Dürfen die das?

Expertenbeitrag von Benedikt Lauer

Die textlastigen Informationen auf den Internet-Portalen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks machen der Presse weiterhin Konkurrenz. Durch den Medienstaatsvertrag ist dieses durch Rundfunkgebühren finanzierte Angebot jedenfalls nicht gedeckt. Obwohl das Recht hier eindeutig ist, werden Grundprinzipien des verfassungsmäßigen Nebeneinanders von Rundfunk und Presse regelmäßig missachtet.

BDZV Pizza im Sushirestaurant – was soll das? So stellt sich unser Illustrator ein überflüssiges und aufgedrängtes Angebot vor. Nichts anderes stellen die textlastigen und gebührenfinanzierten Informationsangebote des öffentlich- rechtlichen Rundfunks aus Sicht des BDZV nämlich dar.

Die jüngste Änderung des Rundfunkauftrags hat leider nicht zu mehr Klarheit bei der Abgrenzung zwischen Presse und Rundfunk geführt.

Vor genau einem Jahr stand in relevant. zu lesen: „Die Öffentlich-Rechtlichen missachten die Presse.“ Dies schrieb David Koopmann, Verleger des Weser-Kuriers und Präsidiumsmitglied des BDZV. Dass hier Mitte des Jahres 2022 wieder davon zu lesen ist, hat einen einfachen Grund. Die Öffentlich-Rechtlichen machen immer noch Presse. Das Rad dreht sich weiter, auch medienpolitisch. Daher lohnt es sich, noch einmal einen Blick auf die Genese dieser Auseinandersetzung zu werfen.

Die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist im dualen System zu verorten – also dem Nebeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern. Aus den Besonderheiten des Rundfunks mit seiner publizistischen Wirkungskraft und seinen technischen Eigenheiten nährt sich überhaupt erst die üppige Ausstattung und die verfassungsmäßige Privilegierung der ARD. Die Medienordnung ist jedoch noch in einem weiteren Sinne dual. Für die Berichterstattung in Text und Bild ist primär die freie Presse zuständig. Umgekehrt: Die ARD und ihre Rundfunkanstalten haben keinen Grundversorgungsauftrag für Textjournalismus. Dieser Grundsatz ist auch nicht, wie gelegentlich zu hören und lesen ist, hinfällig oder unmodern. Und dass er außerhalb der eingeweihten Branche bei Bürgern und Lesern weitgehend unbekannt ist oder für Überraschung sorgt, ist bezeichnend.

BDZV-Magazin "relevant"

Dieser Beitrag ist erschienen im BDZV-Magazin "relevant"
Ausgabe 02/2022 (S. 36-41)

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Dürfen die das?
BDZV

Schwerpunkt: Bewegtbild und Ton

Wer den Medienstaatsvertrag, genauer Paragraf 30 Absatz 7, vor diesem Hintergrund und mit einer gewissen Unverdorbenheit liest, dem drängt sich seine Aussagekraft nahezu auf. Grundsatz: öffentlich-rechtliche Telemedienangebote dürfen nicht presseähnlich sein und sind daher im Schwerpunkt mittels Bewegtbild und Ton zu gestalten. Ausnahme: Texte auf Übersichtsseiten sowie solche mit konkretem Sendungsbezug. Hier ist von „Aufbereitung“ die Rede, von „Hintergrundinformationen“ und von Angeboten, die die jeweilige Sendung thematisch und inhaltlich „unterstützen, begleiten und aktualisieren“. Daraus fügt sich ein recht einleuchtendes Bild. Text im klassischen journalistischen Sinne steht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk dem Grunde nach nicht zur Verfügung, „es sei denn“. Und auch diese Ausnahme für Text ist wiederum mit einer Einschränkung versehen.
 
Dagegen steht die offen geäußerte Rechtsauffassung der allermeisten Rundfunkanstalten im Widerspruch. Bei dem Begriff „Schwerpunkt“ müsse das Gesamtangebot aller Telemedien zusammen betrachtet werden. Solange der Schwerpunkt in diesem nicht bei journalistischem Text liege, sei alles in bester Ordnung.

Bereits dieser Vergleichsmaßstab – das gesamte Internetangebot anstatt eines spezifischen – nehme dem  Verbot jede praktische Wirkung. Im Übrigen: dass die Öffentlich-Rechtlichen in einer wie auch immer gemessenen Gesamtheit wirklich einmal mehr Text als Audio und Video ins Internet stellen, ist wahrlich nicht das Szenario, das man mit dem Verbot im Medienstaatsvertrag im Sinn hatte. Vielmehr war schon lange klar, dass die Verwendung von Text in Richtung der Presse in jedem Fall einer Abgrenzung bedurfte. Was der Staatsvertragsgeber aber sicher schon gar nicht im Sinn hatte, war, dass die Beschränkung wie eine etwas verquaste Ermächtigungsgrundlage für öffentlich-rechtliche Presseportale und Apps gelesen würde.

