Preisträger 2016

BDZV verleiht Bürgerpreis der deutschen Zeitungen an Navid Kermani 

Navid Kermani verkörpert eine Mischung aus Political Incorrectness und Weltzugewandtheit. Das sagte heute in Berlin der Präsident des Präsident Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger,  (BDZV), Dr. Mathias Döpfner. Wichtiger als die Freiheit des Schriftstellers sei die Freiheit des Geistes, die das Spektrum von Kermanis Arbeit durchziehe, erklärte Döpfner anlässlich der Verleihung des Bürgerpreises der deutschen Zeitungen an den deutsch-iranischen Autor und Wissenschaftler. „Deutschland braucht mehr Bürger wie Sie.“ Die Jury – alle Chefredakteure der im BDZV organisierten Verlage – hatte Navid Kermani die mit 20.000 Euro dotierte Ehrung für sein Engagement für Toleranz und eine zivile Gesellschaft zugesprochen.

Der Schriftsteller und Soziologe Prof. Dr. Wolf Lepenies würdigte den Preisträger vor rund 150 geladenen Gästen aus Politik und Medien in Berlin als „deutschen Staatsbürger und patriotischen Europäer“, als einen Weltbürger, der sich universalen Werten wie den Menschenrechten verpflichtet wisse. Neben Kermanis demokratischem Patriotismus pries Lepenies in seiner Laudatio auch dessen „Mut zum Pathos“. In außergewöhnlichen Situationen benötige die „Demokratie als Staatsform der Nüchternheit“ des Pathos, um nicht in Kälte zu erstarren. Es gehöre zum Kern von Kermanis bürgerschaftlichem Engagement, die Mehrheitsgesellschaft vor dem verhängnisvollen Drang zu warnen, „Einheitlichkeit herzustellen und kulturelle Nischen auszumerzen“.

Der in Köln lebende Kermani war unter anderem ausgezeichnet worden, weil er mit weiteren prominenten Mitstreitern als Folge der Kölner Silvesternacht 2015 mit der so genannten „Kölner/Rheinischen Botschaft“ ein nachdrückliches Zeichen für eine kritische und selbstbewusste Zivilgesellschaft gesetzt hatte. „Es war so ein Moment der allgemeinen Sprachlosigkeit in Köln“, erinnerte sich Kermani anlässlich der Bürgerpreisverleihung. „Niemand wusste, wie man mit den Ereignissen umgehen soll.“

Angesichts der „anschwellenden Gesänge von rechts“ sei es darum gegangen, einerseits an der offenen Gesellschaft festzuhalten und andererseits die Gewalt zu benennen, die durch Vertreter anderer Kulturen ausgeübt wurde. Einen wichtigen Part bei der Aufdeckung der Vorgänge wies Kermani den Medien und insbesondere den Zeitungen zu. „Sonst wäre ja gar nicht zum Vorschein gekommen, was in Köln passiert ist.“ Zeitungen seien für die Information der Bevölkerung ohnehin ganz entscheidend, betonte der Autor weiter. „Sie haben Menschen, die in der ganzen Welt vor Ort berichten, aus Kriegs- und Krisengebieten. Und die dabei Gefahren auf sich nehmen.“ Kermani erinnerte in diesem Zusammenhang auch an das Schicksal des in der Türkei inhaftieren deutsch-türkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel.

Im vergangenen Jahr wurde Elisabeth Ehninger, Gründerin des Vereins Dresden-Place to be, als „Bürgerin des Jahres“ geehrt. Der Vorschlag kam von den „Dresdener Neuesten Nachrichten“.  Zuvor ging der Preis an  den Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur/Deutsche Notärzte e.V. und des Friedenskorps Grünhelme Rupert Neudeck (nominiert vom „Kölner-Stadt-Anzeiger“), an Gaby Wentland (nominiert vom „Hamburger Abendblatt“), Nora Weisbrod (nominiert von der „Allgemeinen Zeitung“, Mainz, und dem „Wiesbadener Kurier“), das Ehepaar Birgit und Horst Lohmeyer (nominiert von der „Ostsee-Zeitung“, Rostock) sowie als ersten Preisträger 2010 an Thomas Beckmann (nominiert von der „Rheinischen Post“, Düsseldorf). Der aktuelle Preisträger Navid Kermani wurde gemeinsam von fünf Zeitungen nominiert: „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Kölnische Rundschau“, „Express“ (Köln), „Rheinische Post“ (Düsseldorf) und „General-Anzeiger“ (Bonn)

