„Glaubwürdiger Journalismus ist unser höchstes Gut“

dpa-Interview von Sven Gösmann und Anna Ringle

Es sind reichlich Themen, die die neue BDZV-Spitze auf der Agenda hat. Gemeinsam mit einem starken Verband gilt es, entscheidende Weichenstellungen für eine erfolgreiche Branchenzukunft zu treffen. Es geht um den Ausbau des Digitalgeschäfts, den Umgang mit KI, die staatliche Presseförderung und das Verhältnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein dpa-Interview zur aktuellen Lage.

BDZV/Zumbansen Stefan Hilscher, Sigrun Albert, Matthias Ditzen-Blanke (v. li.).

dpa: Drei sind einer zu viel - sagt man. Mit der neuen Führungsstruktur entscheiden beim BDZV nun drei Vorstandsmitglieder das, was früher ein Präsident regelte. Das klingt nach einer anstrengenden Zeit und viel Dissens...

Matthias Ditzen-Blanke: Klingt nach dem Ringen für die besten Ergebnisse der Branche. Unsere Aufgabe ist es, die Geschäftsstelle mit dem, was wir aus den Unternehmen und Verlagen wissen, zu stärken und damit in einer intensiven Diskussion die Rahmenbedingungen zu setzen, die wir als Branche brauchen. Der Vorstand bildet den Querschnitt der Mitgliedschaft ab, von kleineren und mittleren Verlagen bis in die großen Verlagsgruppen.

Stefan Hilscher: Der geschäftsführende Vorstand besteht aus uns dreien plus den Ressortvorständen. Mit diesen werden Kompetenzen wie beispielsweise Journalismus, Recht und Innovation hervorgehoben.

Sigrun Albert: Wir wollen auch weg von diesem Blick der Öffentlichkeit auf eine Person, was eigentlich zur Idee eines Verbands nicht so passt. Dort geht es darum, Konsens gemeinsam zu finden und nicht einen Star zu haben, der für alle alles bestimmt.

Wenn der Bundeskanzler was von Ihnen will - wen ruft er dann an?

Hilscher: Er ruft sicherlich bei Sigrun Albert an.

Albert: Die Telefonnummer ist natürlich die der Geschäftsstelle.

Krach unter Verbandsmitgliedern, der vorzeitige Weggang von Verbandspräsident und Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner nach Kritik an ihm rund um die Julian-Reichelt-Affäre, und es gab Austritte von Verlagshäusern: Wie stark leidet gerade das Image des Zeitungsverlegerverbands?

Hilscher: Es leidet nicht mehr, weil wir eines vermitteln: Dass es einen Aufbruch nach vorne in die Zukunft gibt. Dieser Verband hat Lust auf Zukunft. Und natürlich wollen wir versuchen, möglichst viele Mitglieder wieder für uns zu gewinnen.

Rechnen Sie damit, dass noch mehr Medienhäuser aus Ihrem Verband austreten? Liegen aktuell Kündigungen vor?

Ditzen-Blanke: Nein.

Albert: Es liegt nichts vor. Wir arbeiten daran, intensiver mit unseren Mitgliedern in Kontakt zu sein und insbesondere so viel Kundennutzen zu schaffen, dass nicht mehr jemand austreten möchte und dass Ausgetretene wieder so stark begeistert werden, dass sie zurückkommen.

Die Demokratie ist herausgefordert wie lange nicht, welchen Beitrag können Sie mit den Verlagen leisten, sie zu erhalten?

Hilscher: Indem wir unser allerwichtigstes Gut immer wieder hervorheben. Das ist glaubwürdiger und herausragender Journalismus, lokal, regional, national und international.

Wenn man die Verlagsbranche als Mitarbeiter oder Berichterstatter beobachtet, fällt auf, dass eine optimistische, positive Ausstrahlung noch ausgebaut werden könnte. Zuletzt gab es Themen wie diese: Die Zeitungszustellung wird in einer Region in Thüringen eingestellt. Wird es in Deutschland Nachrichtenwüsten wie in den USA geben?

Hilscher: Nein, die wird es dann nicht geben, wenn wir es schaffen, dort digitale Angebote zu etablieren. Das ist aber eine wirklich große Herausforderung.

