OMR-Festival: Take-aways aus Hamburg

Das jährliche OMR Festival in Hamburg ist eines der größten Digitalevents in Europa – über 800 Speaker, sechs Bühnen, rund 270 Masterclasses, 100 Side Events und eine Expo mit rund 1.000 Ausstellern. Am 7. und 8. Mai 2024 zogen 67.000 Besucherinnen und Besucher in die Hamburger Messehallen. Mit der Vielzahl an Experten aus Digitalwirtschaft, Medien, Marketing, Sport, Popkultur und Politik ist das Event einzigartig in seiner Art.

Publikum vor Bühne auf OMR Festival
BDZV/Holger Kansky

Auch dieses Jahr stand Künstliche Intelligenz im Mittelpunkt der OMR. Aleph-Alpha-Gründer Jonas Andrulis und Forscher Jürgen Schmidhuber gehören zu den führenden Köpfen im KI-Business weltweit. Im Gespräch mit Handelsblatt-Reporterin Larissa Holzki diskutierten der Unternehmer und der KI-Pionier die zentralen Fragen hinter dem derzeitigen Hype.

Für Blogger Sascha Lobo ist es erschreckend, wie wenig selbst die großen KI-Experten in die Zukunft voraussehen können. Er zitierte den KI-Chef von Meta und erklärte, dass dieser die Fähigkeiten einer KI komplett falsch eingeschätzt habe. Tatsächlich zeigte sich elf Monate nach seiner Einschätzung genau das Gegenteil. Lobo wies auf die Gefahr für Deutschland hin, als Wirtschaftsstandort den Anschluss zu verpassen. Während Länder wie China und Amerika auf Performance und Effizienz setzten, versuche Europa, Regulierungsweltmeister zu werden.

Miriam Meckel und Léa Steinacker erläuterten, wieso Mensch und KI sich nicht ausschließen, sondern voneinander profitieren können. In Bezug auf Diversität und Gleichberechtigung müsse allerdings darauf geachtet werden, dass KI-Tools nicht die Realitäten verzerren. Mit Ada Learning haben die KI-Expertinnen eine Plattform aufgebaut, die Firmen bei der Transformation helfen soll.

Die Besorgnis über Fake News und Desinformationen war in vielen Diskussionen spürbar. In Zeiten von KI und immer ausgereifteren Deep Fakes ist es fast unmöglich zu erkennen, ob Fotos, Videos oder Audio authentisch sind oder pure Fiktion und Propaganda. Immer häufiger werden gefakte Inhalte über die sozialen Netzwerke ausgespielt. Deswegen sei es für die Tagesschau wichtig, mit seriösen Inhalten auf Drittplattformen präsent zu sein. „Wir wollen auf Augenhöhe da sein und den Nutzern Halt bieten in der Flut der Desinformation und Fake-Inhalten“, sagte Begüm Düzgün, Social Media Presenterin bei der tagesschau.

ARD und ZDF waren bei der OMR so präsent wie nie zuvor – gleichermaßen auf der Bühne und als Aussteller. ZDF-Intendant Norbert Himmler erzählte im Gespräch mit Sascha Lobo, mit welchen Digitalstrategien das ZDF in die Zukunft gehen möchte. „Wir müssen die Kompetenz haben, Fake News und Fake Reality zu erkennen und rechtzeitig davor zu warnen. Das sei eine riesige Herausforderung, sagte Norbert Himmler.

Das OMR-Festival war in diesem Jahr politischer als in den vergangenen Jahren. Erstmals waren zwei Bundesminister vor Ort: Wirtschaftsminister Robert Habeck sprach in seiner Eröffnungsrede über die politische Lage in Deutschland. Er wies auf die wachsende Gefahr für die Demokratie im Land durch Populisten und Radikale hin. Diese wollten „das Gemeinwesen infrage stellen – vielleicht zerstören.“

Die Fußball-EM im eigenen Land, Olympia in Paris, das Champions League-Finale mit deutscher Beteiligung: Das Supersportjahr 2024 spiegelte sich auch im gesamten Event-Programm der OMR wider. Philipp Lahm formulierte als Turnierdirektor seine Ziele und Visionen für die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Fußball-Weltmeister Benedikt Höwedes und Bastian Schweinsteiger stellten die TV-Doku „Wir Weltmeister“ vor.

Die Promi-Dichte nimmt bei der OMR von Jahr zu Jahr zu. Besonders die Auftritte von Tokio Hotel und Kim Kardashian stachen heraus. Tokio Hotel betonte, dass sie sich mehr als Musiker denn als Influencer sehen. Sie sind jedoch offen für langfristige Partnerschaften mit Marken, da es heutzutage schwer sei, allein mit Musik viel Geld zu verdienen. Kim Kardashian erklärte, wie sie ihre Reichweite monetarisiert, indem sie ein wachsendes Ökosystem um sich herum aufbaut.

Bahnbrechende Einsichten sind von den meist 25-minütigen Talks nicht unbedingt zu erwarten, eher Impulse und Denkanstöße. Für jeden Besucher ist es wichtig, sich vorher gut zu organisieren, um aus den vielen gleichzeitig laufenden Veranstaltungen die jeweils spannendsten auswählen zu können. Die Zusammenstellung der bevorzugten Programmpunkte fällt nicht immer leicht, denn die Titel klingen vielversprechend – und entpuppen sich dann nicht selten als PR-Veranstaltung.