Preisträger Navid Kermani

Preisverleihung des Bürgerpreises 2016
BDZV

„Ich wünschte ein Bürger zu sein“ – Laudatio auf Navid Kermani von Prof. Dr. Wolf Lepenies

„Ich wünschte ein Bürger zu sein“ – dies schrieb der große deutsche Historiker Theodor Mommsen, als er sein Testament verfasste - 1899, im letzten Jahr des „bürgerlichen Jahrhunderts“. Die vollständige Klausel, in der sich dieser von Resignation geprägte Satz findet, lautet: „Politische Stellung und politischen Einfluss habe ich nie gehabt und nie erstrebt; aber in meinem innersten Wesen, und ich meine, mit dem Besten was in mir ist, bin ich stets ein animal politicum gewesen und wünschte ein Bürger zu sein. Das ist nicht möglich in unserer Nation, bei der der Einzelne, auch der Beste, über den Dienst im Gliede und den politischen Fetischismus nicht hinauskommt.“ Theodor Mommsen aber nahm durchaus Einfluss auf die Tagespolitik. Geprägt von der 1848er Revolution verärgerte er mit seinem „entschiedenem Liberalismus“ das preußische Establishment; seine Verurteilung der „ungeheuren Schmach“ des Antisemitismus bleibt ein Vorbild politischer Zivilcourage.

„Ich wünschte ein Bürger zu sein.“ Das Wort „Bürger“ hat im Deutschen einen ambivalenten Klang, der Bourgeois wie der Citoyen stecken darin und oft geraten sie in Konflikt miteinander. Die Geschichte der späten, nachholenden Demokratisierung in Deutschland ist ein Prozess, in dem der Bourgeois sich zum Citoyen emanzipiert. Das Ende der Demokratie wird mit der Schrumpfung des Staatsbürgers zum „Volksgenossen“ besiegelt, wie es 1920 das Parteiprogramm der NSDAP forderte, in dem es hieß: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist…“

„Ich wünschte ein Bürger zu sein.“ Bei Mommsen ist sowohl vom Bourgeois als auch vom Citoyen die Rede. Wenn der Historiker klagt, die Nation kranke an der „Gleichgültigkeit gegen das politische Leben“, spielt er auf die chronisch a-politische Haltung des deutschen Bürgertums an, das sich – so Thomas Mann – in „machtgeschützte Innerlichkeit“ flüchtete und die Kultur als das Reich der ungebundenen Freiheit gegen die Politik als die Sphäre des Kompromisses ausspielte. Mommsens Wunsch, ein Bürger zu sein, gipfelt in der von ihm so genannten „Pflicht zur politischen Pädagogik“. Gemeint war damit ein paradoxer Populismus, der nicht dem sogenannten „Volkswillen“ schmeichelte, sondern darauf beharrte, dass in der Demokratie Verantwortung nicht nur bei den politischen Eliten liegt: „Es gibt eine Verantwortlichkeit auch der Massen“, schreibt Mommsen, „und so gering darf sich keiner achten, dass er davon nicht auch seinen Teil trage“. Die Demokratisierung der Verantwortung ist ein bürgerliches Ideal und seine Verwirklichung muss vom Bürger erstrebt werden, auch wenn sie ihm als unmöglich erscheint. Mommsen: „Freilich kann der Einzelne wenig tun. Sein Handeln ist beschränkt, seine Worte verhallen. Nach unseren Einrichtungen, nach unseren Sitten und Gewohnheiten muss das Meiste von oben geschehen. Versagt die Leitung, so ist alles umsonst. Aber jeder muss tun, als ob Etwas an ihm läge, als ob sein Reden und Handeln von Bedeutung wäre.“ Bürgersinn verlangt Engagement, es gibt eine Bürgerpflicht zum Handeln-als-Ob.