In der Zwischenzeit wurde der Medienstaatsvertrag überarbeitet. Die Änderung des Rundfunkauftrages wurde jedoch nicht genutzt, auch bei diesem Aspekt möglicherweise etwas Klarheit zu schaffen. Der BDZV hat sich hierzu bereits kritisch geäußert. Anstatt den Auftrag zu straffen, öffnen sich neue Türen in Richtung „online only“. Die berechtigte Sorge der Presse: die Öffentlich-Rechtlichen könnten das als Trittbrett für weitreichendere Textaktivitäten in alle Richtungen und losgelöst vom Bezug auf klassische Sendungen verstehen. Gemeint hat der Gesetzgeber das nicht. Die Sender haben aber auch in der Vergangenheit oft weit über die Grenzen des Erlaubten getestet.

Auch mit neuen Telemedienkonzepten wollen die Rundfunkanstalten ihren Weg weiter Richtung „online only“ und der Verbreitung auf Drittplattformen gehen. Auch hiergegen sind BDZV und Landesverbände kritisch in Stellung gegangen. Das erste Konzept von Radio Bremen wurde bereits durch den Rundfunkrat genehmigt. Vielfältige, nicht nur von den Verlagen vorgetragene Bedenken wurden dabei weggewischt.

Gegen das schon damals frappierend presseähnliche Internetangebot von Radio Bremen läuft mittlerweile eine Schlichtungsstelle, dazu ebenfalls für den MDR. Weitere Verfahren werden folgen. Ziel dieser seit 2019 existierenden Einrichtung zwischen BDZV und ARD soll es sein, Streitigkeiten über die Grenzen des Verbots der Presseähnlichkeit im Medienstaatsvertrag zu klären. Es bleibt abzuwarten, ob das Verfahren handhabbare Ergebnisse zutage fördert.

Was wir immer noch und trotz alledem sehen, sind Online-Portale und Apps, die vor allem zum Konsum von presseartigen Texten mit audiovisuellen Beigaben angelegt sind. Wer etwa 15 Minuten auf mdr.de verbringt, hat mit einer hohen wahrscheinlich kaum eine Sekunde Audio oder Video konsumiert und doch alles gelesen, was wichtig ist. Ähnliches gilt insbesondere für das neue Angebot „Newszone“ des SWR. Im April ist der Sender mit einer App für junges Publikum gestartet. Fast ausschließlich Text, ansonsten viel extern beschafftes Audio- und Videomaterial. Gegen dieses Angebot gehen Verlage aus dem Südwesten sogar im einstweiligen Rechtsschutz vor.

Wollen wir das?

Diese Aufstellung hat System – und funktioniert. Der Saarländische Rundfunk hat seine Website „sr.de“ mit etwas Mundart schon als „SRste, was ich morgens lese“ plakatbetitelt. Wie Studien in Bremen und im Saarland zutage förderten, sind die Portale der Sender direkte Konkurrenten zur reichweitenstärksten Tageszeitung. Häufig oder so gut wie bei jedem Besuch werden Textangebote genutzt, für Audio und Video gilt dies nur für eine Minderheit. Die Mehrheit der Nutzer würde außerdem bei weniger oder keinen Textbeiträgen auf den Seiten der Rundfunkanstalten ein anderes Nachrichtenportal nutzen. Dieses Ergebnis leuchtet instinktiv ein und lässt sich sicherlich für andere Bundesländer genauso feststellen.
 
Wenn sich der Diskussionsnebel um Rechtsauffassungen zu Medienstaatsvertragsvorschriften und umfassenden öffentlich-rechtlichen Digitalstrategien ein wenig lichtet, werden die wichtigen Fragen sichtbar. Über diese diskutiert unsere Branche schon seit langem, und Politik wie demokratische Öffentlichkeit sollten hierzu eine klare Haltung haben.

Mindestens so spannend wie „Dürfen die das?“ ist: „Wollen wir das?“

Wollen wir öffentlich-rechtlich erstellte Presseportale oder nicht? Sollte es den Sendern erlaubt sein, das Interesse des deutschen Publikums an geschriebenen journalistischen Inhalten zu befriedigen oder nicht? Sollten sie hierfür immer mehr Textjournalistinnen und Textjournalisten einstellen und Lokalredaktionen aufforsten? Ist die demokratische Gesellschaft bereit, die daraus resultierenden Folgen für den Meinungspluralismus und die Zeitungslandschaft zu tragen? Hier sollten sich alle Beteiligten ehrlich machen, denn um nichts anderes geht es bei den Auseinandersetzungen um „Newszone“, „mdr.de“ oder der Tagesschau-App.

Hier gibt es eine konstruktive Gestaltungschance. Sollte die bisherige Rechtslage bei dieser Frage wirklich nicht ausreichend klar sein, müsste der Medienstaatsvertrag geändert werden. Im Übrigen ist das gesamte bestehende System ganz offenkundig eher auf internen Wettbewerb und den mit privaten Anbietern angelegt. Solche Ellbogenproblematik kommt die Presseverlage im Bestreben um Leserschaft für professionellen digitalen Journalismus teuer zu stehen. Diesen Flurschaden kann man abstreiten, kleinreden oder billigend in Kauf nehmen. Oder man streitet für ein modernes Mediensystem ohne Nebenwirkungen. Vorschläge hierfür hat der BDZV immer wieder unterbreitet und bringt sie weiterhin ein.