Hier ein paar Take-aways:

The winner takes it all
Im letzten Jahr haben die großen Tech-Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook und Apple deutlich an Wert gewonnen. Besonders herausragend war jedoch Nvidia. Der US-amerikanische Chip-Hersteller hat dank des KI-Booms eine Marktkapitalisierung von zwei Billionen Euro erreicht. Chinesische Unternehmen wie Shein, Temu und TikTok haben ebenfalls stark zugelegt. Marc Zuckerberg verzeichnete mit seinem Unternehmen Meta trotz aller Schwanengesänge in den letzten zwölf Monaten einen Umsatzanstieg von 18 Milliarden Dollar, wovon 34 Prozent aus China stammen. Die Gewinne wurden an die Shareholder ausgeschüttet, statt sie in innovative Produkte und Ideen zu investieren.

Deutsche Tech-Unternehmen verlieren
Verlierer im Tech-Markt sind die Unternehmen, die in ihrem Segment nur die zweite Geige spielen. Insbesondere die Werte der deutschen Tech-Unternehmen stagnierten oder mussten Verluste hinnehmen. Zur Analyse der Börsenkurse und Marktkapitalisierungen hat das OMR-Team den German Internet Index (GIX) eingeführt, der aktuell einen Börsenwert von 42 Milliarden Euro hat. Im Vergleich dazu erreichen Apple, Google, Amazon und Meta zusammen einen Börsenwert von über 7 Billionen Euro, was fast 2 Billionen Euro mehr ist als im Vorjahr.

Buchclubs boomen
Buchclubs von Promis erfreuen sich in den sozialen Medien großer Beliebtheit und das Publikum bei der Leipziger Buchmesse war 2023 so jung wie nie – der Anteil der unter 30-Jährigen lag bei 49 Prozent. Besonders erfolgreich ist booktok, ein Format, bei dem TikToker ihre Lieblingsbücher bekannt machen und über das soziale Netzwerk vermarkten.

Masse oder Klasse?
Eine Auswirkung von KI ist die wachsende Content-Flut. Mithilfe der Technik lässt sich immer mehr in immer weniger Zeit erstellen. Was verlockend klingt, birgt ein großes Problem: Neben den effizienteren Prozessen entstehen auch immer mehr austauschbare Inhalte, die keine Wirkung erzielen. Von einer KI erstellte Texte und Bilder sind in manchen Bereichen fast schon Standard. Dadurch gehen allerdings oft auch Kreativität und Originalität verloren, Mittelmäßigkeit dominiert. Deshalb ist eine passende Positionierung der eigenen Marke immer wichtiger. Die Bedeutung von Positionierung wird durch KI zunehmen.

TikTok ist auch eine Suchmaschine
Philipp Westermeyer sieht TikTok nicht mehr nur als Social Media Plattform, sondern als Suchmaschine ähnlich wie Google. Einige Anbieter haben das bereits erkannt und positionieren sich dort mit Schlüsselbegriffen und Hashtags. Für TikTok Publisher gibt es mittlerweile Search Statistiken. Damit werden SEOs speziell bei TikTok wieder stark gefragt. Keywords in den Titles und in der Description, Hashtags sowie das Gesagte in den Videos reichen derzeit schon aus, um damit über die TikTok-Suche gefunden zu werden.

Mit „Signature Moves“ Reichweite aufbauen
Ein „Signature Move“ ist eine Bewegung, die typisch für eine bestimmte Person ist und sie kennzeichnet. Es handelt sich um eine Aktion, die oft mit einer bekannten Person verbunden ist. Wer in den sozialen Medien auffallen möchte, sollte solch eine charakteristische Geste parat haben. Schnelle und prägnante Moves können dabei helfen, schnell bekannt zu werden und Reichweite in den sozialen Medien zu gewinnen. Schon eine einfache, aber originelle Geste kann ausreichen, um zu einem persönlichen Markenzeichen zu werden. Ein bekanntes Beispiel ist das Duo „Siegfried & Joy“ mit ihrem goldenen „Verschwindevorhang“.

Wie werden GPT-Daten eigentlich zusammengesetzt?
Eine wichtige Datenquelle für das KI-Training ist Reddit, eine Online-Community, die hierzulande immer noch unterschätzt wird. Die Quellen für das KI-Training bestehen zu 82 Prozent von Websites, 13 Prozent Digital Books, 4 Prozent aus Reddit und 1 Prozent Wikipedia. Die Daten von Reddit werden aber zu 20 Prozent gewertet (60 Prozent Website, 15 Prozent Digital Books, 5 Prozent Wikipedia).

Authentizität wird zu Aufmerksamkeit
Warum sind Podcasts in Zeiten von Snackable Content eigentlich so erfolgreich? Weil man über Podcasts die Möglichkeit hat, authentisch und ehrlich seine eigene Meinung zu vermitteln – nicht vorgefiltert durch Regisseure oder andere Akteure.

Menschlicher Kontakt ist unersetzlich
Der Marketing-Professor Scott Galloway sieht die größte Gefahr durch KI in einer Vereinsamung der Gesellschaft. Das treffe besonders auf Männer in den USA zu: Einer von sieben Männern habe „keinen einzigen Freund“, Männer würden viermal häufiger Selbstmord begehen als Frauen. Sein Plädoyer: Jeder sollte wieder mehr auf den persönlichen Austausch setzen. Diese Begegnungen sind es, die Wissen bringen und Kreativität anregen. Wer wenig soziale Kontakte hat und seine Informationen Algorithmen-basiert bekommt, läuft auch eher Gefahr, Desinformation ausgesetzt zu sein.