagern auf 500 000 Euro begrenzt. Selbst dieser Betrag ist für Opel-Arbeiter immer noch von einem anderen Stern.

Gerecht zugehen wird es nach dem Eindruck der Bürger erst, wenn die Politik auch für sie Rettungsschirme gegen die Krise der Realwirtschaft aufspannt. Dazu passt es jedoch nicht, wenn viele Arbeitnehmer infolge der Gesundheitsreform zum Jahreswechsel deutlich mehr für ihre Krankenversicherung bezahlen müssen. Dazu passt auch keine Lohnzurückhaltung in der laufenden Tarifrunde, nachdem viele Beschäftigte kaum etwas vom zurückliegenden Aufschwung gespürt haben. Und dazu passt erst recht keine Verzichtsrhetorik im jetzigen Abschwung, kein Ruf nach weiteren Reformen, weniger Kündigungsschutz, mehr Eigenverantwortung und privater Vorsorge. Nach mehr Markt und weniger Staat.

Um die Unterstützung der Bürger zu gewinnen, wird ihnen die Politik beweisen müssen, dass sie sie nicht mit einer Kindergelderhöhung von 10 Euro abspeist, während sie Milliarden in die Banken pumpt. Das Fatale daran ist, dass dem Staat die neu gewonnenen Spielräume gegenüber der Finanzwirtschaft dabei nicht einen Euro zusätzlich einbringen. Selbst wenn nach dem Offenbarungseid der Bankmanager die Politik derzeit am längeren Hebel sitzt – auch die schärfste Regulierung führt nicht zu höheren staatlichen Einnahmen. Im Gegenteil: Wenn die Banken künftig weniger Risiko eingehen dürfen, sinken mit den Renditen auch die Gewinnsteuern.

Gefährlich ist dieses Dilemma der Politik zum jetzigen Zeitpunkt in doppelter Hinsicht. Zum einen befindet sich Deutschland mitten im Abschwung. Sollte sich dieser zu einer schweren Rezession auswachsen, wird es für die Regierung noch schwerer als in früheren Abschwüngen, den Bürgern die Option "Sparen und verzichten" zu verordnen. Das gilt zum Zweiten ganz besonders, weil das Land vor einem Wahljahr steht. Die Gefahr ist groß, dass sich die Parteien ungeachtet der finsteren Konjunkturaussichten mit teuren Versprechen überbieten, um zu zeigen, dass sie vor lauter Bankenrettung "die da unten" nicht vergessen. Die Folge wäre die Rückkehr zu einer Verschuldungspolitik zulasten nachfolgender Generationen.

Die neue Stärke des Staats darf aber nicht dazu führen, alte Fehler zu wiederholen.

Erschienen in: „Financial Times Deutschland“ am 21. Oktober 2008