„Ich wünschte ein Citoyen zu sein“, so muss man Mommsens Wunsch übersetzen, wenn er aus dem Kreis nationalstaatlichen Denkens heraustritt: „Ich blicke zurück auf ein langes Leben, von dem, was ich für meine Nation über ihre Grenzen hinaus hoffte, hat sich nur weniges erfüllt. Aber die heilige Allianz der Völker ist das Ziel meiner Jugend gewesen und ist noch der Stern des alten Mannes…“

Schließlich weitet sich der Blick des Bürgers Mommsen ins Weltbürgerliche, wenn er den Europäern zu bedenken gibt, „dass die Zivilisation weder an Europa geknüpft ist noch an das Christentum“. In einer solchen Mahnung zeigt sich, wie Denk- und Handlungsweise des Citoyen vom Nationalen ins Übernationale führen, vom Europäismus zum Weltbürgertum. So verliert das Bürgerliche alle Bourgeois- Beschränktheit und offenbart eine in ihm liegende, der Zukunft zugewandte utopische Kraft.

Ich habe über Theodor Mommsen gesprochen – aber in der Beschreibung des idealtypischen bürgerlichen Charakters war längst von Navid Kermani die Rede.

Mit ihrem Bürgerpreis zeichnen die deutschen Zeitungen heute ein animal politicum aus, Navid Kermani ist es seinem „innersten Wesen“ nach, eine politische Stellung hat er, die nächste Regierungsbildung kommt im Herbst – noch nicht – eingenommen, politischen Einfluss aber kann man dem Bürger nicht abstreiten, der im Bundestag vor den Verfassungsorganen der Republik die Rede zum 60. Geburtstag des Grundgesetzes hält. Navid Kermani ist deutscher Staatsbürger, ein patriotischer Europäer, aber kein Eurozentriker, ein Weltbürger, der sich universalen Werten wie den Menschenrechten verpflichtet weiß und zwei Dinge über alles liebt: die deutsche Sprache und den 1. FC Köln. Die Stichworte, die mir Theodor Mommsen geliefert hat, gelten auch für Navid Kermani: Lust zu einer politischen Pädagogik, die weniger durch Belehrung als durch Beispiel gebendes Handeln geprägt wird, Bekenntnis zur Demokratisierung der Verantwortung, Bürgerpflicht zum Handeln-als-Ob: „Jeder muss tun, als ob etwas an ihm läge, als ob sein Reden und Handeln von Bedeutung wäre.“

Navid Kermani wurde 1967 in Siegen geboren – als Sohn iranischer Eltern, die 1959 in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert waren. Bereits der Teenager arbeitete als Journalist, der Student der Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaft promovierte 1998 im Fach Orientalistik mit seiner Dissertation Gott ist schön, in der – die Muslime betörend, die Nicht-Muslime verstörend – die ästhetische Wirkung des Koran gefeiert wurde. Als Rektor konnte ich im Jahr 2000 Navid Kermani an das Wissenschaftskolleg zu Berlin berufen, wo er bis 2003 als Long Term Fellow tätig war – eine Periode, die durch die Terroranschläge des 11. September 2001 geprägt wurde. Mit Navid Kermanis Hilfe gewann ein Projekt des Wissenschaftskollegs schärfere Konturen. Sein Name: „Moderne und Islam“. Ausdrücklich ging es nicht darum, die Modernetauglichkeit des Islam in Frage zu stellen. Es ging darum, die Probleme der vom Westen geprägten Moderne zu untersuchen – und dies zusammen mit Kollegen aus muslimischen Ländern zu tun. Mir bleibt die Erinnerung an großartige Kollegen, die mit ihrer Lebengeschichte, ihrer intellektuellen Leidenschaft und ihrem Mut deutlich machten, dass der Islam durchaus mit der Aufklärung und den Kernelementen der Moderne vereinbar ist – auch wenn die Realität vieler vom Islam geprägter Gesellschaften dieser Einsicht zu widersprechen scheint.

In unserer gemeinsamen Zeit am Wissenschaftskolleg verfassten Navid Kermani und ich das Manifest zur Gründung einer Akademie islamischer und jüdischer Kulturen. Berlin, dies war unser Vorschlag, sollte zum Ort einer Akademie für Kunst, Wissenschaft und Religion werden, in der die jüdischen und islamischen Traditionen eines im Mittelalter und in der Neuzeit arabisch geprägten Kulturraums sowie ihre Verflechtung mit der europäischen Kultur gemeinsam studiert, dargestellt und kritisch hinterfragt werden. Eine Utopie – damals wie heute. Und eine Mahnung, dringlicher denn je, sich mit dem status quo nicht abzufinden.