Ditzen-Blanke: Zum Optimismus: Das Gros unserer Mitglieder hat sich unlängst auf die Reise gemacht. Unser Verband vertritt Mitglieder, die mittlerweile 2.000 digitale Angebote im Markt haben, die mehr als eine Milliarde Umsatz generieren. Natürlich haben wir eine wesentliche Herausforderung bezogen auf unsere Distributionsmodelle. Sie müssen sich vor Augen führen, dass im letzten Jahr alleine die Zustellkosten aufgrund der Mindestlohnthematik um 30 Prozent gestiegen sind. Das heißt von 9,60 Euro auf 12 Euro in einer Zeit, wo wir parallel die Situation hatten, dass durch Energie und Rohstoffpreise unsere Druckkosten wesentlich gestiegen sind. Zudem hatten wir gleichermaßen eine Sensibilität bei unseren Lesern, was Kostenentwicklung angeht. Das hat erstmalig dazu geführt, dass wir mit negativen Umsatzerlösen auf der Vertriebsseite arbeiten mussten. Der Optimismus ist, dass unsere Mitglieder in Journalisten investieren und in Technologie.

Albert: Es wird gerne auch eher der pessimistische Blick in der Berichterstattung aufgenommen. Wir hatten zum Beispiel im letzten Jahr eine ganz großartige Nachricht: Wir haben zum ersten Mal die gerade genannte Milliarde Digital-Umsatz in unserer Branche erreicht. Leider werden solche guten Botschaften häufig nicht so intensiv diskutiert wie weniger positive.

Warum haben Sie es noch nicht hinbekommen, die Zustellförderung vom Bund zu erhalten?

Ditzen-Blanke: Es gibt die klare Willensbekundung, dass es eine Zustellförderung geben soll. Das ist das Anliegen von Bundeskanzler Olaf Scholz. Im Moment ist es fraglich, welches Ministerium sich dafür einsetzt.

Hilscher: Wir stellen als Branche fest, dass in anderen europäischen Ländern die Wertschätzung der Medien eine völlig andere ist. Es gibt in einer ganzen Reihe von europäischen Ländern inzwischen null Prozent Mehrwertsteuer auf Presseprodukte. Das gilt nicht nur für die Tageszeitung, das betrifft dann meist auch die Zeitschriften. In manchen Ländern sind es auch zwei Prozent, aber nicht sieben Prozent wie in Deutschland. Und es gibt häufig noch weitergehende Förderungen in anderen Ländern. Wir werden das auch von unserer Politik einfordern.

War das ein Wunschkatalog?

Hilscher: Das ist sicherlich ein Wunschkatalog, aber das ist auch ein Thema der Wertschätzung eines Mediums, das wesentlich ist für unsere Demokratie.

Albert: Wir erwarten, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit auch im europäischen Kontext wieder herstellen, die einfach nicht mehr in der Form gegeben ist.

Das heißt, Sie fordern null Prozent Mehrwertsteuer?

Ditzen-Blanke: Wenn wir es uns wünschen könnten, ja.

Hilscher: Ja. Und die Zustellförderung muss jetzt unmittelbar kommen. Das Weitergehende ist die null Prozent Mehrwertsteuer.

Zurzeit gibt es wieder vermehrt Streit zwischen Verlagen und der ARD darum, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu viele Texte auf seinen Webseiten hat und Konkurrent von privaten Medienhäusern wird, die keinen Rundfunkbeitrag bekommen...

Hilscher: Die öffentlich-rechtlichen Häuser sind wichtig für das Thema Demokratie und Journalismus. Aber was wir nicht akzeptieren können, ist, dass die Angebote der Öffentlich-Rechtlichen im Digitalen so was von textbasiert sind und damit wie ein Nachrichtenauftritt einer Tageszeitung daherkommen. Wir haben eine ganz frische Studie. Und die besagt, dass tatsächlich Videos nur von 39 Prozent der Nutzer genutzt werden, aber 62 Prozent die textbasierten Angebote der Öffentlich-Rechtlichen konsumieren.

