03. Dezember 2015 | Allgemeines
Presserat: Totes Flüchtlingskind am Strand ist „Dokument der Zeitgeschichte“
Presserat bewertet Beschwerden zu Foto als unbegründet
Der vierjährige Junge war auf der Flucht mit seiner Familie über das Mittelmeer ertrunken. Das Bild löste vielfältige Emotionen aus und hatte weltweit Diskussionen über Flüchtlingspolitik angestoßen. Aus Sicht des Beschwerdeausschusses steht das Foto „symbolisch für das Leid und die Gefahren, denen sich die Flüchtlinge auf ihrem beschwerlichen Weg nach Europa aussetzen“. Die Dokumentation der schrecklichen Folgen von Kriegen, der Gefahren des Schlepperwesens und der Überfahrt nach Europa begründe ein öffentliches Interesse. Das Gesicht des Kindes sei nicht direkt zu erkennen. Seine Persönlichkeitsrechte seien nicht verletzt worden.
Als unbegründet erachtete der Ausschuss auch die 20 Beschwerden zum Foto der 71 erstickten Flüchtlinge in einem Lastwagen, das verschiedene Boulevardzeitungen veröffentlicht hatten. Aus Sicht des Ausschusses handelt es sich hier um die Berichterstattung über ein schweres Verbrechen. Hieran bestehe ein öffentliches Interesse. Die Redaktion dokumentiert mit dem Foto nach Meinung des Ausschusses „die schreckliche Realität, ohne die abgebildeten Menschen zu entwürdigen“. Diese seien auch nicht identifizierbar. Zwar halte der Beschwerdeausschuss das Foto für „furchtbar“; dennoch dürfe die Realität gezeigt werden, solange die Darstellung nicht unangemessen sensationell sei „in dem Sinne, dass die Opfer erneut zu Opfern werden“.
Je eine öffentliche Rüge erhielten der „Mannheimer Morgen“ (wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 1 und 8 des Pressekodex/ Wahrhaftigkeit und Schutz der Menschenwürde sowie Schutz der Persönlichkeit), „TV Movie online (wegen eines Verstoßes gegen Ziffer 1), das „Delmenhorster Kreisblatt“ (wegen Verstoßes gegen Ziffer 12 und Verletzung der Richtlinie 2.6/ Diskriminierung), Bild online (wegen Verletzung der Ziffer 11/ Sensationsberichterstattung), „Bild“ (Berlin) und „B.Z.“ (wegen Verstoßes gegen Ziffer 2/ Sorgfaltspflicht), „TV Hören und Sehen“, die „Leipziger Volkszeitung“ und „Petra“ (wegen Verstoßes gegen die Richtline 7.2/ Schleichwerbung).
Neben den neun öffentlichen Rügen wurden sieben Missbilligungen und 17 Hinweise ausgesprochen. Sechs Beschwerden wurden als begründet bewertet, auf eine Maßnahme wurde jedoch verzichtet, 90 Beschwerden wurden als unbegründet erachtet.
Artikel zu Facebook-Posts verstoßen nicht gegen Pressekodex
Zuvor hatte der Presserat bei der Sitzung des Beschwerdeausschusses 2 am 1. Dezember zwei öffentliche Rügen ausgesprochen. Als unbegründet bewertet wurden hingen zahlreiche Beschwerden unter dem Aspekt der Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) gegen die Berichterstattung in der Huffington Post Online sowie in „Bild“/Bild online. Die Titel hatten die fremdenfeindliche Äußerungen von Nutzern zur aktuellen Flüchtlingsdebatte aufgegriffen. Unter der Überschrift „200 Deutsche riefen Flüchtlingen zu: ‚Willkommen!‘ Jetzt zeigen wir die andere Seite: Hier sprechen die Hassfratzen“ veröffentlichte HuffPo Online eine Sammlung der aus ihrer Sicht schlimmsten Kommentare, die mit Profilbild und Name zu Artikeln der Zeitung gepostet und auf Facebook veröffentlicht worden waren. „Bild“/Bild Online veröffentlichten unter der Überschrift „BILD stellt die Facebook-Hetzer an den Pranger!“ ebenfalls Äußerungen von als „Hetzer“ bezeichneten Nutzern, die diese mit Profilbild und Name in sozialen Netzwerken veröffentlicht hatten.
Insgesamt 38 Leser hatten sich über die Veröffentlichungen beschwert und Persönlichkeitsrechtsverletzungen sowie Diffamierungen kritisiert. Aus Sicht des Ausschusses war die Veröffentlichung der Äußerungen mit Name und Profilbild in beiden Berichterstattungen zulässig, da es sich hier nicht um private, sondern erkennbar um politische Äußerungen der Nutzer in öffentlich einsehbaren Foren handele. Hieran bestehe ein öffentliches Interesse, das die Persönlichkeitsrechte überlagere. Die von der HuffPo-Redaktion vorgenommene Einordnung als „Hassfratzen“ halte der Presserat für eine „zugespitzte, scharfe Meinungsäußerung, die sich noch im Rahmen der presseethischen Grenzen“ bewege. Gleiches gelte für die Formulierung „an den Pranger“ stellen in „Bild“.
Der Beschwerdeausschuss 2 sprach neben zwei öffentlichen Rügen acht Missbilligungen und 15 Hinweise aus. Zwei Beschwerden wurden als begründet bewertet, auf eine Maßnahme wurde jedoch verzichtet, 66 Beschwerden wurden als unbegründet erachtet.