Ich bedauere, dass es mir nicht gelang, Navid Kermani langfristig an das Wissenschaftskolleg zu binden. Institutionenentbunden wurde er zum „freien Schriftsteller“. Weder im Englischen noch im Französischen gibt es für diese Bezeichnung ein Äquivalent; im Deutschen erinnert sie an die „freischwebende Intelligenz“, von der Soziologen in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts besondere Erkenntnischancen erwarteten – frei von jeder weltanschaulichen, religiösen und ideologischen Bindung würde es dem „freischwebenden Intellektuellen“ gelingen, bei der Suche nach der Wahrheit fündig zu werden. Der „freie Schriftsteller“ Navid Kermani aber ist kein „freischwebender Intellektueller“, er ist ein „public intellectual“, jemand, der seinen Beruf darin sieht, die Defizite des Gemeinwesens, der res publica, aufzuzeigen, ohne sich über die Gemeinschaft, der auch er angehört, zu erheben. Ein „freier“ Schriftsteller ist Navid Kermani nicht zuletzt darin, dass er sich weigert, sich in eine Schablone oder Sparte pressen zu lassen. Er entgeht der typisch deutschen Konfrontation von Kultur und Politik, die seit dem 18. Jahrhundert bis heute darauf hinausläuft, gegenüber der zum Kompromiß verdammten Tagespolitik Kunst und Kultur zu alltagsfernen Sphären höherer Einsicht zu erheben. „Freier Schriftsteller“ – das war Kermani vielleicht am Anfang seiner Karriere, in den letzten Jahren ist er zu einer politisch-literarischen Ich-AG geworden, deren Wirktiefe, Wirkungsbreite, mediale Aufmerksamkeit und öffentliche Anerkennung in der Bundesrepublik ihresgleichen suchen. Die Genres, in denen er sich dabei bewegt, reichen von risikoreichen Reportagen aus den Krisengebieten und von den Flüchtlingsrouten dieser Welt bis zum Kinderbuch und einer Hymne auf den kanadischen Rockmusiker Neil Young, von Poetik-Vorlesungen, in denen er seine Liebe zu Autoren wie Hölderlin und Jean Paul schildert, bis zu Podiumsdiskussionen um deren Karten man sich reißt wie sonst nur bei Theaterpremieren, von Romanen, darunter – nur Jean Pauls Wort reicht zur Charakterisierung – der unfassbar dichten und massiven „Selberlebensbeschreibung“ Dein Name, bis zu Artikeln in großen deutschen Zeitungen, in denen Kermani regelmäßig zu Fragen der Tagespolitik Stellung nimmt. Philologische Genauigkeit und politischer Enthusiasmus, weitreichende Rückblicke in die Geschichte und polit-aktuelles Engagement, deutsche Befindlichkeiten und europäische Visionen – stets ergänzen und vertiefen sie einander.

Den Grundton all dieser Aktivitäten setzen ein entschiedener Patriotismus – der Patriotismus für die Demokratie – und der Mut zum Pathos. Die Demokratie ist die Staatsform der Nüchternheit. Kompromisse und kurze Fristen prägen ihren Alltag, Legitimität wird dem politischen Personal nur auf Zeit verliehen, der Machtwechsel ist Normalität. Nüchternheit aber darf in der Demokratie, soll sie lebendig bleiben, nicht zu Kälte werden und die politische Willensbildung darf nicht zur Routine erstarren. Nicht alleine mit dem Verstand, auch mit den Herzen muss die Demokratie akzeptiert werden, wenn sie überleben soll. Diktatur ist erzwungenes Pathos bis in den Alltag hinein – in der Demokratie ist Pathos die Ausnahme. Hier ist es die außeralltägliche Inszenierung von Wärme und gefühlsmäßiger Zustimmung zu den Wertvorstellungen, welche die Wahlbürger miteinander teilen. Nach den Pathosexzessen des Wilhelminismus und des Dritten Reiches hatte sich in der Bundesrepublik eine gewisse Pathosscheu entwickelt. Navid Kermani gehört zu den wenigen, die bei außergewöhnlichen Gelegenheiten – bei der Rede zum 60. Jahrestag des Grundgesetzes, im Dank nach dem Empfang des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels – das außeralltägliche Pathos zeigen können, dessen auch die Demokratie bedarf.