Ditzen-Blanke: Und wir haben den Wirkungsverstärker über die Tech-Unternehmen, sei es Google oder Facebook. Letztendlich brauchen die Öffentlich-Rechtlichen Text, um eine Relevanz darüber zu erzeugen, und sie generieren dann ein Reichweiten-Modell. Davon haben sich die Verlage unlängst verabschiedet. Wir müssen und wollen unseren wertvollen Inhalt über
bezahlte Modelle refinanzieren und stehen also einem Reichweiten-Modell der Öffentlich-Rechtlichen, verstärkt durch die Big-Tech-Unternehmen, gegenüber.

Werden Sie weiter gegen die ARD vor Gericht ziehen?

Albert: Gerichtsverfahren sind leider manchmal nötig. Aber nein, wir haben jetzt keinen Schlachtplan, wo wir überall auch noch die ARD verklagen wollen. Wir werden aber den Dialog mit den Bundesländern suchen und diskutieren, mit welchen Regeln der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht weiter die Pressevielfalt gefährdet. Und wir sprechen mit unseren Partnerverbänden in der EU über öffentlich-rechtliche Angebote im Licht des EU-Beihilferechts.

Wenn man über Bedrohung und Nichtnutzungsverhalten traditioneller Medien spricht, redet man viel über Social Media und Suchmaschinen. Was muss die Politik, neben dem, was sie auf europäischer Ebene an Regulierung gemacht hat, tun, um Ihr Geschäft und auch die Demokratie zu verteidigen?

Ditzen-Blanke: Im Kern geht es um die Barrierefreiheit für unsere Inhalte. Das heißt insbesondere, regulatorisch mit Blick auf
die Gatekeeper-Funktion dieser Plattformen einzuwirken. Und gleichermaßen kann Politik dazu beitragen, in den Dialog mit uns klassischen Medienanbietern darüber zu treten, wie eine Plattform aussehen kann, die nach vorne gerichtet ist und es gewährleistet, dass journalistisch wertvolle Inhalte auch die notwendige Reichweite und Sichtbarkeit bekommen.

Wie sehen Sie auf künstliche Intelligenz (KI) in den Medien?

Hilscher: KI hat viele Chancen. Aber es gibt natürlich auch große Sorgen mit Blick auf das Urheberrecht. Es kann nicht sein, dass Urheberrechte einfach verletzt werden. Das muss auch die Politik verstehen und dafür sorgen, dass wir zu einer Gesetzgebung kommen, die das berücksichtigt.

Was sind die Chancen? Es gibt ja die Befürchtung, dass Journalistinnen und Journalisten von Maschinen ersetzt werden ...

Hilscher: Also im Idealfall passiert dieses genau nicht, sondern ich nutze KI, um die Journalistinnen und Journalisten dort einzusetzen, wo ich sie brauche. Beim Thema Meinung ist der Mensch gefordert, das Wissen eines Menschen kann nicht mal eben eine KI ersetzen. Und um investigativ zu arbeiten, brauche ich Journalistinnen und Journalisten. Das kann KI definitiv nicht.

Ditzen-Blanke: Der Journalist stellt die kritischen Fragen, vernetzt die Themenkontexte und erschafft etwas Neues. Vielleicht liegt sogar in dem Diskurs der KI-Frage auch die Chance darin, unseren eigentlichen Auftrag stärker im Fokus zu haben. Es stärkt genau die Rolle, die uns ausmacht: Nämlich den Journalisten, der Fragen stellt, der Themen hineingibt, der die Agenda setzt und sich zum Anwalt des Lesers macht.

Sie alle drei haben sich entschieden, in den Medienjournalismus zu gehen. Warum soll eine 18-jährige Abiturientin in die Medien gehen?

Albert: WEil man einen Job mit Purpose hat - also mit einem wichtigen Zweck und einer tief verankerten Motivation - machen möchte. Weil man auch als 18-Jährige womöglich schon spürt, dass man einen gesellschaftlichen Beitrag leisten kann und gleichzeitig auch einen tollen Job hat. Und das spüre ich bei ganz vielen jungen Menschen, dass sie eben nicht nur gutes Geld verdienen, sondern auch einen Job haben wollen, der Purpose hat.