Mathias Döpfner im Gespräch mit Ferdinand von Schirach: „Niemals in der Geschichte waren die Medien wichtiger“

„Je komplexer die Welt wird, desto mehr bekommen die Medien zu tun. Im Aufdecken, Analysieren und Einordnen“, das erklärte der Strafverteidiger und Autor Ferdinand von Schirach in einem Gespräch mit Dr. Mathias Döpfner, CEO Axel Springer SE.

Ferdinand von Schirach und Mathias Döpfner
Michael Mann / Axel Springer; Montage: BDZV Ferdinand von Schirach (links) und Dr. Mathias Döpfner.

Deshalb habe er auch nicht verstanden, warum heute von der Krise des Journalismus gesprochen werde, führte von Schirach weiter aus. „Niemals in der Geschichte waren die Medien wichtiger. Sie sind das Gegengewicht zu Verschwörungstheorien und Hass. Trump wäre ohne seriösen Journalismus nicht abgewählt worden. Oder aktuell: Ohne die Presse wären die Machenschaften von Politikern bei den Maskenverkäufen nicht aufgedeckt worden.“

Anlass des Interviews in der „Welt am Sonntag“ vom 4. April 2021 ist eine von Ferdinand von Schirach vorgeschlagene Charta neuer Grundrechte für die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union. Einige seiner Überlegungen wären auch für das Medien- und Verlagsgeschäft relevant und wichtig. Interessenten für das Interview aus den Verlagen wenden sich bitte an die „Welt am Sonntag“.

Döpfner seinerseits führte an, er sei „immer, wenn es um die Wahrheit geht, skeptisch, weil derjenige, der glaubt, die Wahrheit zu besitzen oder die Wahrheit allein zu bestimmen, per se schon eine problematische Autorität ist.“ Von Schirach nimmt die Frage nach der Durchsetzbarkeit des in Artikel 4 der neuen Grundrechte-Charta postulierten Rechts auf Wahrheit juristisch auf: „Können Gerichte Lüge und Wahrheit unterscheiden? Ja, das können sie. Die Gerichte können auf eine jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen. Insofern basiert Artikel 4 nicht auf einem blauäugigen Wahrheitsoptimismus, sondern auf der schlichten Erkenntnis, dass die staatlich verbreitete Lüge eine unterschätzte Gefahr für unsere Demokratie ist.“

Ferdinand von Schirach, Strafverteidiger und Autor:

„Die europäischen Verfassungen wurden vor langer Zeit geschrieben, sie kannten das Internet und die sogenannten Sozialen Medien nicht, sie wussten nichts von der Globalisierung, der Macht von Algorithmen, der künstlichen Intelligenz und dem Klimawandel. Die Gefahren, denen wir heute ausgesetzt sind, waren damals noch nicht einmal vorstellbar. Die Idee des Buchs ist also keine weitere Initiative, sondern der Vorschlag, den Rahmen, in dem wir leben, zu erweitern: Die Bürgerinnen und Bürger können sich selbst neue Grundrechte geben, wenn sie das wollen.“

Ein weiterer zentraler Punkt für den Gesprächspartner Döpfner: „Es gibt vier Vorschläge, um die Macht der Plattformen zu beschränken, dem Bürger wieder mehr Souveränität zu geben und mehr Wettbewerb und Vielfalt sicherzustellen. Die erste Forderung ist, einfach Spitzensteuern zu erheben. Die zweite ist die radikalste, nämlich die Plattformen zu zerschlagen, um serielle Monopole aufzubrechen. Die dritte Forderung ist, Behavioral Targeting zu verbieten. Und die vierte Forderung ist, dass die Algorithmen transparent gemacht werden müssen.“

Dazu von Schirach: „In jeder intelligenten Ampel steckt ein Algorithmus, das sind einfach Handlungsanweisungen. Und es gibt positive Algorithmen bei sehr komplexen Vorgängen, wie beispielsweise bei Eurotransplant, also bei der Frage, wer wann zum Beispiel eine Spenderniere in Europa bekommt.“ Solche Algorithmen funktionierten oft sehr gut und seien notwendig in einer modernen Gesellschaft. Es gehe auch nicht um noch mehr Datenschutz an völlig sinnlosen Stellen oder darum, die sozialen Netzwerke komplett abzuschalten, so Schirach weiter. „Das Grundrecht befasst sich ausschließlich mit Algorithmen, die den Menschen belasten. Nur dann müssen sie transparent, überprüfbar und fair sein.“

Das gesamte Interview finden Sie hier.

Das Buch „Jeder Mensch“ (Verlag Luchterhand) erscheint am 13.04.2021.