Im Jahre 1967 wählte der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger den verstörenden Satz Mommsens – Ich wünschte ein Bürger zu sein – als Titel eines Buches, in dem er versuchte, „den Begriff des Bürgers zu rehabilitieren“. Wie Mommsen beschäftigte Sternberger die Rolle des Bürgers im klassischen Nationalstaat. Dieser Staat aber ist Vergangenheit, auch wenn heute an vielen Orten die Rückkehr zum Nationalismus gefordert, mancherorts bereits gefeiert wird. Die Konturen des Nationalstaats sind undeutlich geworden, zur Herausforderung für den Staatsbürger wird der Umgang mit heimischer Vielfalt.

Es gehört zum Kern von Navid Kermanis bürgerschaftlichem Engagement, die Mehrheitsgesellschaft vor dem „verhängnisvollen Drang“ zu warnen, „Einheitlichkeit herzustellen und kulturelle Nischen auszumerzen“. Damit verbindet sich kein romantisierender Multikulturalismus. In Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime hat Kermani beschrieben, wie er als Student im Kölner Viertel am Eigelstein mit seinem hohen Migrantenanteil die multikulturelle Vielfalt genoß – und plötzlich mit ihren Problemen konfrontiert wurde, als seine Tochter in den Kindergarten gehen sollte. Vater und Mutter beschlossen, die Tochter nicht in den nächstgelegenen Kindergarten zu schicken, weil sie dort vermutlich eher Türkisch als Deutsch lernen würde. Später schickte der schiitische Muslim seine Tochter auf die katholische Grundschule; Kermani erzählt: „Dort lag der Migrantenanteil immer noch bei über fünfzig Prozent – aber wie Lehrer, Eltern und Kinder es gemeinsam geschafft haben, die Vielfalt nicht nur zu bewältigen, sondern ins Positive zu wenden, ja selbst den alteingesessenen Deutschen als Bereicherung vorzuführen, das hat mich oft erstaunt. Gelernt habe ich allerdings auch, dass Integration dort gelingt, wo die heimische – also auf der Schule meiner Tochter: katholische und kölsche – Kultur nicht schamhaft in den Hintergrund gerückt, sondern gepflegt und selbstbewusst vertreten wird. Aus Furcht vor den Reaktionen muslimischer Eltern nicht mehr Advent zu feiern, wie es in manchen Kindergärten oder Schulen geschieht, ist mit Sicherheit das falsche Signal. Es geht nicht darum, sich selbst zu verleugnen, sondern den anderen zu achten. Wer sich selbst nicht respektiert, kann keinen Respekt erwarten“. Eine Mahnung an die deutsche Mehrheitsgesellschaft, Vielfalt zu akzeptieren – und eine Ermunterung, sich zur überlieferten Eigenheit mit Selbstbewusstsein zu bekennen.

Ohne die Kölner Erfahrung kann man Navid Kermani nicht verstehen. Köln – das ist für ihn eine Erfolgsgeschichte. Dazu gehört mittlerweile sogar der 1. FC. So ist es nur passend, dass die deutschen Zeitungen mit ihrem Preis vor allem die „Kölner/Rheinische Botschaft“ würdigen, mit der – ich zitiere – „Navid Kermani und weitere prominente Mitstreiter als Folge der Kölner Silvesternacht 2015 ein nachdrückliches Zeichen für eine kritische und selbstbewusste Zivilgesellschaft setzten und gegen fremdenfeindliche Hetze protestierten“. Der Text gehört in jedes Schulbuch, er ist das Musterbeispiel einer überzeugenden staatsbürgerlichen Meinungsäußerung.

„Jeder muss tun, als ob Etwas an ihm läge, als ob sein Reden und Handeln von Bedeutung wäre.“ So lautete Theodor Mommsens Aufforderung zum Bürgersinn. Dieser Aufforderung ist er beispielhaft nachgekommen und ihm gilt mein Glückwunsch zum Erhalt des Bürgerpreises der deutschen Zeitungen – dem Bürger-Citoyen Navid Kermani.

Download der vollständigen Laudatio als PDF

Preisverleihung an Navid Kermani