Amrai Coen und Nicola Meier

Kurzbiographien der Autorinnen

Amrai Coen, Jahrgang 1986, Redakteurin im Dossier der ZEIT. Geboren und aufgewachsen in Hamburg. Zur Schule gegangen in Deutschland, Mexiko und Australien. Rugby gespielt für den FC St. Pauli und in der deutschen Nationalmannschaft. Schreiben gelernt an der Zeitenspiegel-Reportageschule in Reutlingen und der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Seit 2012 bei der ZEIT.

Nicola Meier, Jahrgang 1979, arbeitet seit 2016 für die ZEIT, erst als Pauschalistin im Dossier, dann als Redakteurin beim ZEITmagazin und Autorin fürs Dossier. Vorher arbeitete sie als freie Reporterin in Hamburg. Sie studierte Publizistik, Politikwissenschaft und Literatur in Mainz und besuchte die Reportageschule in Reutlingen. Ihre journalistischen Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet.

Nebeneinander gesetzte Portraitfotos von Amrai Coen und Nicola Meier
Kathrin Spirk / Nicola Meier

Im Interview

Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?

Amrai Coen: Eigentlich waren wir im März 2019 losgezogen, um über die aktuelle Masern-Epidemie in Niedersachen zu schreiben, die zu einer Debatte über eine Impfpflicht geführt hatte. Bei der Archiv-Recherche stießen wir aber nach einigen Tagen auf einen Fall, der uns aussagekräftiger erschien als alles, was wir bisher recherchiert hatten. In einer Kinderarztpraxis hatte ein ungeimpftes Kind mehrere Kinder mit Masern angesteckt. Zwei, die sich als Säuglinge infiziert hatten, starben an den Spätfolgen der Infektion. Wir wollten diesen Fall fast zwanzig Jahre später rekonstruieren.

Wir führten mehrstündige Gespräche mit den drei Protagonisten, jeweils bei ihnen zu Hause. Die Gespräche haben wir aufgezeichnet und transkribiert, um daraus die Protokoll-Passagen schreiben zu können. Außerdem lasen wir Studien und Statistiken, führten Gespräche mit Behörden, Medizinern, Wissenschaftlern. Auch mit der Psychologin Cornelia Betsch, die uns einen überraschenden Blick auf die Impfpflicht brachte: dass sie nicht zwangsläufig zu einem besseren Impfschutz führt.

Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei?

Nicola Meier: Am Anfang ging es darum, ob der Arzt und die beiden Mütter mit uns sprechen würden. Wir riefen zuerst in der Praxis von Christoph Holzhausen an, die inzwischen sein Sohn übernommen hatte. Der sagte sofort, dass sein Vater nicht mehr über den Fall sprechen wolle. Wir haben Herrn Holzhausen trotzdem noch einen Brief geschrieben. Und nachdem er ihn gelesen hatte, meldete er sich und sagte einem Treffen zu. Eine der Mütter, Oxana Giesbrecht, erreichten wir über Facebook, auch sie sagte zu. Und nach unserem Gespräch mit Oxana Giesbrecht war schließlich auch die andere Mutter, Anca Knäpp, einverstanden, sich mit uns zu treffen.

Nach der Recherche standen wir vor der Herausforderung, wie wir den Fall erzählen. Wir haben uns entschieden, das Stück sehr protokollarisch zu erzählen, um den Protagonisten möglichst viel Raum zu geben, selbst zu sprechen.

Von wem und/oder wie wurden Sie dabei unterstützt?

Amrai Coen: Das Beste daran, einen Text zu zweit zu recherchieren und schreiben: dass man sich gegenseitig unterstützen kann.

Nicola Meier: Wir kennen uns gut, wir haben uns beim Schreiben bei Amrai zuhause mehr oder weniger eingeschlossen und so lange an dem Stück gearbeitet, bis wir zufrieden waren.

Amrai Coen: Und der Pizza-Lieferdienst hat uns auch unterstützt.

Was braucht ein herausragender Artikel?

Nicola Meier: Das ist schwer zu beantworten, Texte können ja aus völlig unterschiedlichen Gründen toll sein. Weil sie so berührend sind oder so überraschend oder so klug. Ich glaube, herausragend finde ich einen Text dann, wenn er mich auch nach dem Lesen nicht loslässt. Wenn er nachwirkt, warum auch immer. Wenn ich am nächsten Tag immer noch an den Text denke und ihn Freunden empfehle oder wenn ich anfange, im Büro herumzulaufen und meine Kollegen zu fragen, ob sie schon den Text von xyz gelesen haben. Dann war er besonders.

Natürlich ist da das Wenn.

Wenn der Junge schon den typischen Ausschlag gehabt hätte, dann hätte sein Großvater vielleicht das Schild an der Praxis beachtet: „Bei Verdacht auf ansteckende Krankheit bitte klingeln!“

Wenn der Großvater geklingelt hätte, dann hätten die Arzthelferinnen den Flur geräumt, die Türen geschlossen und den Jungen statt ins Wartezimmer direkt ins Behandlungszimmer geführt.

Wenn nicht Montag gewesen wäre, dann wäre das Wartezimmer nicht so voll gewesen.

Wenn, wenn, wenn.

Nominierte Amrai Coen und Nicola Meier

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